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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

hunde bemerkt, daß Bismarck sehr gemäßigt sei. "Unsre Bedingungen sind
Elsaß und Kriegskosten." Man darf annehmen, daß für Bismarck schon damals
das künftige gemeinsame "Reichsland" als Schlüssel zur Reichs- und Kaiser¬
frage galt, daß ihm aber der Zeitpunkt noch nicht gekommen schien, das offen
auszusprechen. Aber es ist der nämliche Gedanke, der ihn später in Ferneres
zu dem Ausspruch an Jules Fcwre bestimmte: "Straßburg ist der Schlüssel
zu unserm Hause, und wir wollen ihn haben."

Es liegt aus deu Tagen, bevor Delbrück in Rheims eintraf, ein beglaubigtes
Zeugnis von Bedeutung über die Auffassungen vor, die den Bundeskanzler um
diese Zeit hinsichtlich der deutschen Frage erfüllten. Die Veröffentlichung rührt
nicht von ihm her, sondern findet sich im dritten Bande der Denkwürdigkeiten
des frühern preußischen Ministerpräsidenten von Manteuffel. Manteuffel hatte
unter dem 23. August, wohl aus dem Bedürfnis heraus, in so wichtiger Zeit
mit seinem Rat nicht zurückzuhalten, an Bismarck ein Schreiben in das Haupt¬
quartier gerichtet, das sich ebenfalls mit der deutschen Verfassungsfrage und
mit der Zukunft von Elsaß und Lothringen beschäftigte. Mit Bezug auf die
Verfassung ging er von der Voraussetzung aus, daß nach dem Kriege und durch
den Frieden ein größeres deutsches Gemeinwesen im Anschluß an den Nord¬
bund hergestellt, das heißt ein Deutsches Reich gegründet werde. Hinsichtlich
des Elsasses und Lothringens sprach er seine Meinung dahin aus, daß diese Ge¬
biete nicht verteilt, sondern in ihrer Totalität Reichslande werden sollten, also
im Namen des Reichs administriert; ihre Überschüsse sollten in die Bundes¬
kasse fließen, ihre Vertretung sollten sie im Reichstag und in prvvinzialstündischen
Verfassungen finden, beide Gebiete sollten völkerrechtlich für neutral erklärt
werden, Truppen und Festungen halten. Bismarck antwortete aus Rheims am
8. September, zwei Tage vor Delbrücks Eintreffen -- das Schreiben hat sich
unter den Manteuffelschen Papieren gefunden und ist mit diesen veröffentlicht
worden --, folgendes:

"Über die künftige Gestaltung von Deutschland selbst hege ich so wenig
Besorgnis, wie Ew. Exzellenz es tun. Die Mainlinie ist meines Erachtens
durch das Bündnis, welches sich in der Stunde der Gefahr über Verhoffen bewährt
hat, und durch die jetzige Waffenbrüderschaft für alle praktischen Zwecke zur
Verteidigung Deutschlands nach außen hin bereits überschritten. Es unterliegt
auch für mich keinem Zweifel, daß, wie Ew. Exzellenz sagen, unter irgend¬
welchen Formen die Vereinigung der deutschen Staaten ihrer weitern Reife
entgegengehn wird. Ew. Exzellenz werden meine Scheu begreifen, vor der Ent¬
scheidung von dem Preise des Sieges zu sprechen, aber für den Fall, daß der
Sieg unsern Fahnen, was Gott verleihen möge, treu bleibt, und wir für
Deutschland sein altes Reichsland wiedergewinnen, hat der Gedanke, welchen Ew.
Exzellenz aussprechen, daß solche Lande nicht verteilt, sondern zum Reichsland
erklärt und im Namen Deutschlands verwaltet werden, schon nach den ersten
siegreichen Schlachten die Genehmigung Seiner Majestät des Königs


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

hunde bemerkt, daß Bismarck sehr gemäßigt sei. „Unsre Bedingungen sind
Elsaß und Kriegskosten." Man darf annehmen, daß für Bismarck schon damals
das künftige gemeinsame „Reichsland" als Schlüssel zur Reichs- und Kaiser¬
frage galt, daß ihm aber der Zeitpunkt noch nicht gekommen schien, das offen
auszusprechen. Aber es ist der nämliche Gedanke, der ihn später in Ferneres
zu dem Ausspruch an Jules Fcwre bestimmte: „Straßburg ist der Schlüssel
zu unserm Hause, und wir wollen ihn haben."

Es liegt aus deu Tagen, bevor Delbrück in Rheims eintraf, ein beglaubigtes
Zeugnis von Bedeutung über die Auffassungen vor, die den Bundeskanzler um
diese Zeit hinsichtlich der deutschen Frage erfüllten. Die Veröffentlichung rührt
nicht von ihm her, sondern findet sich im dritten Bande der Denkwürdigkeiten
des frühern preußischen Ministerpräsidenten von Manteuffel. Manteuffel hatte
unter dem 23. August, wohl aus dem Bedürfnis heraus, in so wichtiger Zeit
mit seinem Rat nicht zurückzuhalten, an Bismarck ein Schreiben in das Haupt¬
quartier gerichtet, das sich ebenfalls mit der deutschen Verfassungsfrage und
mit der Zukunft von Elsaß und Lothringen beschäftigte. Mit Bezug auf die
Verfassung ging er von der Voraussetzung aus, daß nach dem Kriege und durch
den Frieden ein größeres deutsches Gemeinwesen im Anschluß an den Nord¬
bund hergestellt, das heißt ein Deutsches Reich gegründet werde. Hinsichtlich
des Elsasses und Lothringens sprach er seine Meinung dahin aus, daß diese Ge¬
biete nicht verteilt, sondern in ihrer Totalität Reichslande werden sollten, also
im Namen des Reichs administriert; ihre Überschüsse sollten in die Bundes¬
kasse fließen, ihre Vertretung sollten sie im Reichstag und in prvvinzialstündischen
Verfassungen finden, beide Gebiete sollten völkerrechtlich für neutral erklärt
werden, Truppen und Festungen halten. Bismarck antwortete aus Rheims am
8. September, zwei Tage vor Delbrücks Eintreffen — das Schreiben hat sich
unter den Manteuffelschen Papieren gefunden und ist mit diesen veröffentlicht
worden —, folgendes:

„Über die künftige Gestaltung von Deutschland selbst hege ich so wenig
Besorgnis, wie Ew. Exzellenz es tun. Die Mainlinie ist meines Erachtens
durch das Bündnis, welches sich in der Stunde der Gefahr über Verhoffen bewährt
hat, und durch die jetzige Waffenbrüderschaft für alle praktischen Zwecke zur
Verteidigung Deutschlands nach außen hin bereits überschritten. Es unterliegt
auch für mich keinem Zweifel, daß, wie Ew. Exzellenz sagen, unter irgend¬
welchen Formen die Vereinigung der deutschen Staaten ihrer weitern Reife
entgegengehn wird. Ew. Exzellenz werden meine Scheu begreifen, vor der Ent¬
scheidung von dem Preise des Sieges zu sprechen, aber für den Fall, daß der
Sieg unsern Fahnen, was Gott verleihen möge, treu bleibt, und wir für
Deutschland sein altes Reichsland wiedergewinnen, hat der Gedanke, welchen Ew.
Exzellenz aussprechen, daß solche Lande nicht verteilt, sondern zum Reichsland
erklärt und im Namen Deutschlands verwaltet werden, schon nach den ersten
siegreichen Schlachten die Genehmigung Seiner Majestät des Königs


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/24>, abgerufen am 25.08.2024.