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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Deutsche Liebesbriefe

Eifersucht spielt auch in diesem Verhältnis eine Rolle; Frau Caroline
Richter hatte so manchesmal Grund, über den teuern Gemahl zu klagen, der
sich in vertrauliche Tändeleien mit jungen Mädchen einließ und sie "stunden¬
lang" küßte.

In einen seltsam qualvollen Brautstand schauen wir in den Briefen
Heinrichs von Kleist an Wilhelmine von Zeuge, und es bleibt unverständlich,
wie man auf Grund dieser Dokumente Kleist als Opfer der Treulosigkeit
seiner Braut hinstellen und Wilhelmine für alles Unglück des Dichters ver¬
antwortlich machen konnte. Biedermann, der Herausgeber der Briefe, hat
mit Recht für sie Partei ergriffen. Andrerseits darf man den pedantisch be¬
lehrenden Ton, den Kleist seiner Braut gegenüber anschlägt, und der in dieser
Sammlung von Liebesbriefen einzig dasteht (wenn wir von Moltkes weit
bescheidneren und durch den großen Altersunterschied zwischen ihm und seiner
Erwählten berechtigter^ Schulmeistern absehen), nicht aus Mangel an wahrer
Liebe erklären.

Ein andres Paar, das unser Interesse in hohem Maße in Anspruch
nimmt, ist Schelling und Caroline Schlegel. "Du bist nun", schreibt Caroline
1801 an den um zwölf Jahre jüngern, "meines Kindes Bruder, ich gebe Dir
diesen heiligen Segen. Es ist fortan ein Verbrechen, wenn wir uns etwas
anders seyn wollten", und "Nimm unser wunderbares Bündnis, wie es ist,
jurare nicht mehr über das, was es nicht seyn konnte." Sie erkennt freilich
an, daß ihm die Resignation schwerer werden müsse als ihr: "So wie du
in das Bewußtseyn tratest, waren Deine Forderungen an das Schicksal die
eines Herrschers, recht bestimmt, von keiner Einschränkung wissend." So kam
es denn auch nicht zum Verzicht; zwei Jahre darauf wurde die geistvolle
Frau, nachdem sie von Wilhelm Schlegel gerichtlich geschieden war, Schellings
Gattin.

Unbefriedigt blieben dagegen die Wünsche der Dichterin Caroline von
Günderode, deren Andenken kürzlich bei der hundertsten Wiederkehr ihres Todes¬
tages erneuert worden ist. Zeidler hat einen äußerst charakteristischen wollust-
truntnen Brief, den ihr Clemens Brentano widmete, und ihre Korrespondenz
mit dem Heidelberger Professor Friedrich Creuzer, mit dem sie eine unglück¬
liche Liebe verband, aufgenommen. Creuzer, der mit einer dreizehn Jahre
ältern Frau verheiratet war, wollte sich von dieser scheiden lassen, um die
Günderode heiraten zu können, und hegte den abenteuerlichen Gedanken, die
erste Gattin als Mutter, als Führerin in sein neues Hauswesen aufzunehmen!
Es kam weder zu dem einen noch zu dem andern. Creuzer resignierte, und
die Dichterin ging in den Tod.

Auch in das Herzensleben zweier Jüdinnen, die unter den Frauengestalten
der Romantik eine hervorragende Stellung einnehmen, gewährt der Heraus¬
geber Einblick. Rahel Levin, der in die Seele gelegt war, was Natur und
Umstände ihr für das Gesicht versagt hatten, tritt als Liebende und Geliebte


Deutsche Liebesbriefe

Eifersucht spielt auch in diesem Verhältnis eine Rolle; Frau Caroline
Richter hatte so manchesmal Grund, über den teuern Gemahl zu klagen, der
sich in vertrauliche Tändeleien mit jungen Mädchen einließ und sie „stunden¬
lang" küßte.

In einen seltsam qualvollen Brautstand schauen wir in den Briefen
Heinrichs von Kleist an Wilhelmine von Zeuge, und es bleibt unverständlich,
wie man auf Grund dieser Dokumente Kleist als Opfer der Treulosigkeit
seiner Braut hinstellen und Wilhelmine für alles Unglück des Dichters ver¬
antwortlich machen konnte. Biedermann, der Herausgeber der Briefe, hat
mit Recht für sie Partei ergriffen. Andrerseits darf man den pedantisch be¬
lehrenden Ton, den Kleist seiner Braut gegenüber anschlägt, und der in dieser
Sammlung von Liebesbriefen einzig dasteht (wenn wir von Moltkes weit
bescheidneren und durch den großen Altersunterschied zwischen ihm und seiner
Erwählten berechtigter^ Schulmeistern absehen), nicht aus Mangel an wahrer
Liebe erklären.

Ein andres Paar, das unser Interesse in hohem Maße in Anspruch
nimmt, ist Schelling und Caroline Schlegel. „Du bist nun", schreibt Caroline
1801 an den um zwölf Jahre jüngern, „meines Kindes Bruder, ich gebe Dir
diesen heiligen Segen. Es ist fortan ein Verbrechen, wenn wir uns etwas
anders seyn wollten", und „Nimm unser wunderbares Bündnis, wie es ist,
jurare nicht mehr über das, was es nicht seyn konnte." Sie erkennt freilich
an, daß ihm die Resignation schwerer werden müsse als ihr: „So wie du
in das Bewußtseyn tratest, waren Deine Forderungen an das Schicksal die
eines Herrschers, recht bestimmt, von keiner Einschränkung wissend." So kam
es denn auch nicht zum Verzicht; zwei Jahre darauf wurde die geistvolle
Frau, nachdem sie von Wilhelm Schlegel gerichtlich geschieden war, Schellings
Gattin.

