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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

der auswärtigen Beziehungen. Das Großherzogtum Luxemburg hatte sich ver-
schiedne Neutralitätsverletzungen zuschulden kommen lassen, die gerade in diesen
Tagen eine Note des Bundeskanzlers zur Folge hatten, des Inhalts, daß sich
die preußische Regierung auch ihrerseits in den militärischen Operationen
der deutschen Heere durch keine Rücksicht auf die Neutralität des Großherzog¬
tums mehr gebunden erachten werde und sich die nötigen Maßregeln zur Sicher¬
stellung gegen ähnliche Vorkommnisse vorbehalte. Schwieriger noch schien die
Pontusfrage, über die soeben eine Mitteilung an den Bundesrat ergangen war,
worin man sich eine Erörterung der Frage im Reichstage vorbehalten hatte.
Wie sich der Reichstag zu den Verträgen mit Süddeutschland, namentlich mit
Bayern stellen würde, war ebenfalls noch nicht abzusehen, alle vorliegenden
Berichte sagten, daß sowohl im Bundesrat als im Reichstage die Bayern ein¬
geräumten Vorzugsrechte stark angefochten würden. Unter diesem Gesichtspunkt
verlor denn auch das Angebot des Königs von Bayern viel von der Frei¬
willigkeit, die für König Wilhelm doch die Voraussetzung für die Annahme
der Kaiserwürde war. Da die Kenntnis aller dieser Schwierigkeiten in einem
verhältnismäßig engen Kreise blieb, nach außen nicht für jedermann erkennbar,
so ist die wachsende Ungeduld erklärlich, mit der in der Heimat sowohl die
militärische Aktion vor Paris als auch die Entwicklung der Kaiserfrage beurteilt
wurde. Diese Stimmung wurde noch verstärkt durch einen Königlichen Armee¬
befehl vom 6. Dezember, worin der Bundesoberfeldherr unter Hinweis auf die
soeben vor Paris, an der Loire und in der Normandie, wo Rouen von der
ersten Armee besetzt worden war, errungnen Erfolge einen neuen Abschnitt des
Krieges ankündigte und zur Ausdauer mahnte, bis ein ehrenvoller Friede erkämpft
sein werde.

Als der Großherzog von Baden am Sonntag, den 4. Dezember, zum
Könige kam, fand er ihn krank und in nervöser Gereiztheit. Es war die unver¬
meidliche Folge der Eindrücke, die in den letzten Tagen von allen Seiten auf
ihn eingestürmt waren. Er war noch am 4. Dezember darauf gefaßt, die Ein¬
schließung von Paris aufgeben zu müssen. Die Aufzeichnungen des Großherzogs,
die Ottokar Lorenz zu seinem mehrfach zitierten Buche benutzen dürfte, berichten,
daß in Versailles die militärische Lage für schlimmer angesehen wurde, als jemals
bekannt geworden ist, erst die Nachrichten von den Erfolgen der Loirearmce
brachten wieder Beruhigung und stellten das Gleichgewicht wieder her. Moltke
unterließ nicht, dem General Trochu, dem Oberbefehlshaber in Paris, von dem
Falle von Orleans Kenntnis zu geben. Die ernste Stimmung dieser Tage über¬
trug sich selbstverständlich auch auf den Kronprinzen, der ebenso wie sein Vater
Zeit brauchte, die durch die verstimmende Gesamtlage vermehrten Zweifel an dem
Wert der neuen Krone zu überwinden. Noch am 9. Dezember mußte der Gro߬
herzog ihn durch den Hinweis beruhigen: "Der heute scheinbar leere Kaisertitel
werde bald genug zur°vollen Bedeutung gelangen." Bei der großen Zahl der
Höfe erfolgte auch die Zustimmung nicht von allen so schnell, wie anfänglich


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

der auswärtigen Beziehungen. Das Großherzogtum Luxemburg hatte sich ver-
schiedne Neutralitätsverletzungen zuschulden kommen lassen, die gerade in diesen
Tagen eine Note des Bundeskanzlers zur Folge hatten, des Inhalts, daß sich
die preußische Regierung auch ihrerseits in den militärischen Operationen
der deutschen Heere durch keine Rücksicht auf die Neutralität des Großherzog¬
tums mehr gebunden erachten werde und sich die nötigen Maßregeln zur Sicher¬
stellung gegen ähnliche Vorkommnisse vorbehalte. Schwieriger noch schien die
Pontusfrage, über die soeben eine Mitteilung an den Bundesrat ergangen war,
worin man sich eine Erörterung der Frage im Reichstage vorbehalten hatte.
Wie sich der Reichstag zu den Verträgen mit Süddeutschland, namentlich mit
Bayern stellen würde, war ebenfalls noch nicht abzusehen, alle vorliegenden
Berichte sagten, daß sowohl im Bundesrat als im Reichstage die Bayern ein¬
geräumten Vorzugsrechte stark angefochten würden. Unter diesem Gesichtspunkt
verlor denn auch das Angebot des Königs von Bayern viel von der Frei¬
willigkeit, die für König Wilhelm doch die Voraussetzung für die Annahme
der Kaiserwürde war. Da die Kenntnis aller dieser Schwierigkeiten in einem
verhältnismäßig engen Kreise blieb, nach außen nicht für jedermann erkennbar,
so ist die wachsende Ungeduld erklärlich, mit der in der Heimat sowohl die
militärische Aktion vor Paris als auch die Entwicklung der Kaiserfrage beurteilt
wurde. Diese Stimmung wurde noch verstärkt durch einen Königlichen Armee¬
befehl vom 6. Dezember, worin der Bundesoberfeldherr unter Hinweis auf die
soeben vor Paris, an der Loire und in der Normandie, wo Rouen von der
ersten Armee besetzt worden war, errungnen Erfolge einen neuen Abschnitt des
Krieges ankündigte und zur Ausdauer mahnte, bis ein ehrenvoller Friede erkämpft
sein werde.

