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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Materialistische Strömungen in der amerikanischen Literatur

Symbol in alle" erdenklichen Konstellationen herhalten. Was außerhalb der
Region des Grahmnschen Fabrikbetriebes liegt, erkennt er zwar ebenfalls als
daseinsberechtigt an; aber alte und neue Sprachen, Musik und Eisenbahnen,
Bildermalen und Seifenreklame haben für ihn ziemlich den gleichen Wert, was
schon ans dieser Art der Gruppierung hervorgeht. Deutlicher noch verrät sich
sein Standpunkt in folgenden Sätzen:

"Du wirst in dieser Welt eine Masse erstklassiger Narren treffen, die sagen,
Geschäft ist roh und gemein, weil ihre rohen und gemeinen Großpapas Geld
genug zusammengeschachert haben, daß sie nicht zu arbeiten brauchen. Und
ferner wirst du eine Menge zweitklassiger Narren treffen, die sich was zugute
tun ans ihre sogenannte Bildung, die zu guter Erziehung etwa in demselben
Verhältnis steht wie Cornedbeef zu Fleischschnittchen mit Champignons. Diese
Jungens schaudern bei dem bloßen Worte Geschäft und winseln über die tolle
Jagd nach Reichtum und jammern über die rohe Geschäftswut dieses Zeitalters.
Mit einem Geschäftsmanne wissen sie nichts anzufangen, doch für sein Geld
haben sie immer Verwendung. Dn mußt Wohl auf der Hut sein, wenn du mit
ihnen verhandelst, deun sobald jemand es nicht für zartfühlend hält, das Wort
Geld in den Mund zu nehmen und statt dessen Honorar sagt, dann hat er den
Hintergedanken, dir etwas mehr als den Marktpreis anzukreiden. Ich habe mit
einer ganzen Herde dieser verzierten, sensitiven Kerls zu tun gehabt, die davor
zurückschreckten, deu Dollar zu erwähnen, aber Wenns zum Abrechnen kam, ver¬
suchten sie meist, ein Extra-Item für den sllcxzk ihres Zartgefühls anzusetzen.
Tatsache ist: wir stehn alle im Geschüftsleben, sobald wir irgendetwas, gleich¬
viel ob Poesie oder Schweinefleisch, zu verkaufen haben. Und es ist Unsinn,
davon zu reden, daß diese Ware anders ist als jene. . . . Wenn wir aber nichts
zu verkaufen haben, dann tun wir auch nichts dazu, die Welt weiter zu rollen,
und dann sollten wir einem derben, geschäftskundigen Jungen mit einem Waren¬
probenkasten Platz machen."

Außerhalb des Kreises dieser dusmöss Romantiker wird man einen so
hohen Grad praktischer Lebensweisheit zwar vergebens suchen, aber die mate¬
rialistische Strömung hat auch in andre Gruppen der amerikanischen Belletristik
ihren Weg gefunden. Da gibt es eine Anzahl von Schriftstellern, die bestrebt
sind, ein möglichst treues Abbild des Lebens drüben zu geben, die vielfarbig
schillernden Charaktertypen festzuhalten, die sich durch die komplizierte Lebens¬
führung in der amerikanischen Großstadt herausgebildet haben. Die psycho¬
logischen Studien, die in Werken dieser Art enthalten sind, verlieren sich jedoch
meist in ausgetüftelte Kleinmalereien und erscheinen im Vergleich mit der tief¬
gehenden Seelenforschung Hawthornes wie schwächliches und oft manieriertes
Epigonentum. Denn auch die psychologischen Probleme, wie Henry James und
Howells sie fassen, sind nur photographische Wiedergaben des wirklichen Lebens
und sind mit Augen geschaut, die große Züge nicht zu fassen vermögen. So
mangelt diesen Bildern die künstlerische Verklärung, und Howells ehrliches und


Materialistische Strömungen in der amerikanischen Literatur

Symbol in alle» erdenklichen Konstellationen herhalten. Was außerhalb der
Region des Grahmnschen Fabrikbetriebes liegt, erkennt er zwar ebenfalls als
daseinsberechtigt an; aber alte und neue Sprachen, Musik und Eisenbahnen,
Bildermalen und Seifenreklame haben für ihn ziemlich den gleichen Wert, was
schon ans dieser Art der Gruppierung hervorgeht. Deutlicher noch verrät sich
sein Standpunkt in folgenden Sätzen:

„Du wirst in dieser Welt eine Masse erstklassiger Narren treffen, die sagen,
Geschäft ist roh und gemein, weil ihre rohen und gemeinen Großpapas Geld
genug zusammengeschachert haben, daß sie nicht zu arbeiten brauchen. Und
ferner wirst du eine Menge zweitklassiger Narren treffen, die sich was zugute
tun ans ihre sogenannte Bildung, die zu guter Erziehung etwa in demselben
Verhältnis steht wie Cornedbeef zu Fleischschnittchen mit Champignons. Diese
Jungens schaudern bei dem bloßen Worte Geschäft und winseln über die tolle
Jagd nach Reichtum und jammern über die rohe Geschäftswut dieses Zeitalters.
Mit einem Geschäftsmanne wissen sie nichts anzufangen, doch für sein Geld
haben sie immer Verwendung. Dn mußt Wohl auf der Hut sein, wenn du mit
ihnen verhandelst, deun sobald jemand es nicht für zartfühlend hält, das Wort
Geld in den Mund zu nehmen und statt dessen Honorar sagt, dann hat er den
Hintergedanken, dir etwas mehr als den Marktpreis anzukreiden. Ich habe mit
einer ganzen Herde dieser verzierten, sensitiven Kerls zu tun gehabt, die davor
zurückschreckten, deu Dollar zu erwähnen, aber Wenns zum Abrechnen kam, ver¬
suchten sie meist, ein Extra-Item für den sllcxzk ihres Zartgefühls anzusetzen.
Tatsache ist: wir stehn alle im Geschüftsleben, sobald wir irgendetwas, gleich¬
viel ob Poesie oder Schweinefleisch, zu verkaufen haben. Und es ist Unsinn,
davon zu reden, daß diese Ware anders ist als jene. . . . Wenn wir aber nichts
zu verkaufen haben, dann tun wir auch nichts dazu, die Welt weiter zu rollen,
und dann sollten wir einem derben, geschäftskundigen Jungen mit einem Waren¬
probenkasten Platz machen."

