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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Aussicht stehenden Reichstagsdepntation durchaus dafür gesorgt werden, daß
der Antrag der Fürsten vorher in Versailles eintreffe. Da König Wilhelm
wünschte, daß die Sache mit Bismarck besprochen und vereinbart werden solle,
so machte der Großherzog noch an demselben Abend den Versuch, den Kanzler
zu sprechen. Bismarck lag jedoch krank zu Bett und war unzugänglich. Er
sandte spät am Abend durch Abeken einen Entschuldigungsbrief, und am andern
Tage kam dieser selbst, um die Angelegenheit in Bismarcks Auftrage mit dem
Großherzoge zu ordnen. Die Wogen des Mißvergnügens glätteten sich auf
beiden Seiten, und der König sah, mit dem Kanzler wieder in vollem Einver¬
ständnis, dem Eintreffen der Reichstagsdeputation entgegen, die dann am
Abend des 16. Dezember in ungefähr zwanzig Postwagen bei strömendem Regen
ihren Einzug in Versailles hielt. Der eigentliche Ausgangspunkt der Ver¬
stimmung des Königs war der von Bismarck am 7. Dezember telegraphisch an
Delbrück erteilte Auftrag gewesen, die Kaiserfrage, die durch Delbrücks form¬
lose Mitteilung über den Antrag des Königs von Bayern im Bundesrate wie
im Reichstage total festgefahren schien, in Form einer im Bundesrate zu be¬
schließenden Vorlage an den Reichstag zu behandeln, nach der gewisse Artikel
in der Bundesverfassung mit Rücksicht auf den Kaisertitel abzuändern wären.
Es sollte damit die geschäftliche Zustimmung der Regierungen erreicht und
die gesetzliche Unterlage geschaffen werden, auch für die noch ausstehenden
Fürsten war damit die geschäftliche Nötigung gegeben, sich zu entschließen. Dies
hatte Delbrück am folgenden Tage dem Reichstage angekündigt. Wie es scheint,
ist es diese Leitung der Dinge gewesen, die bei dem letzten Vortrage Bismarcks
am 9. Dezember den König arg verstimmt hatte. Lorenz berichtet nach den
Aufzeichnungen des Großherzogs, daß als der Kaiser später durch diesen den
Wortlaut des Reichstagsbeschlusses erfahren hatte, er von dem Inhalt doch
vollständig befriedigt war, und daß, als in den nächsten Tagen die Königin
Augusta in ihren Briefen die Schwächen der neuen Verfassung und die mangel¬
hafte Ausgestaltung des Kaisertums abermals einer Kritik unterzog, der König
selbst als Verteidiger des Geschehenen und Erreichten auftrat. Dem Gro߬
herzoge gegenüber äußerte er, man müsse in betreff der Titelfrage Geduld haben
und hoffen, daß sich das nötige Ansehen nachträglich dazu doch noch einfinden
werde. Der Großherzog unterstützte den König in dieser Anschauung und be¬
merkte nur, daß gewisse kaiserliche Abzeichen nicht früh genug ins Leben gerufen
werden könnten, besonders in der Armee und in der Marine, die als kaiserliche
geführt werden müßten; auch für den Bundeskanzler und die ihm unterstehende
Beamtenschaft sei diese Bezeichnung alsbald einzuführen. Der König war damit
einverstanden. Ebenso unbefangen ^ so wird nach den Aufzeichnungen des
Großherzogs weiter berichtet -- erörterte er die Frage, ob der neue Titel im
dynastischen Sinne zu verstehn und auf das Hohenzollernsche Haus überhaupt
auszudehnen sei. Nach seiner Ansicht dürfe die Kaiserwürde nur ihn und die
Königin, den Kronprinzen und die Kronprinzessin, alle übrigen Familiemnit-


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

Aussicht stehenden Reichstagsdepntation durchaus dafür gesorgt werden, daß
der Antrag der Fürsten vorher in Versailles eintreffe. Da König Wilhelm
wünschte, daß die Sache mit Bismarck besprochen und vereinbart werden solle,
so machte der Großherzog noch an demselben Abend den Versuch, den Kanzler
zu sprechen. Bismarck lag jedoch krank zu Bett und war unzugänglich. Er
sandte spät am Abend durch Abeken einen Entschuldigungsbrief, und am andern
Tage kam dieser selbst, um die Angelegenheit in Bismarcks Auftrage mit dem
Großherzoge zu ordnen. Die Wogen des Mißvergnügens glätteten sich auf
beiden Seiten, und der König sah, mit dem Kanzler wieder in vollem Einver¬
ständnis, dem Eintreffen der Reichstagsdeputation entgegen, die dann am
Abend des 16. Dezember in ungefähr zwanzig Postwagen bei strömendem Regen
ihren Einzug in Versailles hielt. Der eigentliche Ausgangspunkt der Ver¬
stimmung des Königs war der von Bismarck am 7. Dezember telegraphisch an
Delbrück erteilte Auftrag gewesen, die Kaiserfrage, die durch Delbrücks form¬
lose Mitteilung über den Antrag des Königs von Bayern im Bundesrate wie
im Reichstage total festgefahren schien, in Form einer im Bundesrate zu be¬
schließenden Vorlage an den Reichstag zu behandeln, nach der gewisse Artikel
in der Bundesverfassung mit Rücksicht auf den Kaisertitel abzuändern wären.
Es sollte damit die geschäftliche Zustimmung der Regierungen erreicht und
die gesetzliche Unterlage geschaffen werden, auch für die noch ausstehenden
Fürsten war damit die geschäftliche Nötigung gegeben, sich zu entschließen. Dies
hatte Delbrück am folgenden Tage dem Reichstage angekündigt. Wie es scheint,
ist es diese Leitung der Dinge gewesen, die bei dem letzten Vortrage Bismarcks
am 9. Dezember den König arg verstimmt hatte. Lorenz berichtet nach den
Aufzeichnungen des Großherzogs, daß als der Kaiser später durch diesen den
Wortlaut des Reichstagsbeschlusses erfahren hatte, er von dem Inhalt doch
vollständig befriedigt war, und daß, als in den nächsten Tagen die Königin
Augusta in ihren Briefen die Schwächen der neuen Verfassung und die mangel¬
hafte Ausgestaltung des Kaisertums abermals einer Kritik unterzog, der König
selbst als Verteidiger des Geschehenen und Erreichten auftrat. Dem Gro߬
herzoge gegenüber äußerte er, man müsse in betreff der Titelfrage Geduld haben
und hoffen, daß sich das nötige Ansehen nachträglich dazu doch noch einfinden
werde. Der Großherzog unterstützte den König in dieser Anschauung und be¬
merkte nur, daß gewisse kaiserliche Abzeichen nicht früh genug ins Leben gerufen
werden könnten, besonders in der Armee und in der Marine, die als kaiserliche
geführt werden müßten; auch für den Bundeskanzler und die ihm unterstehende
Beamtenschaft sei diese Bezeichnung alsbald einzuführen. Der König war damit
einverstanden. Ebenso unbefangen ^ so wird nach den Aufzeichnungen des
Großherzogs weiter berichtet — erörterte er die Frage, ob der neue Titel im
dynastischen Sinne zu verstehn und auf das Hohenzollernsche Haus überhaupt
auszudehnen sei. Nach seiner Ansicht dürfe die Kaiserwürde nur ihn und die
Königin, den Kronprinzen und die Kronprinzessin, alle übrigen Familiemnit-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/158>, abgerufen am 25.08.2024.