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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Jena

im Laufe des Tages begab sich die Königin von Stettin nach Küstrin, um
dort mit dem Könige zusammenzutreffen. Erst am 22. erfuhr Beyme dort von
dem Vorgang, eilte zum Könige, der entrüstet den Stettiner Behörden sofort
aufgab, Lombard auf der Stelle in Freiheit zu setzen, das Publikum über die
Ungerechtigkeit der Beschuldigungen, womit es diesen ausgezeichneten und ver¬
dienten Staatsdiener überhäufe, zu belehren und für die Sicherheit seiner Person
und seiner Angehörigen die zweckmäßigsten Maßregeln zu nehmen. Auf den
Bericht der Stettiner Behörden erteilte der König diesen unter dem 25. Oktober
einen scharfen Verweis, der Lombard durch eine besondre Kabinetsorder ab¬
schriftlich mitgeteilt wurde.

Währenddessen zog Napoleon in schnellem Vorschreiten die Konsequenzen
des Sieges von Jena. Er hatte zwei Tage vor der Schlacht am 12. Oktober
noch ein Schreiben an den König gerichtet, das in versöhnlichem Tone gehalten
gewesen sein soll, vielleicht um den König wankend zu machen. Es. gelangte
erst am Morgen des Schlachttages in die Hände Friedrich Wilhelms. Daran
anknüpfend ließ der König am Tage nach der Schlacht um Waffenstillstand
bitten, was abgelehnt wurde, und am 18. schickte er aus Magdeburg den bis¬
herigen preußischen Gesandten in Paris, Marchese Lucchesini, mit einem Friedens¬
antrag an Napoleon. Lucchesini wurde nicht einmal vorgelassen, aber Duroc,
der Vertraute Napoleons, forderte in Kemberg, wo er mit dem Gesandten zu¬
sammentraf, die Abtretung aller preußischen Gebiete links von der Elbe, Aus¬
schließung Preußens von jeder Verbindung mit den übrigen deutschen Staaten,
die sämtlich dem Rheinbunde angeschlossen werden sollten, und eine Kriegs¬
entschädigung von 100 Millionen Franken. Der König erhielt diese Bedingungen
erst am 25. Oktober in Küstrin. Tags darauf sandte er den General von Zastrow
in das französische Hauptquartier, während er sich selbst nach Stargard begab.
Napoleon blieb unerschütterlich und hatte zur Nachgiebigkeit um so weniger
Grund, als sich die Lage Preußens von Tag zu Tag verschlechterte. Eine
Reihe nachteiliger Gefechte vollendete die Auflösung des Heeres, der Staats¬
organismus versagte vollständig. Am 24. Oktober rückten die Franzosen in
Potsdam ein, Spandau ergab sich am folgenden Tage ohne jeden Widerstand,
am 27. Nachmittags hielt Napoleon seinen Einzug in Berlin. Am 28. Oktober
kapitulierte Fürst Hohenlohe bei Prenzlau, am nächsten Tage ergab sich Stettin
mit einer Besatzung von 5000 Mann und reichen Vorräten. Unter diesen
Umständen erklärten sich die preußischen Unterhändler Lucchesini und Zastrow
am 30. Oktober zu Charlottenburg bereit, die französischen Forderungen als
Grundlage einer Friedensverhandlung anzunehmen. Am 1. November ergab
sich Küstrin, das der König wenig Tage zuvor verlassen hatte, am 7. No¬
vember mußte Blücher mit dem letzten Rest des Feldheeres nach ehrenvollen
Widerstande wegen gänzlicher Erschöpfung von Lebensmitteln und Munition bei
Lübeck kapitulieren, zugleich fiel auch Magdeburg mit einer Besatzung von
24000 Mann.

M


Jena

im Laufe des Tages begab sich die Königin von Stettin nach Küstrin, um
dort mit dem Könige zusammenzutreffen. Erst am 22. erfuhr Beyme dort von
dem Vorgang, eilte zum Könige, der entrüstet den Stettiner Behörden sofort
aufgab, Lombard auf der Stelle in Freiheit zu setzen, das Publikum über die
Ungerechtigkeit der Beschuldigungen, womit es diesen ausgezeichneten und ver¬
dienten Staatsdiener überhäufe, zu belehren und für die Sicherheit seiner Person
und seiner Angehörigen die zweckmäßigsten Maßregeln zu nehmen. Auf den
Bericht der Stettiner Behörden erteilte der König diesen unter dem 25. Oktober
einen scharfen Verweis, der Lombard durch eine besondre Kabinetsorder ab¬
schriftlich mitgeteilt wurde.