Außerhalb des Kreises dieser dusmöss Romantiker wird man einen so
hohen Grad praktischer Lebensweisheit zwar vergebens suchen, aber die mate¬
rialistische Strömung hat auch in andre Gruppen der amerikanischen Belletristik
ihren Weg gefunden. Da gibt es eine Anzahl von Schriftstellern, die bestrebt
sind, ein möglichst treues Abbild des Lebens drüben zu geben, die vielfarbig
schillernden Charaktertypen festzuhalten, die sich durch die komplizierte Lebens¬
führung in der amerikanischen Großstadt herausgebildet haben. Die psycho¬
logischen Studien, die in Werken dieser Art enthalten sind, verlieren sich jedoch
meist in ausgetüftelte Kleinmalereien und erscheinen im Vergleich mit der tief¬
gehenden Seelenforschung Hawthornes wie schwächliches und oft manieriertes
Epigonentum. Denn auch die psychologischen Probleme, wie Henry James und
Howells sie fassen, sind nur photographische Wiedergaben des wirklichen Lebens
und sind mit Augen geschaut, die große Züge nicht zu fassen vermögen. So
mangelt diesen Bildern die künstlerische Verklärung, und Howells ehrliches und


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[0316] Materialistische Strömungen in der amerikanischen Literatur Symbol in alle» erdenklichen Konstellationen herhalten. Was außerhalb der Region des Grahmnschen Fabrikbetriebes liegt, erkennt er zwar ebenfalls als daseinsberechtigt an; aber alte und neue Sprachen, Musik und Eisenbahnen, Bildermalen und Seifenreklame haben für ihn ziemlich den gleichen Wert, was schon ans dieser Art der Gruppierung hervorgeht. Deutlicher noch verrät sich sein Standpunkt in folgenden Sätzen: „Du wirst in dieser Welt eine Masse erstklassiger Narren treffen, die sagen, Geschäft ist roh und gemein, weil ihre rohen und gemeinen Großpapas Geld genug zusammengeschachert haben, daß sie nicht zu arbeiten brauchen. Und ferner wirst du eine Menge zweitklassiger Narren treffen, die sich was zugute tun ans ihre sogenannte Bildung, die zu guter Erziehung etwa in demselben Verhältnis steht wie Cornedbeef zu Fleischschnittchen mit Champignons. Diese Jungens schaudern bei dem bloßen Worte Geschäft und winseln über die tolle Jagd nach Reichtum und jammern über die rohe Geschäftswut dieses Zeitalters. Mit einem Geschäftsmanne wissen sie nichts anzufangen, doch für sein Geld haben sie immer Verwendung. Dn mußt Wohl auf der Hut sein, wenn du mit ihnen verhandelst, deun sobald jemand es nicht für zartfühlend hält, das Wort Geld in den Mund zu nehmen und statt dessen Honorar sagt, dann hat er den Hintergedanken, dir etwas mehr als den Marktpreis anzukreiden. Ich habe mit einer ganzen Herde dieser verzierten, sensitiven Kerls zu tun gehabt, die davor zurückschreckten, deu Dollar zu erwähnen, aber Wenns zum Abrechnen kam, ver¬ suchten sie meist, ein Extra-Item für den sllcxzk ihres Zartgefühls anzusetzen. Tatsache ist: wir stehn alle im Geschüftsleben, sobald wir irgendetwas, gleich¬ viel ob Poesie oder Schweinefleisch, zu verkaufen haben. Und es ist Unsinn, davon zu reden, daß diese Ware anders ist als jene. . . . Wenn wir aber nichts zu verkaufen haben, dann tun wir auch nichts dazu, die Welt weiter zu rollen, und dann sollten wir einem derben, geschäftskundigen Jungen mit einem Waren¬ probenkasten Platz machen." Außerhalb des Kreises dieser dusmöss Romantiker wird man einen so hohen Grad praktischer Lebensweisheit zwar vergebens suchen, aber die mate¬ rialistische Strömung hat auch in andre Gruppen der amerikanischen Belletristik ihren Weg gefunden. Da gibt es eine Anzahl von Schriftstellern, die bestrebt sind, ein möglichst treues Abbild des Lebens drüben zu geben, die vielfarbig schillernden Charaktertypen festzuhalten, die sich durch die komplizierte Lebens¬ führung in der amerikanischen Großstadt herausgebildet haben. Die psycho¬ logischen Studien, die in Werken dieser Art enthalten sind, verlieren sich jedoch meist in ausgetüftelte Kleinmalereien und erscheinen im Vergleich mit der tief¬ gehenden Seelenforschung Hawthornes wie schwächliches und oft manieriertes Epigonentum. Denn auch die psychologischen Probleme, wie Henry James und Howells sie fassen, sind nur photographische Wiedergaben des wirklichen Lebens und sind mit Augen geschaut, die große Züge nicht zu fassen vermögen. So mangelt diesen Bildern die künstlerische Verklärung, und Howells ehrliches und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/316>, abgerufen am 23.07.2024.