Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.Der König war inzwischen in Graudenz eingetroffen und hatte dort eine Hüffer nennt mit Recht diesen Entschluß einen der folgenreichsten in der Der König war inzwischen in Graudenz eingetroffen und hatte dort eine Hüffer nennt mit Recht diesen Entschluß einen der folgenreichsten in der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0149" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300648"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_571"> Der König war inzwischen in Graudenz eingetroffen und hatte dort eine<lb/> Konferenz von Staatsmännern und Generalen um sich versammelt, an der auch<lb/> die Prinzen, seine Brüder, teilnahmen. Man entschied sich für die Annahme<lb/> der Bedingungen, und Friedrich Wilhelm schrieb an den Kaiser noch einmal im<lb/> Tone alter Freundschaft und Vertraulichkeit. Die unerwarteten Erfolge hatten<lb/> jedoch Napoleons Ansprüche ins Ungemessene gesteigert. Am 16. November<lb/> übergab Duroc den preußischen Bevollmächtigten einen neuen Entwurf, nicht<lb/> für den Frieden, sondern nur für einen Waffenstillstand. Alle preußischen<lb/> Truppen sollten sich hinter die Weichsel zurückziehen, Thorn, Graudenz, Kol¬<lb/> berg und Danzig, ferner Hameln und Nienburg, der größte Teil von Schlesien<lb/> mit Glogau und Breslau sollte den Franzosen eingeräumt werden, ferner sollte<lb/> Preußen die heranziehenden Russen zum Rückzug über ihre Grenzen nötigen<lb/> und während der Verhandlung keine fremden Truppen in sein Gebiet einlassen.<lb/> Am 16. November unterzeichneten Lucchesini und Zastrow diese Bedingungen,<lb/> um noch Schlimmeres zu verhüten. Der König hatte sich an demselben Tage<lb/> nach Osterode begeben, um den heranziehenden russischen Truppen näher zu<lb/> sein. Dort versammelte er am 21. November von neuem eine Konferenz, in<lb/> der sich zwar die Mehrheit der Anwesenden für die Annahme des Waffen¬<lb/> stillstandes aussprach, der König aber für die Verwerfung den Ausschlag gab.<lb/> Er hatte sich selbst wiedergefunden, ein Schreiben des Kaisers Alexander, worin<lb/> dieser in den dringendsten Worten zur Standhaftigkeit aufforderte mit dem<lb/> Versprechen, an der Spitze von 140 000 Mann zur Hilfe zu kommen, bestärkte<lb/> ihn in dieser Richtung und wog schwerer als alle Bedenken. Der König ver¬<lb/> warf den Waffenstillstand. Duroc, der am folgenden Tage in Osterode ankam,<lb/> um die Ratifikationen auszuwechseln, kehrte mit der ablehnenden Antwort zu<lb/> Napoleon zurück, während sich der König in das russische Hauptquartier nach<lb/> Pultusk begab.</p><lb/> <p xml:id="ID_572" next="#ID_573"> Hüffer nennt mit Recht diesen Entschluß einen der folgenreichsten in der<lb/> Geschichte Preußens. Nach vielen Schwankungen wahrend der letzten Jahre<lb/> entschied sich der König erst in Osterode endgiltig für die Verbindung mit<lb/> Nußland, die mit geringen Unterbrechungen mehr als siebzig Jahre gedauert<lb/> und die Geschicke Europas während dieser Zeit zum großen Teil bestimmt hat.<lb/> Das Einzige, was der König in diese Allianz mitbrachte, waren der durch den<lb/> Minister vom Stein aus Berlin nach Königsberg gerettete Staatsschatz und die<lb/> schwachen Truppenteile, die aus den ostpreußischen und den pommerschen Garni¬<lb/> sonen sowie durch Aushebungen, Aufnahme von Flüchtlingen usw. hatten formiert<lb/> werden können, Truppen, die sich während der Winterkämpfe bei Pultusk, bei<lb/> Ehlau, Heilsberg und Friedland vorzüglich bewährten und die Ehre der preußischen<lb/> Waffen wiederherstellten. Der ganze von Franzosen besetzte Teil des preußischen<lb/> Staates und seine Hilfsquellen waren für den Krieg natürlich verloren. Vor<lb/> der Abreise des Königs zur Armee war auf Grund einer vom Kabinetsrat<lb/> Beyme entworfnen Instruktion aus den in Berlin zurückbleibenden Ministern</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0149]