Währenddessen zog Napoleon in schnellem Vorschreiten die Konsequenzen
des Sieges von Jena. Er hatte zwei Tage vor der Schlacht am 12. Oktober
noch ein Schreiben an den König gerichtet, das in versöhnlichem Tone gehalten
gewesen sein soll, vielleicht um den König wankend zu machen. Es. gelangte
erst am Morgen des Schlachttages in die Hände Friedrich Wilhelms. Daran
anknüpfend ließ der König am Tage nach der Schlacht um Waffenstillstand
bitten, was abgelehnt wurde, und am 18. schickte er aus Magdeburg den bis¬
herigen preußischen Gesandten in Paris, Marchese Lucchesini, mit einem Friedens¬
antrag an Napoleon. Lucchesini wurde nicht einmal vorgelassen, aber Duroc,
der Vertraute Napoleons, forderte in Kemberg, wo er mit dem Gesandten zu¬
sammentraf, die Abtretung aller preußischen Gebiete links von der Elbe, Aus¬
schließung Preußens von jeder Verbindung mit den übrigen deutschen Staaten,
die sämtlich dem Rheinbunde angeschlossen werden sollten, und eine Kriegs¬
entschädigung von 100 Millionen Franken. Der König erhielt diese Bedingungen
erst am 25. Oktober in Küstrin. Tags darauf sandte er den General von Zastrow
in das französische Hauptquartier, während er sich selbst nach Stargard begab.
Napoleon blieb unerschütterlich und hatte zur Nachgiebigkeit um so weniger
Grund, als sich die Lage Preußens von Tag zu Tag verschlechterte. Eine
Reihe nachteiliger Gefechte vollendete die Auflösung des Heeres, der Staats¬
organismus versagte vollständig. Am 24. Oktober rückten die Franzosen in
Potsdam ein, Spandau ergab sich am folgenden Tage ohne jeden Widerstand,
am 27. Nachmittags hielt Napoleon seinen Einzug in Berlin. Am 28. Oktober
kapitulierte Fürst Hohenlohe bei Prenzlau, am nächsten Tage ergab sich Stettin
mit einer Besatzung von 5000 Mann und reichen Vorräten. Unter diesen
Umständen erklärten sich die preußischen Unterhändler Lucchesini und Zastrow
am 30. Oktober zu Charlottenburg bereit, die französischen Forderungen als
Grundlage einer Friedensverhandlung anzunehmen. Am 1. November ergab
sich Küstrin, das der König wenig Tage zuvor verlassen hatte, am 7. No¬
vember mußte Blücher mit dem letzten Rest des Feldheeres nach ehrenvollen
Widerstande wegen gänzlicher Erschöpfung von Lebensmitteln und Munition bei
Lübeck kapitulieren, zugleich fiel auch Magdeburg mit einer Besatzung von
24000 Mann.

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[0148] Jena im Laufe des Tages begab sich die Königin von Stettin nach Küstrin, um dort mit dem Könige zusammenzutreffen. Erst am 22. erfuhr Beyme dort von dem Vorgang, eilte zum Könige, der entrüstet den Stettiner Behörden sofort aufgab, Lombard auf der Stelle in Freiheit zu setzen, das Publikum über die Ungerechtigkeit der Beschuldigungen, womit es diesen ausgezeichneten und ver¬ dienten Staatsdiener überhäufe, zu belehren und für die Sicherheit seiner Person und seiner Angehörigen die zweckmäßigsten Maßregeln zu nehmen. Auf den Bericht der Stettiner Behörden erteilte der König diesen unter dem 25. Oktober einen scharfen Verweis, der Lombard durch eine besondre Kabinetsorder ab¬ schriftlich mitgeteilt wurde. Währenddessen zog Napoleon in schnellem Vorschreiten die Konsequenzen des Sieges von Jena. Er hatte zwei Tage vor der Schlacht am 12. Oktober noch ein Schreiben an den König gerichtet, das in versöhnlichem Tone gehalten gewesen sein soll, vielleicht um den König wankend zu machen. Es. gelangte erst am Morgen des Schlachttages in die Hände Friedrich Wilhelms. Daran anknüpfend ließ der König am Tage nach der Schlacht um Waffenstillstand bitten, was abgelehnt wurde, und am 18. schickte er aus Magdeburg den bis¬ herigen preußischen Gesandten in Paris, Marchese Lucchesini, mit einem Friedens¬ antrag an Napoleon. Lucchesini wurde nicht einmal vorgelassen, aber Duroc, der Vertraute Napoleons, forderte in Kemberg, wo er mit dem Gesandten zu¬ sammentraf, die Abtretung aller preußischen Gebiete links von der Elbe, Aus¬ schließung Preußens von jeder Verbindung mit den übrigen deutschen Staaten, die sämtlich dem Rheinbunde angeschlossen werden sollten, und eine Kriegs¬ entschädigung von 100 Millionen Franken. Der König erhielt diese Bedingungen erst am 25. Oktober in Küstrin. Tags darauf sandte er den General von Zastrow in das französische Hauptquartier, während er sich selbst nach Stargard begab. Napoleon blieb unerschütterlich und hatte zur Nachgiebigkeit um so weniger Grund, als sich die Lage Preußens von Tag zu Tag verschlechterte. Eine Reihe nachteiliger Gefechte vollendete die Auflösung des Heeres, der Staats¬ organismus versagte vollständig. Am 24. Oktober rückten die Franzosen in Potsdam ein, Spandau ergab sich am folgenden Tage ohne jeden Widerstand, am 27. Nachmittags hielt Napoleon seinen Einzug in Berlin. Am 28. Oktober kapitulierte Fürst Hohenlohe bei Prenzlau, am nächsten Tage ergab sich Stettin mit einer Besatzung von 5000 Mann und reichen Vorräten. Unter diesen Umständen erklärten sich die preußischen Unterhändler Lucchesini und Zastrow am 30. Oktober zu Charlottenburg bereit, die französischen Forderungen als Grundlage einer Friedensverhandlung anzunehmen. Am 1. November ergab sich Küstrin, das der König wenig Tage zuvor verlassen hatte, am 7. No¬ vember mußte Blücher mit dem letzten Rest des Feldheeres nach ehrenvollen Widerstande wegen gänzlicher Erschöpfung von Lebensmitteln und Munition bei Lübeck kapitulieren, zugleich fiel auch Magdeburg mit einer Besatzung von 24000 Mann. M

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/148>, abgerufen am 23.07.2024.