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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Anschauung Ausdruck, die damals in vielen preußisch empfindenden Kreisen
Berlins und der engern Heimat verbreitet war.

Unter diesen Umständen ist es nur zu begreiflich, daß sich das Mißfallen
des Königs an dem ihm übereilt erscheinenden Beschluß des Reichstags zu¬
nächst dem Bundeskanzler gegenüber entlud, und zwar noch am 10. Dezember.
Bismarck litt schon seit dem Tage zuvor an einer Venenentzündung, er ließ
sich deshalb bei den dem Könige zu haltenden Vortrügen durch den Geheimen
Legationsrat Abeken vertreten. Dieser berichtet über den 10. Dezember: "Dreimal
mußte ich heute zum König, und das drittemal ging ich mit Zittern und Zagen,
denn das zweitemal war ich in größter Ungnade hinausgeworfen worden, oder
wenigstens war der König in höchstem Zorn und in höchster Aufregung hinaus¬
gegangen in seine Schlafstube, und ich war kaum zuhause und hatte dem Minister
Bericht erstattet, so kam schon in derselben Sache ein vom König eigenhändig
geschriebucs Telegramm, das der Minister in Chiffre abgehn lassen sollte, aber
nicht abgehn lassen wollte, und mich deshalb noch einmal zum König schickte,
um ihn zum Zurücknehmen des Telegramms zu bewegen. Das war keine an¬
genehme Aufgabe, sie wurde leichter, als ich dachte, denn der König war von
einer rührenden Güte und Freundlichkeit. Niemals habe ich den König in
solcher Aufregung, ja solchem Zorn gesehen und dabei doch jedem Argument
und jeder Nemonstration zugänglich." Die Situation war eine solche geworden,
daß am Morgen des 13. Dezember beim Frühstück zwischen Vncher, Hatzfeld
und Keudell der Rücktritt Bismarcks ernstlich erörtert wurde. Am Abend des
10. Dezember hatte sich der König noch bei der Tafel sehr erzürnt über die
Absichten des Reichstags ausgesprochen, der in seine Adresse ausdrücklich die
Bitte eingeflochten hatte, daß es dem Könige gefallen möge, durch Annahme
der deutschen Kaiserkrone das Einigungswerk zu weihen. Der König äußerte,
es werde dies zu einem zweiten 1849 führen, er werde sich die Krone ebenfalls
nicht vom Reichstage anbieten lassen. Bismarck wolle offenbar die Sache im
Sturm nehmen und habe die Annahme der Deputation nach Berlin ausgesprochen,
ehe der König überhaupt etwas von der Sache gewußt habe. Nun möge die
Deputation nur hier eintreffen, er werde sie aber nicht empfangen, bis er im
Besitz der Zustimmung aller Fürsten sei, das heißt, bis der König von Bayern
ihn davon benachrichtigt habe. Auch hier war es die Aufgabe des Großherzogs,
die verschobnen Dinge wieder in das rechte Gleis zu bringen. Er beruhigte
den König durch den Hinweis, daß es kaum anders zu machen gewesen wäre,
und daß infolge der von Delbrück dem Reichstage gemachten Mitteilung von
dem Schritte des Königs von Bayern die Kaiserfrage notwendig zur Verhandlung
hätte kommen müssen. Da die Adresse des Reichstags, über deren Inhalt der
König anscheinend nicht richtig unterrichtet worden war, tatsächlich durchaus
nicht den Anspruch erhob, als werde die Krone vom Reichstage angeboten,
so stimmte der König schließlich dem Vorschlage des Großherzogs zu einer
telegraphischen Mitteilung an den König von Bayern bei, es müsse wegen der in


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Anschauung Ausdruck, die damals in vielen preußisch empfindenden Kreisen
Berlins und der engern Heimat verbreitet war.

