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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Aschabad und Umgegend

der berühmten Kirchenwagen der Strecke einrangiert, die überall Gottesdienst
nach dem komplizierten Ritus der orthodoxen Kirche abzuhalten ermöglichen
sollen. Alles ist vorhanden. Ikonostas, ewige Lampe. Heiligenbilder. Altar
und Meßgewänder, und der fade Weihrauchgeruch darf nicht fehlen.

In dem bequemen Salonwagen des Gebietschefs verging die Zeit des
Wartens und der Rückfahrt bei frugalen Frühstück und angeregter Unter¬
haltung schnell und angenehm. Oberstleutnant sah., unser freundlicher Cicerone,
der nur die Zungenfertigkeit seiner Rede für unsern Bedarf nicht genügend
zu zügeln verstand, belehrte uns ausreichend über die Landschaft, ihre Denk¬
mäler aus der Zeit geschichtlicher Größe und die Neuschöpfungen des herrschenden
Russentums.

Da sind eine Anzahl befestigter Anis rechts und links von der Eisenbahn,
hinter deren Lehmmauern jetzt die Tekinzen ihre Viehherden bei Nacht zu¬
sammentreiben, während sie früher Schlitz gegen die Überfälle persischer Scharen,
fremder Stämme und vielleicht auch eigner Volksgenossen gewährten. Türme
ermöglichten eine weite, durch Baumwuchs nur wenig beeinträchtigte Übersicht
über das ebne Land am Fuß der Berge und erinnerten an den" Wachtdienst
auf unsern mittelalterlichen Schlössern. Ans Alexanders des Großen Zeit
stammen, wie Münzfuude beweisen, die Ruinen einer Festung Rice auf einem
Bergvorsprunge beim Truppenlager Firjusa. Dieses ist durch eine Schmal¬
spurbahn mit der Station Besmein verbunden und vereinigt im Sommer die
Truppen des Armeekorps am Ausgang des Firjusatals in kleinern und größern
Verbänden. Im Firjusatal aufwärts liegt außer einem Genesungsheim für die
Truppen die Sommerfrische von Aschalmd, zahlreiche zwischen hochstämmigen
Nußbüumen und Platanen verstreute Villen, in denen alles, was Anspruch
auf Rang und Stellung macht, Erholung sucht und mit Behagen die staub¬
freie, kühlere Gebirgsluft genießt. Die Eisenbahn durchschneidet den Auslauf
des Flüßchens Bagirka in sumpfiger Niederung (hier hat die Garnison
Aschabad ihr glückliches Jagdgefilde, in dem sich eine Menge Wasserwild aufhält)
und die zahlreichen Arhks, die das Wasser der Bagirka zur Bewässerung der
Getreidefelder verteilen. Vor Aschabad selber erinnern die Schuppen des
Artilleriedepots und des Proviantmagazins mit ihren sehr sorgfältig angelegten
Umfassungsmauern in grauem Lehmschlag, einige Pulver- und Munitions-
"uigazine mit den nötigen Posten an die militärische Bedeutung der Gebiets¬
hauptstadt. Der Bahnhof ist nächst dem Taschkenter der besteingerichtete der
ganzen mittelasiatischen Eisenbahn und entspricht der Bedeutung des Ortes
°is Haupthandelsplatz im Warenaustausch mit dem persischen Chorasscm. In
der Nähe von Aschabad verdienen die Parkanlagen. Pflanzungen und land¬
wirtschaftlichen Musteranstalten des Anis Keschi, eine für die Entwicklung des
gesamten Gebiets hochwichtige Schöpfung Kuropatkins ans dessen Regierungs-
zeit als Gebietschef, Beachtung, während auf der andern Seite der Stadt die
sehenswerten Ruinen der wahrscheinlich von Dschingis-Khan zerstörten und


Aschabad und Umgegend

der berühmten Kirchenwagen der Strecke einrangiert, die überall Gottesdienst
nach dem komplizierten Ritus der orthodoxen Kirche abzuhalten ermöglichen
sollen. Alles ist vorhanden. Ikonostas, ewige Lampe. Heiligenbilder. Altar
und Meßgewänder, und der fade Weihrauchgeruch darf nicht fehlen.

In dem bequemen Salonwagen des Gebietschefs verging die Zeit des
Wartens und der Rückfahrt bei frugalen Frühstück und angeregter Unter¬
haltung schnell und angenehm. Oberstleutnant sah., unser freundlicher Cicerone,
der nur die Zungenfertigkeit seiner Rede für unsern Bedarf nicht genügend
zu zügeln verstand, belehrte uns ausreichend über die Landschaft, ihre Denk¬
mäler aus der Zeit geschichtlicher Größe und die Neuschöpfungen des herrschenden
Russentums.