Als der Großherzog von Baden am Sonntag, den 4. Dezember, zum
Könige kam, fand er ihn krank und in nervöser Gereiztheit. Es war die unver¬
meidliche Folge der Eindrücke, die in den letzten Tagen von allen Seiten auf
ihn eingestürmt waren. Er war noch am 4. Dezember darauf gefaßt, die Ein¬
schließung von Paris aufgeben zu müssen. Die Aufzeichnungen des Großherzogs,
die Ottokar Lorenz zu seinem mehrfach zitierten Buche benutzen dürfte, berichten,
daß in Versailles die militärische Lage für schlimmer angesehen wurde, als jemals
bekannt geworden ist, erst die Nachrichten von den Erfolgen der Loirearmce
brachten wieder Beruhigung und stellten das Gleichgewicht wieder her. Moltke
unterließ nicht, dem General Trochu, dem Oberbefehlshaber in Paris, von dem
Falle von Orleans Kenntnis zu geben. Die ernste Stimmung dieser Tage über¬
trug sich selbstverständlich auch auf den Kronprinzen, der ebenso wie sein Vater
Zeit brauchte, die durch die verstimmende Gesamtlage vermehrten Zweifel an dem
Wert der neuen Krone zu überwinden. Noch am 9. Dezember mußte der Gro߬
herzog ihn durch den Hinweis beruhigen: „Der heute scheinbar leere Kaisertitel
werde bald genug zur°vollen Bedeutung gelangen." Bei der großen Zahl der
Höfe erfolgte auch die Zustimmung nicht von allen so schnell, wie anfänglich


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[0155] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles der auswärtigen Beziehungen. Das Großherzogtum Luxemburg hatte sich ver- schiedne Neutralitätsverletzungen zuschulden kommen lassen, die gerade in diesen Tagen eine Note des Bundeskanzlers zur Folge hatten, des Inhalts, daß sich die preußische Regierung auch ihrerseits in den militärischen Operationen der deutschen Heere durch keine Rücksicht auf die Neutralität des Großherzog¬ tums mehr gebunden erachten werde und sich die nötigen Maßregeln zur Sicher¬ stellung gegen ähnliche Vorkommnisse vorbehalte. Schwieriger noch schien die Pontusfrage, über die soeben eine Mitteilung an den Bundesrat ergangen war, worin man sich eine Erörterung der Frage im Reichstage vorbehalten hatte. Wie sich der Reichstag zu den Verträgen mit Süddeutschland, namentlich mit Bayern stellen würde, war ebenfalls noch nicht abzusehen, alle vorliegenden Berichte sagten, daß sowohl im Bundesrat als im Reichstage die Bayern ein¬ geräumten Vorzugsrechte stark angefochten würden. Unter diesem Gesichtspunkt verlor denn auch das Angebot des Königs von Bayern viel von der Frei¬ willigkeit, die für König Wilhelm doch die Voraussetzung für die Annahme der Kaiserwürde war. Da die Kenntnis aller dieser Schwierigkeiten in einem verhältnismäßig engen Kreise blieb, nach außen nicht für jedermann erkennbar, so ist die wachsende Ungeduld erklärlich, mit der in der Heimat sowohl die militärische Aktion vor Paris als auch die Entwicklung der Kaiserfrage beurteilt wurde. Diese Stimmung wurde noch verstärkt durch einen Königlichen Armee¬ befehl vom 6. Dezember, worin der Bundesoberfeldherr unter Hinweis auf die soeben vor Paris, an der Loire und in der Normandie, wo Rouen von der ersten Armee besetzt worden war, errungnen Erfolge einen neuen Abschnitt des Krieges ankündigte und zur Ausdauer mahnte, bis ein ehrenvoller Friede erkämpft sein werde. Als der Großherzog von Baden am Sonntag, den 4. Dezember, zum Könige kam, fand er ihn krank und in nervöser Gereiztheit. Es war die unver¬ meidliche Folge der Eindrücke, die in den letzten Tagen von allen Seiten auf ihn eingestürmt waren. Er war noch am 4. Dezember darauf gefaßt, die Ein¬ schließung von Paris aufgeben zu müssen. Die Aufzeichnungen des Großherzogs, die Ottokar Lorenz zu seinem mehrfach zitierten Buche benutzen dürfte, berichten, daß in Versailles die militärische Lage für schlimmer angesehen wurde, als jemals bekannt geworden ist, erst die Nachrichten von den Erfolgen der Loirearmce brachten wieder Beruhigung und stellten das Gleichgewicht wieder her. Moltke unterließ nicht, dem General Trochu, dem Oberbefehlshaber in Paris, von dem Falle von Orleans Kenntnis zu geben. Die ernste Stimmung dieser Tage über¬ trug sich selbstverständlich auch auf den Kronprinzen, der ebenso wie sein Vater Zeit brauchte, die durch die verstimmende Gesamtlage vermehrten Zweifel an dem Wert der neuen Krone zu überwinden. Noch am 9. Dezember mußte der Gro߬ herzog ihn durch den Hinweis beruhigen: „Der heute scheinbar leere Kaisertitel werde bald genug zur°vollen Bedeutung gelangen." Bei der großen Zahl der Höfe erfolgte auch die Zustimmung nicht von allen so schnell, wie anfänglich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/155>, abgerufen am 23.07.2024.