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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Staat. Es werde, wenn man z, B. im weitern Verlauf des Krieges dazu
gedrängt werden sollte, das alte Burgund zu reklamieren, also etwa eine Linie
von Lille nach Belfort zu ziehen, der größte süddeutsche Staat, größer als
Bayern. Der Großherzog führte dann weiter aus, daß ihm Erörterungen mit
den andern süddeutschen Staaten über die Bedingungen eines Eintritts in den
Nordbund bis jetzt als unfruchtbar erschienen seien. Es sei zunächst darauf
angekommen, die nötige Fühlung mit Preußen zu gewinnen. Falle die Ant¬
wort des Bundeskanzlers in der Kaiserfrage zustimmend aus, so werde man
auf dieser Grundlage in München und in Stuttgart zu arbeiten und eine
einmütige Initiative der süddeutschen Staaten zu organisieren suchen. Der
Großherzog ging dann auf die Definierung der Begriffe Kaiser und Reich ein.
Er wollte der Reichsgewalt vor allem die gesamte diplomatische Vertretung
und den gesamten militärischen Schutz im vollen Umfange überwiesen wissen,
die Gestaltung der innern Verhältnisse müsse der Autonomie der Einzelstaaten
verbleiben. Er -- der Großherzog -- wolle nicht verhehlen, daß nach seiner
Ansicht die politische Entwicklung Deutschlands dem Einheitsstaat zustrebe, und
daß dieser Prozeß durch den Zutritt der Südstaaten nur werde aufgehalten,
nicht aber unterbrochen werden. Zur Zeit und für eine Reihe von Jahrzehnten
seien jedoch die Zustünde in Deutschland für die Unifikation entschieden noch
nicht vorbereitet, und ein verfrühter Übergang zum Einheitsstaat würde ein
viele Interessen verletzendes Unglück sein. Für jetzt handle es sich darum, die
Form der Einigung auf bundesstaatlicher Grundlage zu finden, und in dieser
Richtung werde durch die Kaiseridee vieles vermittelt und erleichtert werden.
Es sei, wie auch Graf Bismarck ihm im März dieses Jahres eingeräumt habe,
dies zugleich der einzige Weg, den ärgsten aller Partikulcirismeu, den spezifisch
preußischen Partikularismus zu brechen. Unter dem Kaisertum und neben dein
allgemeinen Reichstage werde sich ein preußisches Abgeordnetenhaus und auch
wohl ein preußisches Herrenhaus auf die Dauer nicht mehr aufrecht erhalten
lassen, der föderativem Befestigung der deutschen Zustünde könne es nur günstig
sein, wenn man sich in Preußen dazu gedrängt finden sollte, auf das System
der Provinzicilstände zurückzugreifen. Über die Oberhausfrage äußert sich der
Großherzog nicht eingehender, obwohl Imsen mehrfach den Versuch machte,
diesen Punkt zu betonen.

Es ist sicherlich von hohem Interesse, diese in vertraulicher Unterredung
niedergelegten programmatischen Anschauungen des Großherzogs heute, nach
sechsunddreißig Jahren, noch einmal hervorzuheben. Die Richtung auf den
Einheitsstaat Hütte seinerzeit durch den Reichseisenbahngedanken eine große
Forderung erfahren können. Seitdem dieser aber endgiltig begraben, das
preußische Eisenbahnwesen vielmehr das Rückgrat der preußischen Finanzen
geworden ist, hat der preußische Staat als wirtschaftliches Staatsganzes an
Konsistenz nur gewonnen. Wohl noch für Menschenalter wird kein König von
Preußen daran denken, sich seiner starken Hausmacht zu begeben und durch


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Staat. Es werde, wenn man z, B. im weitern Verlauf des Krieges dazu
gedrängt werden sollte, das alte Burgund zu reklamieren, also etwa eine Linie
von Lille nach Belfort zu ziehen, der größte süddeutsche Staat, größer als
Bayern. Der Großherzog führte dann weiter aus, daß ihm Erörterungen mit
den andern süddeutschen Staaten über die Bedingungen eines Eintritts in den
Nordbund bis jetzt als unfruchtbar erschienen seien. Es sei zunächst darauf
angekommen, die nötige Fühlung mit Preußen zu gewinnen. Falle die Ant¬
wort des Bundeskanzlers in der Kaiserfrage zustimmend aus, so werde man
auf dieser Grundlage in München und in Stuttgart zu arbeiten und eine
einmütige Initiative der süddeutschen Staaten zu organisieren suchen. Der
Großherzog ging dann auf die Definierung der Begriffe Kaiser und Reich ein.
Er wollte der Reichsgewalt vor allem die gesamte diplomatische Vertretung
und den gesamten militärischen Schutz im vollen Umfange überwiesen wissen,
die Gestaltung der innern Verhältnisse müsse der Autonomie der Einzelstaaten
verbleiben. Er — der Großherzog — wolle nicht verhehlen, daß nach seiner
Ansicht die politische Entwicklung Deutschlands dem Einheitsstaat zustrebe, und
daß dieser Prozeß durch den Zutritt der Südstaaten nur werde aufgehalten,
nicht aber unterbrochen werden. Zur Zeit und für eine Reihe von Jahrzehnten
seien jedoch die Zustünde in Deutschland für die Unifikation entschieden noch
nicht vorbereitet, und ein verfrühter Übergang zum Einheitsstaat würde ein
viele Interessen verletzendes Unglück sein. Für jetzt handle es sich darum, die
Form der Einigung auf bundesstaatlicher Grundlage zu finden, und in dieser
Richtung werde durch die Kaiseridee vieles vermittelt und erleichtert werden.
Es sei, wie auch Graf Bismarck ihm im März dieses Jahres eingeräumt habe,
dies zugleich der einzige Weg, den ärgsten aller Partikulcirismeu, den spezifisch
preußischen Partikularismus zu brechen. Unter dem Kaisertum und neben dein
allgemeinen Reichstage werde sich ein preußisches Abgeordnetenhaus und auch
wohl ein preußisches Herrenhaus auf die Dauer nicht mehr aufrecht erhalten
lassen, der föderativem Befestigung der deutschen Zustünde könne es nur günstig
sein, wenn man sich in Preußen dazu gedrängt finden sollte, auf das System
der Provinzicilstände zurückzugreifen. Über die Oberhausfrage äußert sich der
Großherzog nicht eingehender, obwohl Imsen mehrfach den Versuch machte,
diesen Punkt zu betonen.

