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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Aschabad und Unigegend

Redoute vorgeschoben. Noch heute sind alle diese Verteidigungsanlagen, wenn¬
gleich durch das russische Artilleriefeuer stark mitgenommen, verwaschen und ver¬
schüttet, deutlich zu erkennen, ebenso das Neduit, der heilige Berg Dengli-tepe,
in dessen Abhänge verschiedne Räume, zum Beispiel auch eine Büchsenmacherci,
eingehohlt waren. Die Gruben für die Erdhütten und die Brunnen sind verfallen,
und Steppenkrüuter bedecken die fast ebne Fläche, auf der die russische Artillerie
entsetzlich hätte wirken müssen, wenn sie über ein gutes Material und reichliche
Munition verfügt Hütte. Skobeljeff entschloß sich zu einer Art förmlichen An¬
griffs gegen die Südostecke -- an eine Anschließung der Festung war bei der
numerischen Schwäche seines Detachemeuts (6672 Mann, 79 Geschütze) ja
nicht zu denken. Nacheinander wurden vorschriftsmäßig drei Parallelen auf-
gehoben, nicht ohne daß der Verteidiger den Fortgang dieser Arbeiten durch
Ausfülle und Gegenangriffe gegen die Flanken des Sappenangriffs öfter ge¬
stört hätte. Den 24. Januar am Vormittag 10 Uhr 20 Minuten erfolgte
auf das durch die Sprengung einer Mine unter dem Wall gegebne Signal
der Sturm in drei Kolonnen, durch die Minenbresche (Kuropcitkin), dnrch die
Artilleriebresche von Süden her (Kosjelkoff) und mit Leitern gegen den Zitadell¬
teil des Walles im Westen (Gaidaroff). Ein voller Erfolg wurde dem Sieger
zuteil, mit einem Verlust von 5 Offizieren, 55 Mann an Toten und 28 Offi¬
zieren und 311 Mann an Verwundeten nicht zu teuer bezahlt. Er brachte
dem Weißen Zaren den nunmehr unbestrittenen Besitz des Landes bis zum
Tedshen und veranlaßte nach Konsolidation der russischen Herrschaft in der
Unheil-Oase drei Jahre später die Turkmenen der Merw-Oase am Murgab zu
friedlicher Unterwerfung.

Die schöne russische Sitte, heldenhafte Taten und Personen durch eine
Sammlung von Bildern und Andenken in einem Spezialmnseum zu ehren, ist
auch in Geol-tepe beobachtet worden. Bei den Denkmälern der beteiligten
Regimenter und gefallnen Georgsritter gegenüber dem Stationsgebäude erhebt
sich ein gefüllig stilisiertes Gebäude, worin Pläne und Skizzen aus den Kämpfen,
ein Schlachtgemälde, der Sturm von Geol-tepe von Rondot, an die Begebenheit
erinnern und russische und turkmenische Waffen aus der Zeit des Krieges auf¬
bewahrt werden, auch der verdiente Führer M. D. Skobeljeff zu Ehren kommt.
Die unvermeidlichen Ansichtspostkarten verkauft der Museumsdiener, ein alter
Invalide aus jener Zeit.

Die uns bleibende Muße bis zum Abgang des Güterzugs nach Aschabad
wurde zum Besuch eiuer Tekinzenfcnnilie und ihrer bienenkorbartigen Zellen
verwandt. Die photographische Ausbeute dieses Abstechers war ein Bild,
das dem einer Ansichtspostkarte im transkaspischen Handel verzweifelt ähnlich
sieht. Eine andre Bekanntschaft wurde ein freiwilliger Turkmenenreitcr mit
seinem Streitroß, der die Bahnlinie abpatroulliert hatte und einen unanfecht¬
baren Beweis lieferte, daß die Russen es verstanden haben, aus den Tekinzen
sehr brauchbare Untertanen zu machen. In den Güterzug war auch einer


