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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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vor vierzig Jahren

die Spannung zwischen Preußen und Österreich, das diese Thronkandidatur
durchaus nicht wollte, sondern darin einen feindlichen Schachzug sah, schon
gediehen sei.

Unter diesen Umständen war mir eine Abendgesellschaft, zu der ich von
Ernst Curtius für den 17. Mai geladen war, von besonderm Interesse, denn
ich traf hier Gäste aus verschiednen Teilen Deutschlands, dazu einige Schweizer
und einen Griechen aus Cäsarea in Kleinasien, Studenten und junge Doktoren.
Natürlich beherrschten die Tagesfragen das Gespräch. An Frieden glaubte
niemand mehr, am wenigsten Curtius selbst; die Preußen aber waren durchweg
voll Mut und Zuversicht. Sie hoben hervor, ihre Armee habe viel mehr
Offiziere als die österreichische und enthalte vor allem mehr gebildete Elemente.
Von der Genialität Moltkes, die sich freilich erst in diesem Feldzuge offenbaren
sollte, wußte man noch nichts, er galt nur für "einen sehr tüchtigen Offizier". Die
Anspannung, das gaben alle zu, sei freilich ungeheuer, und lange könne Preußen
dieses gewaltige Aufgebot, das in alle Verhältnisse aufs tiefste eingriff -- man
sprach von 640000 Mann, die unter Waffen stünden --, nicht aufrecht erhalten.
Andrerseits verlautete dann wohl, daß eine tiefe Erbitterung gegen das
herrschende System im Lande weit verbreitet sei, und manche Schwarzseher
wollten sogar eine Revolution für möglich halten, was wieder von andern
scharf bestritten wurde. Sehr erfrischend wirkte manchen Kundgebungen gegen¬
über die mannhafte Erklärung des Breslauer Magistrats, für die Größe
Preußens sei Schlesien bereit, alles ans sich zu nehmen. So beging Göttingen
unter dem Druck einer dunkeln, sorgenschweren Zukunft am 27. Mai den
Geburtstag des Königs Georg in der üblichen Weise mit Böllerschüssen, Musik
und Festessen, und niemand ahnte, daß es der letzte sein sollte.

Mit dem Anfang Juni begannen die Dinge rascher vorwärts zu gehn.
Am 3. Juni hatten wir die Nachricht, daß Österreich die Entscheidung der
Schleswig-holsteinischen Sache dem Bundestage überwiesen, also die Gasteiner
Konvention gebrochen habe. Damit war der Krieg ganz nahe gerückt. Offenbar
zu einem letzten Verständigungsversuche eilte der Großherzog von Baden nach
Pillnitz, aber am 7. wußten wir, daß er unverrichteter Sache wieder abgereist
sei, am 8. meldete der Telegraph den preußischen Einmarsch in Holstein (7. Juni),
den Rückzug der Österreicher nach Akkon". Danach einige Tage eine fast
beängstigende Stille, die dumpfe Schwüle vor dem Gewitter. Wie ein Blitz,
der die Lage taghell beleuchtete, kam uns da ein Artikel Treitschkes im Juni¬
heft der Preußischen Jahrbücher "Der Krieg und die Bundesreform".*) Darin
riet der Historiker seinen liberalen Freunden in Preußen, abzustehn von der
Erkümpfung des unbeschränkten Steuerbewilligungsrechts, sich zufrieden zu geben
mit der Wiederherstellung des verfassungsmäßigen Budgetsrechts und die aus¬
wärtige Politik Bismarcks zu unterstützen, den sie durch keinen Liberalen er-



1 Jetzt abgedruckt in den "Zehn Jahren deutscher Kämpfe", 1, 37S ff.
vor vierzig Jahren

die Spannung zwischen Preußen und Österreich, das diese Thronkandidatur
durchaus nicht wollte, sondern darin einen feindlichen Schachzug sah, schon
gediehen sei.

Unter diesen Umständen war mir eine Abendgesellschaft, zu der ich von
Ernst Curtius für den 17. Mai geladen war, von besonderm Interesse, denn
ich traf hier Gäste aus verschiednen Teilen Deutschlands, dazu einige Schweizer
und einen Griechen aus Cäsarea in Kleinasien, Studenten und junge Doktoren.
Natürlich beherrschten die Tagesfragen das Gespräch. An Frieden glaubte
niemand mehr, am wenigsten Curtius selbst; die Preußen aber waren durchweg
voll Mut und Zuversicht. Sie hoben hervor, ihre Armee habe viel mehr
Offiziere als die österreichische und enthalte vor allem mehr gebildete Elemente.
Von der Genialität Moltkes, die sich freilich erst in diesem Feldzuge offenbaren
sollte, wußte man noch nichts, er galt nur für „einen sehr tüchtigen Offizier". Die
Anspannung, das gaben alle zu, sei freilich ungeheuer, und lange könne Preußen
dieses gewaltige Aufgebot, das in alle Verhältnisse aufs tiefste eingriff — man
sprach von 640000 Mann, die unter Waffen stünden —, nicht aufrecht erhalten.
Andrerseits verlautete dann wohl, daß eine tiefe Erbitterung gegen das
herrschende System im Lande weit verbreitet sei, und manche Schwarzseher
wollten sogar eine Revolution für möglich halten, was wieder von andern
scharf bestritten wurde. Sehr erfrischend wirkte manchen Kundgebungen gegen¬
über die mannhafte Erklärung des Breslauer Magistrats, für die Größe
Preußens sei Schlesien bereit, alles ans sich zu nehmen. So beging Göttingen
unter dem Druck einer dunkeln, sorgenschweren Zukunft am 27. Mai den
Geburtstag des Königs Georg in der üblichen Weise mit Böllerschüssen, Musik
und Festessen, und niemand ahnte, daß es der letzte sein sollte.