Da sind eine Anzahl befestigter Anis rechts und links von der Eisenbahn,
hinter deren Lehmmauern jetzt die Tekinzen ihre Viehherden bei Nacht zu¬
sammentreiben, während sie früher Schlitz gegen die Überfälle persischer Scharen,
fremder Stämme und vielleicht auch eigner Volksgenossen gewährten. Türme
ermöglichten eine weite, durch Baumwuchs nur wenig beeinträchtigte Übersicht
über das ebne Land am Fuß der Berge und erinnerten an den" Wachtdienst
auf unsern mittelalterlichen Schlössern. Ans Alexanders des Großen Zeit
stammen, wie Münzfuude beweisen, die Ruinen einer Festung Rice auf einem
Bergvorsprunge beim Truppenlager Firjusa. Dieses ist durch eine Schmal¬
spurbahn mit der Station Besmein verbunden und vereinigt im Sommer die
Truppen des Armeekorps am Ausgang des Firjusatals in kleinern und größern
Verbänden. Im Firjusatal aufwärts liegt außer einem Genesungsheim für die
Truppen die Sommerfrische von Aschalmd, zahlreiche zwischen hochstämmigen
Nußbüumen und Platanen verstreute Villen, in denen alles, was Anspruch
auf Rang und Stellung macht, Erholung sucht und mit Behagen die staub¬
freie, kühlere Gebirgsluft genießt. Die Eisenbahn durchschneidet den Auslauf
des Flüßchens Bagirka in sumpfiger Niederung (hier hat die Garnison
Aschabad ihr glückliches Jagdgefilde, in dem sich eine Menge Wasserwild aufhält)
und die zahlreichen Arhks, die das Wasser der Bagirka zur Bewässerung der
Getreidefelder verteilen. Vor Aschabad selber erinnern die Schuppen des
Artilleriedepots und des Proviantmagazins mit ihren sehr sorgfältig angelegten
Umfassungsmauern in grauem Lehmschlag, einige Pulver- und Munitions-
"uigazine mit den nötigen Posten an die militärische Bedeutung der Gebiets¬
hauptstadt. Der Bahnhof ist nächst dem Taschkenter der besteingerichtete der
ganzen mittelasiatischen Eisenbahn und entspricht der Bedeutung des Ortes
°is Haupthandelsplatz im Warenaustausch mit dem persischen Chorasscm. In
der Nähe von Aschabad verdienen die Parkanlagen. Pflanzungen und land¬
wirtschaftlichen Musteranstalten des Anis Keschi, eine für die Entwicklung des
gesamten Gebiets hochwichtige Schöpfung Kuropatkins ans dessen Regierungs-
zeit als Gebietschef, Beachtung, während auf der andern Seite der Stadt die
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[0553] Aschabad und Umgegend der berühmten Kirchenwagen der Strecke einrangiert, die überall Gottesdienst nach dem komplizierten Ritus der orthodoxen Kirche abzuhalten ermöglichen sollen. Alles ist vorhanden. Ikonostas, ewige Lampe. Heiligenbilder. Altar und Meßgewänder, und der fade Weihrauchgeruch darf nicht fehlen. In dem bequemen Salonwagen des Gebietschefs verging die Zeit des Wartens und der Rückfahrt bei frugalen Frühstück und angeregter Unter¬ haltung schnell und angenehm. Oberstleutnant sah., unser freundlicher Cicerone, der nur die Zungenfertigkeit seiner Rede für unsern Bedarf nicht genügend zu zügeln verstand, belehrte uns ausreichend über die Landschaft, ihre Denk¬ mäler aus der Zeit geschichtlicher Größe und die Neuschöpfungen des herrschenden Russentums. Da sind eine Anzahl befestigter Anis rechts und links von der Eisenbahn, hinter deren Lehmmauern jetzt die Tekinzen ihre Viehherden bei Nacht zu¬ sammentreiben, während sie früher Schlitz gegen die Überfälle persischer Scharen, fremder Stämme und vielleicht auch eigner Volksgenossen gewährten. Türme ermöglichten eine weite, durch Baumwuchs nur wenig beeinträchtigte Übersicht über das ebne Land am Fuß der Berge und erinnerten an den" Wachtdienst auf unsern mittelalterlichen Schlössern. Ans Alexanders des Großen Zeit stammen, wie Münzfuude beweisen, die Ruinen einer Festung Rice auf einem Bergvorsprunge beim Truppenlager Firjusa. Dieses ist durch eine Schmal¬ spurbahn mit der Station Besmein verbunden und vereinigt im Sommer die Truppen des Armeekorps am Ausgang des Firjusatals in kleinern und größern Verbänden. Im Firjusatal aufwärts liegt außer einem Genesungsheim für die Truppen die Sommerfrische von Aschalmd, zahlreiche zwischen hochstämmigen Nußbüumen und Platanen verstreute Villen, in denen alles, was Anspruch auf Rang und Stellung macht, Erholung sucht und mit Behagen die staub¬ freie, kühlere Gebirgsluft genießt. Die Eisenbahn durchschneidet den Auslauf des Flüßchens Bagirka in sumpfiger Niederung (hier hat die Garnison Aschabad ihr glückliches Jagdgefilde, in dem sich eine Menge Wasserwild aufhält) und die zahlreichen Arhks, die das Wasser der Bagirka zur Bewässerung der Getreidefelder verteilen. Vor Aschabad selber erinnern die Schuppen des Artilleriedepots und des Proviantmagazins mit ihren sehr sorgfältig angelegten Umfassungsmauern in grauem Lehmschlag, einige Pulver- und Munitions- "uigazine mit den nötigen Posten an die militärische Bedeutung der Gebiets¬ hauptstadt. Der Bahnhof ist nächst dem Taschkenter der besteingerichtete der ganzen mittelasiatischen Eisenbahn und entspricht der Bedeutung des Ortes °is Haupthandelsplatz im Warenaustausch mit dem persischen Chorasscm. In der Nähe von Aschabad verdienen die Parkanlagen. Pflanzungen und land¬ wirtschaftlichen Musteranstalten des Anis Keschi, eine für die Entwicklung des gesamten Gebiets hochwichtige Schöpfung Kuropatkins ans dessen Regierungs- zeit als Gebietschef, Beachtung, während auf der andern Seite der Stadt die sehenswerten Ruinen der wahrscheinlich von Dschingis-Khan zerstörten und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/553>, abgerufen am 23.07.2024.