Aschabad und Unigegend

Redoute vorgeschoben. Noch heute sind alle diese Verteidigungsanlagen, wenn¬
gleich durch das russische Artilleriefeuer stark mitgenommen, verwaschen und ver¬
schüttet, deutlich zu erkennen, ebenso das Neduit, der heilige Berg Dengli-tepe,
in dessen Abhänge verschiedne Räume, zum Beispiel auch eine Büchsenmacherci,
eingehohlt waren. Die Gruben für die Erdhütten und die Brunnen sind verfallen,
und Steppenkrüuter bedecken die fast ebne Fläche, auf der die russische Artillerie
entsetzlich hätte wirken müssen, wenn sie über ein gutes Material und reichliche
Munition verfügt Hütte. Skobeljeff entschloß sich zu einer Art förmlichen An¬
griffs gegen die Südostecke — an eine Anschließung der Festung war bei der
numerischen Schwäche seines Detachemeuts (6672 Mann, 79 Geschütze) ja
nicht zu denken. Nacheinander wurden vorschriftsmäßig drei Parallelen auf-
gehoben, nicht ohne daß der Verteidiger den Fortgang dieser Arbeiten durch
Ausfülle und Gegenangriffe gegen die Flanken des Sappenangriffs öfter ge¬
stört hätte. Den 24. Januar am Vormittag 10 Uhr 20 Minuten erfolgte
auf das durch die Sprengung einer Mine unter dem Wall gegebne Signal
der Sturm in drei Kolonnen, durch die Minenbresche (Kuropcitkin), dnrch die
Artilleriebresche von Süden her (Kosjelkoff) und mit Leitern gegen den Zitadell¬
teil des Walles im Westen (Gaidaroff). Ein voller Erfolg wurde dem Sieger
zuteil, mit einem Verlust von 5 Offizieren, 55 Mann an Toten und 28 Offi¬
zieren und 311 Mann an Verwundeten nicht zu teuer bezahlt. Er brachte
dem Weißen Zaren den nunmehr unbestrittenen Besitz des Landes bis zum
Tedshen und veranlaßte nach Konsolidation der russischen Herrschaft in der
Unheil-Oase drei Jahre später die Turkmenen der Merw-Oase am Murgab zu
friedlicher Unterwerfung.

Die schöne russische Sitte, heldenhafte Taten und Personen durch eine
Sammlung von Bildern und Andenken in einem Spezialmnseum zu ehren, ist
auch in Geol-tepe beobachtet worden. Bei den Denkmälern der beteiligten
Regimenter und gefallnen Georgsritter gegenüber dem Stationsgebäude erhebt
sich ein gefüllig stilisiertes Gebäude, worin Pläne und Skizzen aus den Kämpfen,
ein Schlachtgemälde, der Sturm von Geol-tepe von Rondot, an die Begebenheit
erinnern und russische und turkmenische Waffen aus der Zeit des Krieges auf¬
bewahrt werden, auch der verdiente Führer M. D. Skobeljeff zu Ehren kommt.
Die unvermeidlichen Ansichtspostkarten verkauft der Museumsdiener, ein alter
Invalide aus jener Zeit.

Die uns bleibende Muße bis zum Abgang des Güterzugs nach Aschabad
wurde zum Besuch eiuer Tekinzenfcnnilie und ihrer bienenkorbartigen Zellen
verwandt. Die photographische Ausbeute dieses Abstechers war ein Bild,
das dem einer Ansichtspostkarte im transkaspischen Handel verzweifelt ähnlich
sieht. Eine andre Bekanntschaft wurde ein freiwilliger Turkmenenreitcr mit
seinem Streitroß, der die Bahnlinie abpatroulliert hatte und einen unanfecht¬
baren Beweis lieferte, daß die Russen es verstanden haben, aus den Tekinzen
sehr brauchbare Untertanen zu machen. In den Güterzug war auch einer


