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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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vor vierzig Jahren

gar für Österreich entscheiden werde, glaubte kein Mensch. Dabei genoß die
eigne Regierung im Lande wenig Sympathien; man schalt sie wohl hier und
da, mit Bezug auf die Abhängigkeit des blinden Königs von seiner Umgebung,
geradezu ein "Lakaienregiment". Was ich dagegen von der schon damals
ganz klaren Parteistellung der sächsischen Regierung erfuhr, war geeignet, einen
bedenklichen Eindruck zu machen. Schon Mitte Mai rückten die Leipziger Jäger¬
bataillone aus, um zu der sich um Dresden sammelnden Armee zu stoßen.
Damals (Anfang Juni) war eben der außerordentliche sächsische Landtag, der
die Mittel zur Mobilisierung bewilligen sollte, eröffnet worden; die Thronrede
hatte deutlich genug "von unberechtigten Drohungen gegenüber Mindermächtigen"
gesprochen, denen man sich nicht unterwerfen dürfe, und der Widerspruch des
Bürgermeisters Koch von Leipzig gegen jene Bewilligung wurde ihm beinahe
als Vaterlandsverrat ausgelegt. Aber mein Vater schrieb mir, von eigentlichen
Sympathien für Österreich sei keine Rede, um so mehr freilich von Abneigung
gegen Preußen; was man wünsche, sei vor allem die ungeschmälerte Erhaltung
Sachsens, die man von Preußen bedroht wähnte; in diesem Falle hoffte man
auf den energischen Beistand Österreichs. Höchst widerwärtig war nach den
Zeitungen die überwiegende Stimmung in Süddeutschland. In Württemberg
schimpfte man sich "Du Preuß", und in der Frankfurter "Kritik" verfocht ein
haßerfüllter Artikel die Zerstücklung Preußens und die "Germanisierung"
Preußens durch süddeutsche Garnisonen. Wahrlich, das deutsche Volk von
damals wollte seine bundesstaatliche Einheit im Ernste durchaus nicht!

Inzwischen machte sich auch dem ärgsten und stumpfsinnigsten Philister
eine Folge der unsichern Lage sehr unbequem bemerkbar. Das oft so schmutzige
und wohl auch halbzerrissene Papiergeld, unser gewöhnliches Zahlungsmittel
außer Silber und Kupfer, diese in allen Farben prangenden Talerscheine, mit
denen damals alle deutschen Regierungen wetteifernd mit zahllosen Banken
Deutschland überschwemmten, ein glänzender Beweis dafür, daß die Deutschen
dieser Zeit nicht einmal auf diesem doch durchaus neutralen Boden irgendwelche
Einheit zustande bringen konnten, begannen, sobald sie "ausländisch" waren,
im Kurse zu sinken. Eine Note der Leipziger Bank über zwanzig Taler wurde
in Göttingen schon am 15. Mai nur noch zu 19 Talern 10 Groschen an¬
genommen, ein preußischer Talerschein sollte am 19. nur noch 27 Groschen
gelten. Ähnliches wurde aus Leipzig berichtet, wo alles zu den Banken
drängte, um das Papiergeld gegen Silber einzuwechseln und die Silbertaler
fast ganz aus dem Verkehr verschwanden. Der mittelstaatliche Antrag auf
allseitige Abrüstung, der am 19. Mai bekannt wurde, und der Vorschlag eines
europäischen Kongresses beruhigten wieder etwas, so sehr beides ein Schlag
ins Wasser war. Aber die Nachricht vom Abschluß des preußisch-italienischen
Bündnisses, die endlich am 20. Mai bekannt wurde, deuteten wieder auf Krieg,
und die überraschende Reise des Prinzen Karl von Hohenzollern nach Rumänien,
die in denselben Tagen durch die Blätter lief, zeigte deutlich genug, wie weit


vor vierzig Jahren

gar für Österreich entscheiden werde, glaubte kein Mensch. Dabei genoß die
eigne Regierung im Lande wenig Sympathien; man schalt sie wohl hier und
da, mit Bezug auf die Abhängigkeit des blinden Königs von seiner Umgebung,
geradezu ein „Lakaienregiment". Was ich dagegen von der schon damals
ganz klaren Parteistellung der sächsischen Regierung erfuhr, war geeignet, einen
bedenklichen Eindruck zu machen. Schon Mitte Mai rückten die Leipziger Jäger¬
bataillone aus, um zu der sich um Dresden sammelnden Armee zu stoßen.
Damals (Anfang Juni) war eben der außerordentliche sächsische Landtag, der
die Mittel zur Mobilisierung bewilligen sollte, eröffnet worden; die Thronrede
hatte deutlich genug „von unberechtigten Drohungen gegenüber Mindermächtigen"
gesprochen, denen man sich nicht unterwerfen dürfe, und der Widerspruch des
Bürgermeisters Koch von Leipzig gegen jene Bewilligung wurde ihm beinahe
als Vaterlandsverrat ausgelegt. Aber mein Vater schrieb mir, von eigentlichen
Sympathien für Österreich sei keine Rede, um so mehr freilich von Abneigung
gegen Preußen; was man wünsche, sei vor allem die ungeschmälerte Erhaltung
Sachsens, die man von Preußen bedroht wähnte; in diesem Falle hoffte man
auf den energischen Beistand Österreichs. Höchst widerwärtig war nach den
Zeitungen die überwiegende Stimmung in Süddeutschland. In Württemberg
schimpfte man sich „Du Preuß", und in der Frankfurter „Kritik" verfocht ein
haßerfüllter Artikel die Zerstücklung Preußens und die „Germanisierung"
Preußens durch süddeutsche Garnisonen. Wahrlich, das deutsche Volk von
damals wollte seine bundesstaatliche Einheit im Ernste durchaus nicht!

Inzwischen machte sich auch dem ärgsten und stumpfsinnigsten Philister
eine Folge der unsichern Lage sehr unbequem bemerkbar. Das oft so schmutzige
und wohl auch halbzerrissene Papiergeld, unser gewöhnliches Zahlungsmittel
außer Silber und Kupfer, diese in allen Farben prangenden Talerscheine, mit
denen damals alle deutschen Regierungen wetteifernd mit zahllosen Banken
Deutschland überschwemmten, ein glänzender Beweis dafür, daß die Deutschen
dieser Zeit nicht einmal auf diesem doch durchaus neutralen Boden irgendwelche
Einheit zustande bringen konnten, begannen, sobald sie „ausländisch" waren,
im Kurse zu sinken. Eine Note der Leipziger Bank über zwanzig Taler wurde
in Göttingen schon am 15. Mai nur noch zu 19 Talern 10 Groschen an¬
genommen, ein preußischer Talerschein sollte am 19. nur noch 27 Groschen
gelten. Ähnliches wurde aus Leipzig berichtet, wo alles zu den Banken
drängte, um das Papiergeld gegen Silber einzuwechseln und die Silbertaler
fast ganz aus dem Verkehr verschwanden. Der mittelstaatliche Antrag auf
allseitige Abrüstung, der am 19. Mai bekannt wurde, und der Vorschlag eines
europäischen Kongresses beruhigten wieder etwas, so sehr beides ein Schlag
ins Wasser war. Aber die Nachricht vom Abschluß des preußisch-italienischen
Bündnisses, die endlich am 20. Mai bekannt wurde, deuteten wieder auf Krieg,
und die überraschende Reise des Prinzen Karl von Hohenzollern nach Rumänien,
die in denselben Tagen durch die Blätter lief, zeigte deutlich genug, wie weit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/308>, abgerufen am 23.07.2024.