Mit dem Anfang Juni begannen die Dinge rascher vorwärts zu gehn.
Am 3. Juni hatten wir die Nachricht, daß Österreich die Entscheidung der
Schleswig-holsteinischen Sache dem Bundestage überwiesen, also die Gasteiner
Konvention gebrochen habe. Damit war der Krieg ganz nahe gerückt. Offenbar
zu einem letzten Verständigungsversuche eilte der Großherzog von Baden nach
Pillnitz, aber am 7. wußten wir, daß er unverrichteter Sache wieder abgereist
sei, am 8. meldete der Telegraph den preußischen Einmarsch in Holstein (7. Juni),
den Rückzug der Österreicher nach Akkon«. Danach einige Tage eine fast
beängstigende Stille, die dumpfe Schwüle vor dem Gewitter. Wie ein Blitz,
der die Lage taghell beleuchtete, kam uns da ein Artikel Treitschkes im Juni¬
heft der Preußischen Jahrbücher „Der Krieg und die Bundesreform".*) Darin
riet der Historiker seinen liberalen Freunden in Preußen, abzustehn von der
Erkümpfung des unbeschränkten Steuerbewilligungsrechts, sich zufrieden zu geben
mit der Wiederherstellung des verfassungsmäßigen Budgetsrechts und die aus¬
wärtige Politik Bismarcks zu unterstützen, den sie durch keinen Liberalen er-



1 Jetzt abgedruckt in den „Zehn Jahren deutscher Kämpfe", 1, 37S ff.
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[0309] vor vierzig Jahren die Spannung zwischen Preußen und Österreich, das diese Thronkandidatur durchaus nicht wollte, sondern darin einen feindlichen Schachzug sah, schon gediehen sei. Unter diesen Umständen war mir eine Abendgesellschaft, zu der ich von Ernst Curtius für den 17. Mai geladen war, von besonderm Interesse, denn ich traf hier Gäste aus verschiednen Teilen Deutschlands, dazu einige Schweizer und einen Griechen aus Cäsarea in Kleinasien, Studenten und junge Doktoren. Natürlich beherrschten die Tagesfragen das Gespräch. An Frieden glaubte niemand mehr, am wenigsten Curtius selbst; die Preußen aber waren durchweg voll Mut und Zuversicht. Sie hoben hervor, ihre Armee habe viel mehr Offiziere als die österreichische und enthalte vor allem mehr gebildete Elemente. Von der Genialität Moltkes, die sich freilich erst in diesem Feldzuge offenbaren sollte, wußte man noch nichts, er galt nur für „einen sehr tüchtigen Offizier". Die Anspannung, das gaben alle zu, sei freilich ungeheuer, und lange könne Preußen dieses gewaltige Aufgebot, das in alle Verhältnisse aufs tiefste eingriff — man sprach von 640000 Mann, die unter Waffen stünden —, nicht aufrecht erhalten. Andrerseits verlautete dann wohl, daß eine tiefe Erbitterung gegen das herrschende System im Lande weit verbreitet sei, und manche Schwarzseher wollten sogar eine Revolution für möglich halten, was wieder von andern scharf bestritten wurde. Sehr erfrischend wirkte manchen Kundgebungen gegen¬ über die mannhafte Erklärung des Breslauer Magistrats, für die Größe Preußens sei Schlesien bereit, alles ans sich zu nehmen. So beging Göttingen unter dem Druck einer dunkeln, sorgenschweren Zukunft am 27. Mai den Geburtstag des Königs Georg in der üblichen Weise mit Böllerschüssen, Musik und Festessen, und niemand ahnte, daß es der letzte sein sollte. Mit dem Anfang Juni begannen die Dinge rascher vorwärts zu gehn. Am 3. Juni hatten wir die Nachricht, daß Österreich die Entscheidung der Schleswig-holsteinischen Sache dem Bundestage überwiesen, also die Gasteiner Konvention gebrochen habe. Damit war der Krieg ganz nahe gerückt. Offenbar zu einem letzten Verständigungsversuche eilte der Großherzog von Baden nach Pillnitz, aber am 7. wußten wir, daß er unverrichteter Sache wieder abgereist sei, am 8. meldete der Telegraph den preußischen Einmarsch in Holstein (7. Juni), den Rückzug der Österreicher nach Akkon«. Danach einige Tage eine fast beängstigende Stille, die dumpfe Schwüle vor dem Gewitter. Wie ein Blitz, der die Lage taghell beleuchtete, kam uns da ein Artikel Treitschkes im Juni¬ heft der Preußischen Jahrbücher „Der Krieg und die Bundesreform".*) Darin riet der Historiker seinen liberalen Freunden in Preußen, abzustehn von der Erkümpfung des unbeschränkten Steuerbewilligungsrechts, sich zufrieden zu geben mit der Wiederherstellung des verfassungsmäßigen Budgetsrechts und die aus¬ wärtige Politik Bismarcks zu unterstützen, den sie durch keinen Liberalen er- 1 Jetzt abgedruckt in den „Zehn Jahren deutscher Kämpfe", 1, 37S ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/309>, abgerufen am 23.07.2024.