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[0552] Aschabad und Unigegend Redoute vorgeschoben. Noch heute sind alle diese Verteidigungsanlagen, wenn¬ gleich durch das russische Artilleriefeuer stark mitgenommen, verwaschen und ver¬ schüttet, deutlich zu erkennen, ebenso das Neduit, der heilige Berg Dengli-tepe, in dessen Abhänge verschiedne Räume, zum Beispiel auch eine Büchsenmacherci, eingehohlt waren. Die Gruben für die Erdhütten und die Brunnen sind verfallen, und Steppenkrüuter bedecken die fast ebne Fläche, auf der die russische Artillerie entsetzlich hätte wirken müssen, wenn sie über ein gutes Material und reichliche Munition verfügt Hütte. Skobeljeff entschloß sich zu einer Art förmlichen An¬ griffs gegen die Südostecke — an eine Anschließung der Festung war bei der numerischen Schwäche seines Detachemeuts (6672 Mann, 79 Geschütze) ja nicht zu denken. Nacheinander wurden vorschriftsmäßig drei Parallelen auf- gehoben, nicht ohne daß der Verteidiger den Fortgang dieser Arbeiten durch Ausfülle und Gegenangriffe gegen die Flanken des Sappenangriffs öfter ge¬ stört hätte. Den 24. Januar am Vormittag 10 Uhr 20 Minuten erfolgte auf das durch die Sprengung einer Mine unter dem Wall gegebne Signal der Sturm in drei Kolonnen, durch die Minenbresche (Kuropcitkin), dnrch die Artilleriebresche von Süden her (Kosjelkoff) und mit Leitern gegen den Zitadell¬ teil des Walles im Westen (Gaidaroff). Ein voller Erfolg wurde dem Sieger zuteil, mit einem Verlust von 5 Offizieren, 55 Mann an Toten und 28 Offi¬ zieren und 311 Mann an Verwundeten nicht zu teuer bezahlt. Er brachte dem Weißen Zaren den nunmehr unbestrittenen Besitz des Landes bis zum Tedshen und veranlaßte nach Konsolidation der russischen Herrschaft in der Unheil-Oase drei Jahre später die Turkmenen der Merw-Oase am Murgab zu friedlicher Unterwerfung. Die schöne russische Sitte, heldenhafte Taten und Personen durch eine Sammlung von Bildern und Andenken in einem Spezialmnseum zu ehren, ist auch in Geol-tepe beobachtet worden. Bei den Denkmälern der beteiligten Regimenter und gefallnen Georgsritter gegenüber dem Stationsgebäude erhebt sich ein gefüllig stilisiertes Gebäude, worin Pläne und Skizzen aus den Kämpfen, ein Schlachtgemälde, der Sturm von Geol-tepe von Rondot, an die Begebenheit erinnern und russische und turkmenische Waffen aus der Zeit des Krieges auf¬ bewahrt werden, auch der verdiente Führer M. D. Skobeljeff zu Ehren kommt. Die unvermeidlichen Ansichtspostkarten verkauft der Museumsdiener, ein alter Invalide aus jener Zeit. Die uns bleibende Muße bis zum Abgang des Güterzugs nach Aschabad wurde zum Besuch eiuer Tekinzenfcnnilie und ihrer bienenkorbartigen Zellen verwandt. Die photographische Ausbeute dieses Abstechers war ein Bild, das dem einer Ansichtspostkarte im transkaspischen Handel verzweifelt ähnlich sieht. Eine andre Bekanntschaft wurde ein freiwilliger Turkmenenreitcr mit seinem Streitroß, der die Bahnlinie abpatroulliert hatte und einen unanfecht¬ baren Beweis lieferte, daß die Russen es verstanden haben, aus den Tekinzen sehr brauchbare Untertanen zu machen. In den Güterzug war auch einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/552>, abgerufen am 23.07.2024.