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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Aulturbilder aus den Balkanstaaten

Die staatlichen und Verkehrsinstitute in Athen sind dagegen alles andre als
monumental. Das hängt damit zusammen, daß in Griechenland weder Staat
noch Gemeinden Geld für großartige Bauten übrig haben, und daß alle, die
davon vorhanden sind, aus Stiftungen reicher Privatleute errichtet worden
sind, diese aber, dem griechischen Charakter entsprechend, mehr Verständnis
für wissenschaftliche und Bildungszwecke haben als für die des Staats¬
und Gemeiudewesens. Der alte griechische Individualismus wirkt hierin noch
deutlich nach. Rumänien und auch Bulgarien dagegen legen hauptsächlich
Wert auf die Festigung von Rechtspflege, Verkehrs- und Wirtschaftsleben
und bringen dies auch in den Gebäuden ihrer Hauptstädte zum Ausdruck.
Athen gehört zunächst der Wissenschaft, speziell der Archäologie; nur diese
sind großer Prachtbauten würdig, die Befriedigung praktischer Bedürfnisse
kommt erst an zweiter Stelle, und wenn der Staat kein Geld dazu hat,
auch dann noch nicht. Lieber muß sich Athen bei seiner großen Ausdehnung
mit zwei Postämtern begnügen, *) als daß große Kulturaufgaben, wie die Aus¬
legung des Stations mit Marmor und die Abhaltung olympischer Spiele,
darunter leiden dürften. Lieber eine Akademie der Wissenschaften, die leer
steht, als ein Gerichtsgebäude, das der Würde des Staates entspräche. "Die
Wissenschaft und das Altertum haben uns aufgefressen," sagte mir einmal ein
griechischer Freund.

Das Einzige, was in Athen daran erinnert, daß man in der Hauptstadt
eines eignen, modernen Staates ist, ist das Schloß und das Parlament;
^ide präsentieren sich breit und gewaltig als die Vertreter des politischen
Lebens: hier König -- hier Volk! als wollten sie beide an äußerer Positur
den Mangel innerer Kraft und Bedeutung ersetzen; denn das griechische König¬
tum ist ebenso jämmerlich wie die griechische Volksvertretung: den Formen
sehlt auch hier der Inhalt. Beide Gebäude lassen auch aus ihrem Äußern
auf ihre Bestimmung schließen: das nüchterne Athener Schloß erinnert ebenso
sehr an eine Kaserne wie das monumentale Parlament an ein Theater (be¬
sonders in seinem hohen Oberbau etwas an das Berliner Schauspielhaus),
sollte das vielleicht beabsichtigt gewesen sein? Denselben Eindruck macht
übrigens auch das bulgarische Parlament in Sofia, die Sobranje, die wie ein
A'uuckes deutsches Stadttheater aussieht; es werden ja auch darin manche
Komödien auf Kosten des Landes aufgeführt. Dagegen berührt es angenehm.
W sich die Residenzschlösser in Bukarest und in Sofia nicht über die Ge-
aude ihrer Umgebung erheben, sich vielmehr ihnen bescheiden anpassen.



^) Erst seitdem ein reicher Grieche sein palastartiges Haus dem Staate geschenkt hat,
Athen ein modernes, geräumiges Postamt. Hoffentlich hat die griechische PostVerwaltung
wu ihren Beamten das Rauchen während des Schalterdienstes verboten; denn es erinnert
edenklich an türkische Zustände, wenn man, wie es dem Verfasser begegnet ist, erleben muß,
"h der Herr Beamte das vor dem Schalter stehende Publikum ruhig warten läßt, bis er seine
"Mrette gedreht und in Brand gesteckt hat.
Grenzboten IV 1906 33
Aulturbilder aus den Balkanstaaten

Die staatlichen und Verkehrsinstitute in Athen sind dagegen alles andre als
monumental. Das hängt damit zusammen, daß in Griechenland weder Staat
noch Gemeinden Geld für großartige Bauten übrig haben, und daß alle, die
davon vorhanden sind, aus Stiftungen reicher Privatleute errichtet worden
sind, diese aber, dem griechischen Charakter entsprechend, mehr Verständnis
für wissenschaftliche und Bildungszwecke haben als für die des Staats¬
und Gemeiudewesens. Der alte griechische Individualismus wirkt hierin noch
deutlich nach. Rumänien und auch Bulgarien dagegen legen hauptsächlich
Wert auf die Festigung von Rechtspflege, Verkehrs- und Wirtschaftsleben
und bringen dies auch in den Gebäuden ihrer Hauptstädte zum Ausdruck.
Athen gehört zunächst der Wissenschaft, speziell der Archäologie; nur diese
sind großer Prachtbauten würdig, die Befriedigung praktischer Bedürfnisse
kommt erst an zweiter Stelle, und wenn der Staat kein Geld dazu hat,
auch dann noch nicht. Lieber muß sich Athen bei seiner großen Ausdehnung
mit zwei Postämtern begnügen, *) als daß große Kulturaufgaben, wie die Aus¬
legung des Stations mit Marmor und die Abhaltung olympischer Spiele,
darunter leiden dürften. Lieber eine Akademie der Wissenschaften, die leer
steht, als ein Gerichtsgebäude, das der Würde des Staates entspräche. „Die
Wissenschaft und das Altertum haben uns aufgefressen," sagte mir einmal ein
griechischer Freund.