Unbefriedigt blieben dagegen die Wünsche der Dichterin Caroline von
Günderode, deren Andenken kürzlich bei der hundertsten Wiederkehr ihres Todes¬
tages erneuert worden ist. Zeidler hat einen äußerst charakteristischen wollust-
truntnen Brief, den ihr Clemens Brentano widmete, und ihre Korrespondenz
mit dem Heidelberger Professor Friedrich Creuzer, mit dem sie eine unglück¬
liche Liebe verband, aufgenommen. Creuzer, der mit einer dreizehn Jahre
ältern Frau verheiratet war, wollte sich von dieser scheiden lassen, um die
Günderode heiraten zu können, und hegte den abenteuerlichen Gedanken, die
erste Gattin als Mutter, als Führerin in sein neues Hauswesen aufzunehmen!
Es kam weder zu dem einen noch zu dem andern. Creuzer resignierte, und
die Dichterin ging in den Tod.

Auch in das Herzensleben zweier Jüdinnen, die unter den Frauengestalten
der Romantik eine hervorragende Stellung einnehmen, gewährt der Heraus¬
geber Einblick. Rahel Levin, der in die Seele gelegt war, was Natur und
Umstände ihr für das Gesicht versagt hatten, tritt als Liebende und Geliebte


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[0540] Deutsche Liebesbriefe Eifersucht spielt auch in diesem Verhältnis eine Rolle; Frau Caroline Richter hatte so manchesmal Grund, über den teuern Gemahl zu klagen, der sich in vertrauliche Tändeleien mit jungen Mädchen einließ und sie „stunden¬ lang" küßte. In einen seltsam qualvollen Brautstand schauen wir in den Briefen Heinrichs von Kleist an Wilhelmine von Zeuge, und es bleibt unverständlich, wie man auf Grund dieser Dokumente Kleist als Opfer der Treulosigkeit seiner Braut hinstellen und Wilhelmine für alles Unglück des Dichters ver¬ antwortlich machen konnte. Biedermann, der Herausgeber der Briefe, hat mit Recht für sie Partei ergriffen. Andrerseits darf man den pedantisch be¬ lehrenden Ton, den Kleist seiner Braut gegenüber anschlägt, und der in dieser Sammlung von Liebesbriefen einzig dasteht (wenn wir von Moltkes weit bescheidneren und durch den großen Altersunterschied zwischen ihm und seiner Erwählten berechtigter^ Schulmeistern absehen), nicht aus Mangel an wahrer Liebe erklären. Ein andres Paar, das unser Interesse in hohem Maße in Anspruch nimmt, ist Schelling und Caroline Schlegel. „Du bist nun", schreibt Caroline 1801 an den um zwölf Jahre jüngern, „meines Kindes Bruder, ich gebe Dir diesen heiligen Segen. Es ist fortan ein Verbrechen, wenn wir uns etwas anders seyn wollten", und „Nimm unser wunderbares Bündnis, wie es ist, jurare nicht mehr über das, was es nicht seyn konnte." Sie erkennt freilich an, daß ihm die Resignation schwerer werden müsse als ihr: „So wie du in das Bewußtseyn tratest, waren Deine Forderungen an das Schicksal die eines Herrschers, recht bestimmt, von keiner Einschränkung wissend." So kam es denn auch nicht zum Verzicht; zwei Jahre darauf wurde die geistvolle Frau, nachdem sie von Wilhelm Schlegel gerichtlich geschieden war, Schellings Gattin. Unbefriedigt blieben dagegen die Wünsche der Dichterin Caroline von Günderode, deren Andenken kürzlich bei der hundertsten Wiederkehr ihres Todes¬ tages erneuert worden ist. Zeidler hat einen äußerst charakteristischen wollust- truntnen Brief, den ihr Clemens Brentano widmete, und ihre Korrespondenz mit dem Heidelberger Professor Friedrich Creuzer, mit dem sie eine unglück¬ liche Liebe verband, aufgenommen. Creuzer, der mit einer dreizehn Jahre ältern Frau verheiratet war, wollte sich von dieser scheiden lassen, um die Günderode heiraten zu können, und hegte den abenteuerlichen Gedanken, die erste Gattin als Mutter, als Führerin in sein neues Hauswesen aufzunehmen! Es kam weder zu dem einen noch zu dem andern. Creuzer resignierte, und die Dichterin ging in den Tod. Auch in das Herzensleben zweier Jüdinnen, die unter den Frauengestalten der Romantik eine hervorragende Stellung einnehmen, gewährt der Heraus¬ geber Einblick. Rahel Levin, der in die Seele gelegt war, was Natur und Umstände ihr für das Gesicht versagt hatten, tritt als Liebende und Geliebte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/540>, abgerufen am 23.07.2024.