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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Aulturbilder aus den Balkanstaaten

Ein gemeinsamer Vorzug sowohl von Bukarest wie von Athen und von
Belgrad sowie schone Denkmale echter und wahrer Wohltätigkeit sind die
zahlreichen aus privaten Stiftungen gegründeten und unterhaltnen Kranken¬
häuser und Hospitäler, die sich der Aufmerksamkeit der nur auf "Sehenswürdig¬
keiten" gerichteten Fremden gewöhnlich entziehn. Was an diesen meist vorzüglich
eingerichteten und musterhaft geleiteten Anstalten besonders vorbildlich ist, das
ist die völlige, wohl im Wesen der griechischen Kirche liegende Unentgeltlich¬
keit ihrer Verpflegung für nicht zahlungsfähige In- und Ausländer. In
Bukarest steht in dieser Hinsicht an der ersten Stelle das Spital der Bran-
kovanschen Stiftungen, durch die sich die weiblichen Nachkommen des samt seinen
Söhnen 1751 von den Türken Hingerichteten Fürsten Brankovcm die höchsten
Verdienste erworben haben, und denen wir höchstens in den Franckischen
Stiftungen in Halle etwas ähnliches zur Seite stellen können. Außer aus
dem Krankenhause bestehn jene Stiftungen ans einer Schule, einem Asyl für
alte Frauen und einer nach der ersten Stifterin benannten prächtigen Kirche
nebst großen Parkanlagen und nehmen einen kleinen Stadtteil für sich ein.
Außerdem hat Bukarest noch fünf weitere große Hospitäler mit je 140 bis
200 Betten, ferner ein großes Siechen- und Irrenhaus, ein Kinderspital, ein
Asyl für weibliche Waisen, besonders von Offizieren und Beamten, sowie sechs
kleinere Asyle, alles aus Privatmitteln unterhalten.

Kann sich auch Athen solcher großartigen Stiftungen nicht rühmen, so
fordert doch die Gerechtigkeit, darauf hinzuweisen, daß sich die griechischen
Patrioten nicht nur die Gründung von Akademien und Museen, sondern auch
von Hospitälern angelegen sein ließen: alle Institute dieser Art in Athen, ein
großes Krankenhaus, ein Zivilhospital, eine Augenklinik, ein Waisen-, Findel-
und Irrenhaus sowie eine Abendschule für die Stiefelputzer verdanken ihre
Entstehung wohltätigen Stiftungen.

Diese reiche private Opferwilligkeit in Verbindung mit der geringen Ent¬
wicklung der Gemeindetätigkeit ist wohl der Grund, daß man in allen Balkan¬
städten ein eignes Rathaus vermißt und nur ein wenig auffallendes Bürger¬
meisteramt findet.

Trotzdem kann man nicht leugnen, daß die Stadtverwaltungen im
allgemeinen in guten Händen liegen: Bukarest, Athen und Sofia haben in
den Hauptstraßen elektrische, sonst Gasbeleuchtung, ferner -- mit Ausnahme
von Athen -- elektrische Straßenbahn und gute Pflasterung, hübsche öffent¬
liche Parkanlagen, unter denen besonders der aus einem Fiebersumpfe ge¬
schaffne Park Cismegiu in Bukarest seinesgleichen sucht; aber auch Belgrad
und Sofia haben schöne Stadtgarten, wobei es kulturgeschichtlich merkwürdig
ist, daß der Belgrader ebenso wie der Bukarester einen türkischen Namen
(Kalimegdan) führt, weil er an der Stelle der alten ..Walstatt" liegt, wo in
der Türkenzeit die Hinrichtungen stattfanden. Nur in Athen fehlt es. wenn
man von dem schönen Schloßpark absieht, der aber dem Publikum nur an


Aulturbilder aus den Balkanstaaten

Ein gemeinsamer Vorzug sowohl von Bukarest wie von Athen und von
Belgrad sowie schone Denkmale echter und wahrer Wohltätigkeit sind die
zahlreichen aus privaten Stiftungen gegründeten und unterhaltnen Kranken¬
häuser und Hospitäler, die sich der Aufmerksamkeit der nur auf „Sehenswürdig¬
keiten" gerichteten Fremden gewöhnlich entziehn. Was an diesen meist vorzüglich
eingerichteten und musterhaft geleiteten Anstalten besonders vorbildlich ist, das
ist die völlige, wohl im Wesen der griechischen Kirche liegende Unentgeltlich¬
keit ihrer Verpflegung für nicht zahlungsfähige In- und Ausländer. In
Bukarest steht in dieser Hinsicht an der ersten Stelle das Spital der Bran-
kovanschen Stiftungen, durch die sich die weiblichen Nachkommen des samt seinen
Söhnen 1751 von den Türken Hingerichteten Fürsten Brankovcm die höchsten
Verdienste erworben haben, und denen wir höchstens in den Franckischen
Stiftungen in Halle etwas ähnliches zur Seite stellen können. Außer aus
dem Krankenhause bestehn jene Stiftungen ans einer Schule, einem Asyl für
alte Frauen und einer nach der ersten Stifterin benannten prächtigen Kirche
nebst großen Parkanlagen und nehmen einen kleinen Stadtteil für sich ein.
Außerdem hat Bukarest noch fünf weitere große Hospitäler mit je 140 bis
200 Betten, ferner ein großes Siechen- und Irrenhaus, ein Kinderspital, ein
Asyl für weibliche Waisen, besonders von Offizieren und Beamten, sowie sechs
kleinere Asyle, alles aus Privatmitteln unterhalten.