Unter diesen Umständen ist es nur zu begreiflich, daß sich das Mißfallen
des Königs an dem ihm übereilt erscheinenden Beschluß des Reichstags zu¬
nächst dem Bundeskanzler gegenüber entlud, und zwar noch am 10. Dezember.
Bismarck litt schon seit dem Tage zuvor an einer Venenentzündung, er ließ
sich deshalb bei den dem Könige zu haltenden Vortrügen durch den Geheimen
Legationsrat Abeken vertreten. Dieser berichtet über den 10. Dezember: „Dreimal
mußte ich heute zum König, und das drittemal ging ich mit Zittern und Zagen,
denn das zweitemal war ich in größter Ungnade hinausgeworfen worden, oder
wenigstens war der König in höchstem Zorn und in höchster Aufregung hinaus¬
gegangen in seine Schlafstube, und ich war kaum zuhause und hatte dem Minister
Bericht erstattet, so kam schon in derselben Sache ein vom König eigenhändig
geschriebucs Telegramm, das der Minister in Chiffre abgehn lassen sollte, aber
nicht abgehn lassen wollte, und mich deshalb noch einmal zum König schickte,
um ihn zum Zurücknehmen des Telegramms zu bewegen. Das war keine an¬
genehme Aufgabe, sie wurde leichter, als ich dachte, denn der König war von
einer rührenden Güte und Freundlichkeit. Niemals habe ich den König in
solcher Aufregung, ja solchem Zorn gesehen und dabei doch jedem Argument
und jeder Nemonstration zugänglich." Die Situation war eine solche geworden,
daß am Morgen des 13. Dezember beim Frühstück zwischen Vncher, Hatzfeld
und Keudell der Rücktritt Bismarcks ernstlich erörtert wurde. Am Abend des
10. Dezember hatte sich der König noch bei der Tafel sehr erzürnt über die
Absichten des Reichstags ausgesprochen, der in seine Adresse ausdrücklich die
Bitte eingeflochten hatte, daß es dem Könige gefallen möge, durch Annahme
der deutschen Kaiserkrone das Einigungswerk zu weihen. Der König äußerte,
es werde dies zu einem zweiten 1849 führen, er werde sich die Krone ebenfalls
nicht vom Reichstage anbieten lassen. Bismarck wolle offenbar die Sache im
Sturm nehmen und habe die Annahme der Deputation nach Berlin ausgesprochen,
ehe der König überhaupt etwas von der Sache gewußt habe. Nun möge die
Deputation nur hier eintreffen, er werde sie aber nicht empfangen, bis er im
Besitz der Zustimmung aller Fürsten sei, das heißt, bis der König von Bayern
ihn davon benachrichtigt habe. Auch hier war es die Aufgabe des Großherzogs,
die verschobnen Dinge wieder in das rechte Gleis zu bringen. Er beruhigte
den König durch den Hinweis, daß es kaum anders zu machen gewesen wäre,
und daß infolge der von Delbrück dem Reichstage gemachten Mitteilung von
dem Schritte des Königs von Bayern die Kaiserfrage notwendig zur Verhandlung
hätte kommen müssen. Da die Adresse des Reichstags, über deren Inhalt der
König anscheinend nicht richtig unterrichtet worden war, tatsächlich durchaus
nicht den Anspruch erhob, als werde die Krone vom Reichstage angeboten,
so stimmte der König schließlich dem Vorschlage des Großherzogs zu einer
telegraphischen Mitteilung an den König von Bayern bei, es müsse wegen der in


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[0157] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles Anschauung Ausdruck, die damals in vielen preußisch empfindenden Kreisen Berlins und der engern Heimat verbreitet war. Unter diesen Umständen ist es nur zu begreiflich, daß sich das Mißfallen des Königs an dem ihm übereilt erscheinenden Beschluß des Reichstags zu¬ nächst dem Bundeskanzler gegenüber entlud, und zwar noch am 10. Dezember. Bismarck litt schon seit dem Tage zuvor an einer Venenentzündung, er ließ sich deshalb bei den dem Könige zu haltenden Vortrügen durch den Geheimen Legationsrat Abeken vertreten. Dieser berichtet über den 10. Dezember: „Dreimal mußte ich heute zum König, und das drittemal ging ich mit Zittern und Zagen, denn das zweitemal war ich in größter Ungnade hinausgeworfen worden, oder wenigstens war der König in höchstem Zorn und in höchster Aufregung hinaus¬ gegangen in seine Schlafstube, und ich war kaum zuhause und hatte dem Minister Bericht erstattet, so kam schon in derselben Sache ein vom König eigenhändig geschriebucs Telegramm, das der Minister in Chiffre abgehn lassen sollte, aber nicht abgehn lassen wollte, und mich deshalb noch einmal zum König schickte, um ihn zum Zurücknehmen des Telegramms zu bewegen. Das war keine an¬ genehme Aufgabe, sie wurde leichter, als ich dachte, denn der König war von einer rührenden Güte und Freundlichkeit. Niemals habe ich den König in solcher Aufregung, ja solchem Zorn gesehen und dabei doch jedem Argument und jeder Nemonstration zugänglich." Die Situation war eine solche geworden, daß am Morgen des 13. Dezember beim Frühstück zwischen Vncher, Hatzfeld und Keudell der Rücktritt Bismarcks ernstlich erörtert wurde. Am Abend des 10. Dezember hatte sich der König noch bei der Tafel sehr erzürnt über die Absichten des Reichstags ausgesprochen, der in seine Adresse ausdrücklich die Bitte eingeflochten hatte, daß es dem Könige gefallen möge, durch Annahme der deutschen Kaiserkrone das Einigungswerk zu weihen. Der König äußerte, es werde dies zu einem zweiten 1849 führen, er werde sich die Krone ebenfalls nicht vom Reichstage anbieten lassen. Bismarck wolle offenbar die Sache im Sturm nehmen und habe die Annahme der Deputation nach Berlin ausgesprochen, ehe der König überhaupt etwas von der Sache gewußt habe. Nun möge die Deputation nur hier eintreffen, er werde sie aber nicht empfangen, bis er im Besitz der Zustimmung aller Fürsten sei, das heißt, bis der König von Bayern ihn davon benachrichtigt habe. Auch hier war es die Aufgabe des Großherzogs, die verschobnen Dinge wieder in das rechte Gleis zu bringen. Er beruhigte den König durch den Hinweis, daß es kaum anders zu machen gewesen wäre, und daß infolge der von Delbrück dem Reichstage gemachten Mitteilung von dem Schritte des Königs von Bayern die Kaiserfrage notwendig zur Verhandlung hätte kommen müssen. Da die Adresse des Reichstags, über deren Inhalt der König anscheinend nicht richtig unterrichtet worden war, tatsächlich durchaus nicht den Anspruch erhob, als werde die Krone vom Reichstage angeboten, so stimmte der König schließlich dem Vorschlage des Großherzogs zu einer telegraphischen Mitteilung an den König von Bayern bei, es müsse wegen der in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/157>, abgerufen am 23.07.2024.