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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

erwartet sein mochte, mehrere der Fürsten erachteten es für ihre Pflicht, zunächst
mit ihren zum Teil im Feldlager stehenden Bundesgenossen in einen Ge¬
dankenaustausch einzutreten, andre forderten Bericht von ihren Ministern in
Berlin. Immerhin verging Zeit, bevor die Zustimmungen sämtlich zur formellen
Erledigung gelangten. Da aber die Verfassungsverträge und damit die Kaiser¬
frage schon vom 6. Dezember ab im Reichstage zur Erörterung standen und
der Reichstag dann am 10. Dezember, nachdem die Einführung der Worte
Kaiser und Reich in die Verfassung in allen drei Lesungen genehmigt worden
war, eine Adresse an den König und deren Überreichung durch eine Deputation
von dreißig Mitgliedern beschlossen hatte, so sah sich der König auch noch der
Eventualität gegenüber, dem Reichstag eine Antwort in der Kaiserfrage geben
zu müssen, bevor die Zustimmung aller deutschen Fürsten formell vorlag. In
der Mitteilung Delbrücks an den Reichstag vom 8. Dezember über den im
norddeutschen Bundesrat mit dem Einverständnis der Bevollmächtigten der süd¬
deutschen Staaten eingebrachten Antrag, in der Verfassung die durch den Titel
Kaiser und Reich nötig gewordnen Änderungen vorzunehmen und am nächsten
Tage darüber zu beschließen, mußte ausgesprochen werden, daß die Zustimmung
noch nicht von allen beteiligten Souveränen eingegangen sei.

Das vom 1. Dezember datierte offizielle Schreiben des Königs von Bayern
an den Großherzog von Baden mit der Aufforderung, die Beitrittserklärungen
zu schaffen und einzusenden, war diesem erst am 8. Dezember zugegangen.
Ein großer Teil der Erklärungen war inzwischen nach München gerichtet worden,
sodaß als König Wilhelm am 10. Dezember von der an diesem Tage be¬
schlossenen Adresse des Reichstags erfuhr, noch keine amtliche Mitteilung von der
allseitigen Zustimmung der Fürsten vorlag. Der König hatte somit auch noch keine
Veranlassung und Gelegenheit gehabt, sich seinerseits über die Annahme endgiltig
zu erklären. Es war sein Wunsch gewesen, sich über seine Stellung zu dieser
Frage zu den versammelten Fürsten aussprechen zu können. Die Kaiserwürde
auch diesmal wieder abzulehnen, war für die Krone Preußens Wohl ausge¬
schlossen, zumal nachdem die wesentlichste Bedingung, das Anerbieten seitens der
Fürsten, erfüllt worden war, aber es war der Wunsch des Königs, den Fürsten
zu erkennen zu geben, daß er dabei mehr ein Opfer bringe als einen Vorteil
gewinne, indem er die anerkannte Machtfülle des Königs von Preußen gegen
einen erst durch die Zeit auszufüllenden Titel aufgebe. Alle die Schwierig¬
keiten und Halbheiten, die in der Verfassungsfrage zutage getreten waren, machten
es dem Könige wie auch wohl der großen Mehrzahl der Persönlichkeiten, denen
sein Ohr in Versailles zugänglich war, um so wünschenswerter, die Übernahme
der Kaiserkrone durch einen feierlichen Akt vor den deutschen Fürsten zu bekunden.
Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhange bleiben, daß auch die Königin,
seine Gemahlin, in ihrer brieflichen Kritik der Verfassung und des Kaisertums,
bei der sie auf die den König in jenen Tagen beherrschende Stimmung einging,
ihm die Entschließung nicht erleichterte. Die Königin gab jedoch damit nur der


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

erwartet sein mochte, mehrere der Fürsten erachteten es für ihre Pflicht, zunächst
mit ihren zum Teil im Feldlager stehenden Bundesgenossen in einen Ge¬
dankenaustausch einzutreten, andre forderten Bericht von ihren Ministern in
Berlin. Immerhin verging Zeit, bevor die Zustimmungen sämtlich zur formellen
Erledigung gelangten. Da aber die Verfassungsverträge und damit die Kaiser¬
frage schon vom 6. Dezember ab im Reichstage zur Erörterung standen und
der Reichstag dann am 10. Dezember, nachdem die Einführung der Worte
Kaiser und Reich in die Verfassung in allen drei Lesungen genehmigt worden
war, eine Adresse an den König und deren Überreichung durch eine Deputation
von dreißig Mitgliedern beschlossen hatte, so sah sich der König auch noch der
Eventualität gegenüber, dem Reichstag eine Antwort in der Kaiserfrage geben
zu müssen, bevor die Zustimmung aller deutschen Fürsten formell vorlag. In
der Mitteilung Delbrücks an den Reichstag vom 8. Dezember über den im
norddeutschen Bundesrat mit dem Einverständnis der Bevollmächtigten der süd¬
deutschen Staaten eingebrachten Antrag, in der Verfassung die durch den Titel
Kaiser und Reich nötig gewordnen Änderungen vorzunehmen und am nächsten
Tage darüber zu beschließen, mußte ausgesprochen werden, daß die Zustimmung
noch nicht von allen beteiligten Souveränen eingegangen sei.