Es ist sicherlich von hohem Interesse, diese in vertraulicher Unterredung
niedergelegten programmatischen Anschauungen des Großherzogs heute, nach
sechsunddreißig Jahren, noch einmal hervorzuheben. Die Richtung auf den
Einheitsstaat Hütte seinerzeit durch den Reichseisenbahngedanken eine große
Forderung erfahren können. Seitdem dieser aber endgiltig begraben, das
preußische Eisenbahnwesen vielmehr das Rückgrat der preußischen Finanzen
geworden ist, hat der preußische Staat als wirtschaftliches Staatsganzes an
Konsistenz nur gewonnen. Wohl noch für Menschenalter wird kein König von
Preußen daran denken, sich seiner starken Hausmacht zu begeben und durch


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[0022] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles Staat. Es werde, wenn man z, B. im weitern Verlauf des Krieges dazu gedrängt werden sollte, das alte Burgund zu reklamieren, also etwa eine Linie von Lille nach Belfort zu ziehen, der größte süddeutsche Staat, größer als Bayern. Der Großherzog führte dann weiter aus, daß ihm Erörterungen mit den andern süddeutschen Staaten über die Bedingungen eines Eintritts in den Nordbund bis jetzt als unfruchtbar erschienen seien. Es sei zunächst darauf angekommen, die nötige Fühlung mit Preußen zu gewinnen. Falle die Ant¬ wort des Bundeskanzlers in der Kaiserfrage zustimmend aus, so werde man auf dieser Grundlage in München und in Stuttgart zu arbeiten und eine einmütige Initiative der süddeutschen Staaten zu organisieren suchen. Der Großherzog ging dann auf die Definierung der Begriffe Kaiser und Reich ein. Er wollte der Reichsgewalt vor allem die gesamte diplomatische Vertretung und den gesamten militärischen Schutz im vollen Umfange überwiesen wissen, die Gestaltung der innern Verhältnisse müsse der Autonomie der Einzelstaaten verbleiben. Er — der Großherzog — wolle nicht verhehlen, daß nach seiner Ansicht die politische Entwicklung Deutschlands dem Einheitsstaat zustrebe, und daß dieser Prozeß durch den Zutritt der Südstaaten nur werde aufgehalten, nicht aber unterbrochen werden. Zur Zeit und für eine Reihe von Jahrzehnten seien jedoch die Zustünde in Deutschland für die Unifikation entschieden noch nicht vorbereitet, und ein verfrühter Übergang zum Einheitsstaat würde ein viele Interessen verletzendes Unglück sein. Für jetzt handle es sich darum, die Form der Einigung auf bundesstaatlicher Grundlage zu finden, und in dieser Richtung werde durch die Kaiseridee vieles vermittelt und erleichtert werden. Es sei, wie auch Graf Bismarck ihm im März dieses Jahres eingeräumt habe, dies zugleich der einzige Weg, den ärgsten aller Partikulcirismeu, den spezifisch preußischen Partikularismus zu brechen. Unter dem Kaisertum und neben dein allgemeinen Reichstage werde sich ein preußisches Abgeordnetenhaus und auch wohl ein preußisches Herrenhaus auf die Dauer nicht mehr aufrecht erhalten lassen, der föderativem Befestigung der deutschen Zustünde könne es nur günstig sein, wenn man sich in Preußen dazu gedrängt finden sollte, auf das System der Provinzicilstände zurückzugreifen. Über die Oberhausfrage äußert sich der Großherzog nicht eingehender, obwohl Imsen mehrfach den Versuch machte, diesen Punkt zu betonen. Es ist sicherlich von hohem Interesse, diese in vertraulicher Unterredung niedergelegten programmatischen Anschauungen des Großherzogs heute, nach sechsunddreißig Jahren, noch einmal hervorzuheben. Die Richtung auf den Einheitsstaat Hütte seinerzeit durch den Reichseisenbahngedanken eine große Forderung erfahren können. Seitdem dieser aber endgiltig begraben, das preußische Eisenbahnwesen vielmehr das Rückgrat der preußischen Finanzen geworden ist, hat der preußische Staat als wirtschaftliches Staatsganzes an Konsistenz nur gewonnen. Wohl noch für Menschenalter wird kein König von Preußen daran denken, sich seiner starken Hausmacht zu begeben und durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/22>, abgerufen am 25.08.2024.