Der König war inzwischen in Graudenz eingetroffen und hatte dort eine
Konferenz von Staatsmännern und Generalen um sich versammelt, an der auch
die Prinzen, seine Brüder, teilnahmen. Man entschied sich für die Annahme
der Bedingungen, und Friedrich Wilhelm schrieb an den Kaiser noch einmal im
Tone alter Freundschaft und Vertraulichkeit. Die unerwarteten Erfolge hatten
jedoch Napoleons Ansprüche ins Ungemessene gesteigert. Am 16. November
übergab Duroc den preußischen Bevollmächtigten einen neuen Entwurf, nicht
für den Frieden, sondern nur für einen Waffenstillstand. Alle preußischen
Truppen sollten sich hinter die Weichsel zurückziehen, Thorn, Graudenz, Kol¬
berg und Danzig, ferner Hameln und Nienburg, der größte Teil von Schlesien
mit Glogau und Breslau sollte den Franzosen eingeräumt werden, ferner sollte
Preußen die heranziehenden Russen zum Rückzug über ihre Grenzen nötigen
und während der Verhandlung keine fremden Truppen in sein Gebiet einlassen.
Am 16. November unterzeichneten Lucchesini und Zastrow diese Bedingungen,
um noch Schlimmeres zu verhüten. Der König hatte sich an demselben Tage
nach Osterode begeben, um den heranziehenden russischen Truppen näher zu
sein. Dort versammelte er am 21. November von neuem eine Konferenz, in
der sich zwar die Mehrheit der Anwesenden für die Annahme des Waffen¬
stillstandes aussprach, der König aber für die Verwerfung den Ausschlag gab.
Er hatte sich selbst wiedergefunden, ein Schreiben des Kaisers Alexander, worin
dieser in den dringendsten Worten zur Standhaftigkeit aufforderte mit dem
Versprechen, an der Spitze von 140 000 Mann zur Hilfe zu kommen, bestärkte
ihn in dieser Richtung und wog schwerer als alle Bedenken. Der König ver¬
warf den Waffenstillstand. Duroc, der am folgenden Tage in Osterode ankam,
um die Ratifikationen auszuwechseln, kehrte mit der ablehnenden Antwort zu
Napoleon zurück, während sich der König in das russische Hauptquartier nach
Pultusk begab.
Hüffer nennt mit Recht diesen Entschluß einen der folgenreichsten in der
Geschichte Preußens. Nach vielen Schwankungen wahrend der letzten Jahre
entschied sich der König erst in Osterode endgiltig für die Verbindung mit
Nußland, die mit geringen Unterbrechungen mehr als siebzig Jahre gedauert
und die Geschicke Europas während dieser Zeit zum großen Teil bestimmt hat.
Das Einzige, was der König in diese Allianz mitbrachte, waren der durch den
Minister vom Stein aus Berlin nach Königsberg gerettete Staatsschatz und die
schwachen Truppenteile, die aus den ostpreußischen und den pommerschen Garni¬
sonen sowie durch Aushebungen, Aufnahme von Flüchtlingen usw. hatten formiert
werden können, Truppen, die sich während der Winterkämpfe bei Pultusk, bei
Ehlau, Heilsberg und Friedland vorzüglich bewährten und die Ehre der preußischen
Waffen wiederherstellten. Der ganze von Franzosen besetzte Teil des preußischen
Staates und seine Hilfsquellen waren für den Krieg natürlich verloren. Vor
der Abreise des Königs zur Armee war auf Grund einer vom Kabinetsrat
Beyme entworfnen Instruktion aus den in Berlin zurückbleibenden Ministern
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