Das vom 1. Dezember datierte offizielle Schreiben des Königs von Bayern
an den Großherzog von Baden mit der Aufforderung, die Beitrittserklärungen
zu schaffen und einzusenden, war diesem erst am 8. Dezember zugegangen.
Ein großer Teil der Erklärungen war inzwischen nach München gerichtet worden,
sodaß als König Wilhelm am 10. Dezember von der an diesem Tage be¬
schlossenen Adresse des Reichstags erfuhr, noch keine amtliche Mitteilung von der
allseitigen Zustimmung der Fürsten vorlag. Der König hatte somit auch noch keine
Veranlassung und Gelegenheit gehabt, sich seinerseits über die Annahme endgiltig
zu erklären. Es war sein Wunsch gewesen, sich über seine Stellung zu dieser
Frage zu den versammelten Fürsten aussprechen zu können. Die Kaiserwürde
auch diesmal wieder abzulehnen, war für die Krone Preußens Wohl ausge¬
schlossen, zumal nachdem die wesentlichste Bedingung, das Anerbieten seitens der
Fürsten, erfüllt worden war, aber es war der Wunsch des Königs, den Fürsten
zu erkennen zu geben, daß er dabei mehr ein Opfer bringe als einen Vorteil
gewinne, indem er die anerkannte Machtfülle des Königs von Preußen gegen
einen erst durch die Zeit auszufüllenden Titel aufgebe. Alle die Schwierig¬
keiten und Halbheiten, die in der Verfassungsfrage zutage getreten waren, machten
es dem Könige wie auch wohl der großen Mehrzahl der Persönlichkeiten, denen
sein Ohr in Versailles zugänglich war, um so wünschenswerter, die Übernahme
der Kaiserkrone durch einen feierlichen Akt vor den deutschen Fürsten zu bekunden.
Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhange bleiben, daß auch die Königin,
seine Gemahlin, in ihrer brieflichen Kritik der Verfassung und des Kaisertums,
bei der sie auf die den König in jenen Tagen beherrschende Stimmung einging,
ihm die Entschließung nicht erleichterte. Die Königin gab jedoch damit nur der


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[0156] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles erwartet sein mochte, mehrere der Fürsten erachteten es für ihre Pflicht, zunächst mit ihren zum Teil im Feldlager stehenden Bundesgenossen in einen Ge¬ dankenaustausch einzutreten, andre forderten Bericht von ihren Ministern in Berlin. Immerhin verging Zeit, bevor die Zustimmungen sämtlich zur formellen Erledigung gelangten. Da aber die Verfassungsverträge und damit die Kaiser¬ frage schon vom 6. Dezember ab im Reichstage zur Erörterung standen und der Reichstag dann am 10. Dezember, nachdem die Einführung der Worte Kaiser und Reich in die Verfassung in allen drei Lesungen genehmigt worden war, eine Adresse an den König und deren Überreichung durch eine Deputation von dreißig Mitgliedern beschlossen hatte, so sah sich der König auch noch der Eventualität gegenüber, dem Reichstag eine Antwort in der Kaiserfrage geben zu müssen, bevor die Zustimmung aller deutschen Fürsten formell vorlag. In der Mitteilung Delbrücks an den Reichstag vom 8. Dezember über den im norddeutschen Bundesrat mit dem Einverständnis der Bevollmächtigten der süd¬ deutschen Staaten eingebrachten Antrag, in der Verfassung die durch den Titel Kaiser und Reich nötig gewordnen Änderungen vorzunehmen und am nächsten Tage darüber zu beschließen, mußte ausgesprochen werden, daß die Zustimmung noch nicht von allen beteiligten Souveränen eingegangen sei. Das vom 1. Dezember datierte offizielle Schreiben des Königs von Bayern an den Großherzog von Baden mit der Aufforderung, die Beitrittserklärungen zu schaffen und einzusenden, war diesem erst am 8. Dezember zugegangen. Ein großer Teil der Erklärungen war inzwischen nach München gerichtet worden, sodaß als König Wilhelm am 10. Dezember von der an diesem Tage be¬ schlossenen Adresse des Reichstags erfuhr, noch keine amtliche Mitteilung von der allseitigen Zustimmung der Fürsten vorlag. Der König hatte somit auch noch keine Veranlassung und Gelegenheit gehabt, sich seinerseits über die Annahme endgiltig zu erklären. Es war sein Wunsch gewesen, sich über seine Stellung zu dieser Frage zu den versammelten Fürsten aussprechen zu können. Die Kaiserwürde auch diesmal wieder abzulehnen, war für die Krone Preußens Wohl ausge¬ schlossen, zumal nachdem die wesentlichste Bedingung, das Anerbieten seitens der Fürsten, erfüllt worden war, aber es war der Wunsch des Königs, den Fürsten zu erkennen zu geben, daß er dabei mehr ein Opfer bringe als einen Vorteil gewinne, indem er die anerkannte Machtfülle des Königs von Preußen gegen einen erst durch die Zeit auszufüllenden Titel aufgebe. Alle die Schwierig¬ keiten und Halbheiten, die in der Verfassungsfrage zutage getreten waren, machten es dem Könige wie auch wohl der großen Mehrzahl der Persönlichkeiten, denen sein Ohr in Versailles zugänglich war, um so wünschenswerter, die Übernahme der Kaiserkrone durch einen feierlichen Akt vor den deutschen Fürsten zu bekunden. Nicht unerwähnt darf in diesem Zusammenhange bleiben, daß auch die Königin, seine Gemahlin, in ihrer brieflichen Kritik der Verfassung und des Kaisertums, bei der sie auf die den König in jenen Tagen beherrschende Stimmung einging, ihm die Entschließung nicht erleichterte. Die Königin gab jedoch damit nur der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/156>, abgerufen am 23.07.2024.