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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Verzicht auf den preußischen Landtag und durch das Rückgreifen auf Provinzial-
stände das ruhmvolle sichere Erbe feiner Unter in Atome aufzulösen. Die
starke preußische Hausmacht der Kaiser ist einer der wesentlichsten Vorzüge des
neuen Reiches. Das alte ging hauptsachlich mit daran zugrunde, daß seine Kaiser
auf die Vermehrung ihrer Hausmacht immer mehr bedacht gewesen waren als
auf die Vermehrung der Reichsmacht. Es hätte sonst schwerlich geschehen können,
daß sie sich die Seegewalt in der Ost- und in der Nordsee entgehen ließen,
anstatt sie als Mittel zum Aufbau einer starken Reichsgewalt zu verwerten,
eine Unterlassungssünde, die sich schwer gerächt hat.

Nach dem Fall von Straßburg und dem feierlichen Einzuge in die wieder
gewonnene Reichsfeste war der Großherzog nach Karlsruhe zurückgekehrt, ent¬
schlossen, sich durch die Vermittlung des Kronprinzen Aufschluß über die
scheinbar so geheimnisvolle Zurückhaltung der preußischen Diplomatie zu ver¬
schaffen. Der Großherzog wußte, wie es scheint, von Delbrücks Denkschrift, von
ihrer Billigung durch Bismarck und den König noch nichts; er war aber doch
wohl darüber unterrichtet, daß das Haupthindernis für die Kaiseridee einst¬
weilen noch der König selbst war, und daß es zu einer Überwindung feiner
Abneigung, der wesentlich ein Mißtrauen in den guten Willen der deutschen
Fürsten, das heißt Württembergs und Bayerns, zugrunde lag. einer Initiative
der fürstlichen Bundesgenossen, der König von Bayern an der Spitze, bedürfte.
Die Schwierigkeiten, die dabei in der Person des Königs Ludwig lagen, waren
damals noch nicht so einfach zu verstehen, wie dies heute der Fall ist.

Von der Hilfe, die er im eignen Lager fand, hatte der Bundeskanzler
bis zu Delbrücks Berufung keinen großen Eindruck gewinnen können. Der
Kronprinz hatte ihm mit einem eilig hingeworfnen Schreiben vom 14. August aus
dem Hauptquartier Blämont in Lothringen eine Denkschrift über Friedensschluß
und Friedensbedingungen übersandt. die sich über Elsaß und Lothringen höchst
unklar und widerspruchsvoll aussprach, sich aber dafür mit einer Rücknahme
der Verbannungsdekrete gegen die Bourbons und die Orleans sowie mit einer
Neneinteilung Frankreichs beschäftigte. Hinsichtlich der Einigung Deutschlands
verlangte der Kronprinz die Einheit des Heeres, wollte den süddeutschen Höfen
aber das Gesandtfchciftsrecht belassen; geistliche und Schulangelegenheiten sollten
ans die oberste Bundesbehörde übergehn. Weiter streifte die Denkschrift die
Oberhausidee und empfahl die Berufung des Zollparlaments als konstituierende
Versammlung, da der norddeutsche Reichstag keine Gesamtvertretung darstelle.
Diese Anregung hatte dann wohl mit andern zu Delbrücks Berufung in das
Hauptquartier und zu seiner grundlegenden Arbeit geführt. Der Kaisergedanke
wird in dieser kronprinzlichen Denkschrift nicht erwähnt, obwohl sie der Kron¬
prinz acht Tage zuvor mit dem Großherzog besprochen hatte, es ist im Gegenteil
von "präsidierenden Fürsten" die Rede. Am 20. August hatte dann gelegentlich
eines Besuchs des Kronprinzen beim Könige in Pont-ä-Moussou auch eine Aus¬
sprache mit Bismarck stattgefunden, von der der Kronprinz in feinem Tage-


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Verzicht auf den preußischen Landtag und durch das Rückgreifen auf Provinzial-
stände das ruhmvolle sichere Erbe feiner Unter in Atome aufzulösen. Die
starke preußische Hausmacht der Kaiser ist einer der wesentlichsten Vorzüge des
neuen Reiches. Das alte ging hauptsachlich mit daran zugrunde, daß seine Kaiser
auf die Vermehrung ihrer Hausmacht immer mehr bedacht gewesen waren als
auf die Vermehrung der Reichsmacht. Es hätte sonst schwerlich geschehen können,
daß sie sich die Seegewalt in der Ost- und in der Nordsee entgehen ließen,
anstatt sie als Mittel zum Aufbau einer starken Reichsgewalt zu verwerten,
eine Unterlassungssünde, die sich schwer gerächt hat.

Nach dem Fall von Straßburg und dem feierlichen Einzuge in die wieder
gewonnene Reichsfeste war der Großherzog nach Karlsruhe zurückgekehrt, ent¬
schlossen, sich durch die Vermittlung des Kronprinzen Aufschluß über die
scheinbar so geheimnisvolle Zurückhaltung der preußischen Diplomatie zu ver¬
schaffen. Der Großherzog wußte, wie es scheint, von Delbrücks Denkschrift, von
ihrer Billigung durch Bismarck und den König noch nichts; er war aber doch
wohl darüber unterrichtet, daß das Haupthindernis für die Kaiseridee einst¬
weilen noch der König selbst war, und daß es zu einer Überwindung feiner
Abneigung, der wesentlich ein Mißtrauen in den guten Willen der deutschen
Fürsten, das heißt Württembergs und Bayerns, zugrunde lag. einer Initiative
der fürstlichen Bundesgenossen, der König von Bayern an der Spitze, bedürfte.
Die Schwierigkeiten, die dabei in der Person des Königs Ludwig lagen, waren
damals noch nicht so einfach zu verstehen, wie dies heute der Fall ist.

Von der Hilfe, die er im eignen Lager fand, hatte der Bundeskanzler
bis zu Delbrücks Berufung keinen großen Eindruck gewinnen können. Der
Kronprinz hatte ihm mit einem eilig hingeworfnen Schreiben vom 14. August aus
dem Hauptquartier Blämont in Lothringen eine Denkschrift über Friedensschluß
und Friedensbedingungen übersandt. die sich über Elsaß und Lothringen höchst
unklar und widerspruchsvoll aussprach, sich aber dafür mit einer Rücknahme
der Verbannungsdekrete gegen die Bourbons und die Orleans sowie mit einer
Neneinteilung Frankreichs beschäftigte. Hinsichtlich der Einigung Deutschlands
verlangte der Kronprinz die Einheit des Heeres, wollte den süddeutschen Höfen
aber das Gesandtfchciftsrecht belassen; geistliche und Schulangelegenheiten sollten
ans die oberste Bundesbehörde übergehn. Weiter streifte die Denkschrift die
Oberhausidee und empfahl die Berufung des Zollparlaments als konstituierende
Versammlung, da der norddeutsche Reichstag keine Gesamtvertretung darstelle.
Diese Anregung hatte dann wohl mit andern zu Delbrücks Berufung in das
Hauptquartier und zu seiner grundlegenden Arbeit geführt. Der Kaisergedanke
wird in dieser kronprinzlichen Denkschrift nicht erwähnt, obwohl sie der Kron¬
prinz acht Tage zuvor mit dem Großherzog besprochen hatte, es ist im Gegenteil
von „präsidierenden Fürsten" die Rede. Am 20. August hatte dann gelegentlich
eines Besuchs des Kronprinzen beim Könige in Pont-ä-Moussou auch eine Aus¬
sprache mit Bismarck stattgefunden, von der der Kronprinz in feinem Tage-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/23>, abgerufen am 23.07.2024.