Kann sich auch Athen solcher großartigen Stiftungen nicht rühmen, so
fordert doch die Gerechtigkeit, darauf hinzuweisen, daß sich die griechischen
Patrioten nicht nur die Gründung von Akademien und Museen, sondern auch
von Hospitälern angelegen sein ließen: alle Institute dieser Art in Athen, ein
großes Krankenhaus, ein Zivilhospital, eine Augenklinik, ein Waisen-, Findel-
und Irrenhaus sowie eine Abendschule für die Stiefelputzer verdanken ihre
Entstehung wohltätigen Stiftungen.

Diese reiche private Opferwilligkeit in Verbindung mit der geringen Ent¬
wicklung der Gemeindetätigkeit ist wohl der Grund, daß man in allen Balkan¬
städten ein eignes Rathaus vermißt und nur ein wenig auffallendes Bürger¬
meisteramt findet.

Trotzdem kann man nicht leugnen, daß die Stadtverwaltungen im
allgemeinen in guten Händen liegen: Bukarest, Athen und Sofia haben in
den Hauptstraßen elektrische, sonst Gasbeleuchtung, ferner — mit Ausnahme
von Athen — elektrische Straßenbahn und gute Pflasterung, hübsche öffent¬
liche Parkanlagen, unter denen besonders der aus einem Fiebersumpfe ge¬
schaffne Park Cismegiu in Bukarest seinesgleichen sucht; aber auch Belgrad
und Sofia haben schöne Stadtgarten, wobei es kulturgeschichtlich merkwürdig
ist, daß der Belgrader ebenso wie der Bukarester einen türkischen Namen
(Kalimegdan) führt, weil er an der Stelle der alten ..Walstatt" liegt, wo in
der Türkenzeit die Hinrichtungen stattfanden. Nur in Athen fehlt es. wenn
man von dem schönen Schloßpark absieht, der aber dem Publikum nur an


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[0266] Aulturbilder aus den Balkanstaaten Ein gemeinsamer Vorzug sowohl von Bukarest wie von Athen und von Belgrad sowie schone Denkmale echter und wahrer Wohltätigkeit sind die zahlreichen aus privaten Stiftungen gegründeten und unterhaltnen Kranken¬ häuser und Hospitäler, die sich der Aufmerksamkeit der nur auf „Sehenswürdig¬ keiten" gerichteten Fremden gewöhnlich entziehn. Was an diesen meist vorzüglich eingerichteten und musterhaft geleiteten Anstalten besonders vorbildlich ist, das ist die völlige, wohl im Wesen der griechischen Kirche liegende Unentgeltlich¬ keit ihrer Verpflegung für nicht zahlungsfähige In- und Ausländer. In Bukarest steht in dieser Hinsicht an der ersten Stelle das Spital der Bran- kovanschen Stiftungen, durch die sich die weiblichen Nachkommen des samt seinen Söhnen 1751 von den Türken Hingerichteten Fürsten Brankovcm die höchsten Verdienste erworben haben, und denen wir höchstens in den Franckischen Stiftungen in Halle etwas ähnliches zur Seite stellen können. Außer aus dem Krankenhause bestehn jene Stiftungen ans einer Schule, einem Asyl für alte Frauen und einer nach der ersten Stifterin benannten prächtigen Kirche nebst großen Parkanlagen und nehmen einen kleinen Stadtteil für sich ein. Außerdem hat Bukarest noch fünf weitere große Hospitäler mit je 140 bis 200 Betten, ferner ein großes Siechen- und Irrenhaus, ein Kinderspital, ein Asyl für weibliche Waisen, besonders von Offizieren und Beamten, sowie sechs kleinere Asyle, alles aus Privatmitteln unterhalten. Kann sich auch Athen solcher großartigen Stiftungen nicht rühmen, so fordert doch die Gerechtigkeit, darauf hinzuweisen, daß sich die griechischen Patrioten nicht nur die Gründung von Akademien und Museen, sondern auch von Hospitälern angelegen sein ließen: alle Institute dieser Art in Athen, ein großes Krankenhaus, ein Zivilhospital, eine Augenklinik, ein Waisen-, Findel- und Irrenhaus sowie eine Abendschule für die Stiefelputzer verdanken ihre Entstehung wohltätigen Stiftungen. Diese reiche private Opferwilligkeit in Verbindung mit der geringen Ent¬ wicklung der Gemeindetätigkeit ist wohl der Grund, daß man in allen Balkan¬ städten ein eignes Rathaus vermißt und nur ein wenig auffallendes Bürger¬ meisteramt findet. Trotzdem kann man nicht leugnen, daß die Stadtverwaltungen im allgemeinen in guten Händen liegen: Bukarest, Athen und Sofia haben in den Hauptstraßen elektrische, sonst Gasbeleuchtung, ferner — mit Ausnahme von Athen — elektrische Straßenbahn und gute Pflasterung, hübsche öffent¬ liche Parkanlagen, unter denen besonders der aus einem Fiebersumpfe ge¬ schaffne Park Cismegiu in Bukarest seinesgleichen sucht; aber auch Belgrad und Sofia haben schöne Stadtgarten, wobei es kulturgeschichtlich merkwürdig ist, daß der Belgrader ebenso wie der Bukarester einen türkischen Namen (Kalimegdan) führt, weil er an der Stelle der alten ..Walstatt" liegt, wo in der Türkenzeit die Hinrichtungen stattfanden. Nur in Athen fehlt es. wenn man von dem schönen Schloßpark absieht, der aber dem Publikum nur an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/266>, abgerufen am 26.06.2024.