Das Einzige, was in Athen daran erinnert, daß man in der Hauptstadt
eines eignen, modernen Staates ist, ist das Schloß und das Parlament;
^ide präsentieren sich breit und gewaltig als die Vertreter des politischen
Lebens: hier König — hier Volk! als wollten sie beide an äußerer Positur
den Mangel innerer Kraft und Bedeutung ersetzen; denn das griechische König¬
tum ist ebenso jämmerlich wie die griechische Volksvertretung: den Formen
sehlt auch hier der Inhalt. Beide Gebäude lassen auch aus ihrem Äußern
auf ihre Bestimmung schließen: das nüchterne Athener Schloß erinnert ebenso
sehr an eine Kaserne wie das monumentale Parlament an ein Theater (be¬
sonders in seinem hohen Oberbau etwas an das Berliner Schauspielhaus),
sollte das vielleicht beabsichtigt gewesen sein? Denselben Eindruck macht
übrigens auch das bulgarische Parlament in Sofia, die Sobranje, die wie ein
A'uuckes deutsches Stadttheater aussieht; es werden ja auch darin manche
Komödien auf Kosten des Landes aufgeführt. Dagegen berührt es angenehm.
W sich die Residenzschlösser in Bukarest und in Sofia nicht über die Ge-
aude ihrer Umgebung erheben, sich vielmehr ihnen bescheiden anpassen.



^) Erst seitdem ein reicher Grieche sein palastartiges Haus dem Staate geschenkt hat,
Athen ein modernes, geräumiges Postamt. Hoffentlich hat die griechische PostVerwaltung
wu ihren Beamten das Rauchen während des Schalterdienstes verboten; denn es erinnert
edenklich an türkische Zustände, wenn man, wie es dem Verfasser begegnet ist, erleben muß,
«h der Herr Beamte das vor dem Schalter stehende Publikum ruhig warten läßt, bis er seine
«Mrette gedreht und in Brand gesteckt hat.
Grenzboten IV 1906 33
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[0265] Aulturbilder aus den Balkanstaaten Die staatlichen und Verkehrsinstitute in Athen sind dagegen alles andre als monumental. Das hängt damit zusammen, daß in Griechenland weder Staat noch Gemeinden Geld für großartige Bauten übrig haben, und daß alle, die davon vorhanden sind, aus Stiftungen reicher Privatleute errichtet worden sind, diese aber, dem griechischen Charakter entsprechend, mehr Verständnis für wissenschaftliche und Bildungszwecke haben als für die des Staats¬ und Gemeiudewesens. Der alte griechische Individualismus wirkt hierin noch deutlich nach. Rumänien und auch Bulgarien dagegen legen hauptsächlich Wert auf die Festigung von Rechtspflege, Verkehrs- und Wirtschaftsleben und bringen dies auch in den Gebäuden ihrer Hauptstädte zum Ausdruck. Athen gehört zunächst der Wissenschaft, speziell der Archäologie; nur diese sind großer Prachtbauten würdig, die Befriedigung praktischer Bedürfnisse kommt erst an zweiter Stelle, und wenn der Staat kein Geld dazu hat, auch dann noch nicht. Lieber muß sich Athen bei seiner großen Ausdehnung mit zwei Postämtern begnügen, *) als daß große Kulturaufgaben, wie die Aus¬ legung des Stations mit Marmor und die Abhaltung olympischer Spiele, darunter leiden dürften. Lieber eine Akademie der Wissenschaften, die leer steht, als ein Gerichtsgebäude, das der Würde des Staates entspräche. „Die Wissenschaft und das Altertum haben uns aufgefressen," sagte mir einmal ein griechischer Freund. Das Einzige, was in Athen daran erinnert, daß man in der Hauptstadt eines eignen, modernen Staates ist, ist das Schloß und das Parlament; ^ide präsentieren sich breit und gewaltig als die Vertreter des politischen Lebens: hier König — hier Volk! als wollten sie beide an äußerer Positur den Mangel innerer Kraft und Bedeutung ersetzen; denn das griechische König¬ tum ist ebenso jämmerlich wie die griechische Volksvertretung: den Formen sehlt auch hier der Inhalt. Beide Gebäude lassen auch aus ihrem Äußern auf ihre Bestimmung schließen: das nüchterne Athener Schloß erinnert ebenso sehr an eine Kaserne wie das monumentale Parlament an ein Theater (be¬ sonders in seinem hohen Oberbau etwas an das Berliner Schauspielhaus), sollte das vielleicht beabsichtigt gewesen sein? Denselben Eindruck macht übrigens auch das bulgarische Parlament in Sofia, die Sobranje, die wie ein A'uuckes deutsches Stadttheater aussieht; es werden ja auch darin manche Komödien auf Kosten des Landes aufgeführt. Dagegen berührt es angenehm. W sich die Residenzschlösser in Bukarest und in Sofia nicht über die Ge- aude ihrer Umgebung erheben, sich vielmehr ihnen bescheiden anpassen. ^) Erst seitdem ein reicher Grieche sein palastartiges Haus dem Staate geschenkt hat, Athen ein modernes, geräumiges Postamt. Hoffentlich hat die griechische PostVerwaltung wu ihren Beamten das Rauchen während des Schalterdienstes verboten; denn es erinnert edenklich an türkische Zustände, wenn man, wie es dem Verfasser begegnet ist, erleben muß, «h der Herr Beamte das vor dem Schalter stehende Publikum ruhig warten läßt, bis er seine «Mrette gedreht und in Brand gesteckt hat. Grenzboten IV 1906 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/265>, abgerufen am 29.06.2024.