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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Uulturbilder aus den Balkanstaaten

Freilich gibt es hier Unterschiede, zum Beispiel zwischen dem überhaupt sehr
freien und von ungarischer Leichtlebigkeit beeinflußten Bukarest und dem noch
sehr konservativen Athen. In Bukarest gehn zwar die rumänischen Frauen
auch noch nicht auf den Markt einkaufen, aber Weiber selbst sitzen dort schon
und verkaufen; in Athen wäre das unmöglich, hier sieht man nur Männer
auf dem Markte, sei es als Käufer oder als Verkäufer, und wenn man dort
als Deutscher ein griechisches Dienstmädchen hat und von ihr verlangt, sie
solle in einem benachbarten Laden etwas einkaufen, so würde sie sich mit
Händen und Füßen dagegen sträuben und höchstens bis zur Haustür gehn,
einen Stiefelputzerjungen herbeiwinken und diesen den Auftrag besorgen lassen.
Auch in Hotels findet man in Griechenland kein weibliches Wesen, und wo
es einmal in den ersten Hotels vorkommt, kann man sicher sein, daß es eine
Fremde ist. Das ist in Bukarest wieder ganz anders; hier ist die weibliche
Hotelbedienung sogar berüchtigt, sie besteht aber auch meist aus Ungarinnen.
Dagegen ist es in Bukarest ebenso wie in Athen und in Belgrad unmöglich,
daß eine Frau, sei es auch in Begleitung eines Herrn, ein Cafe betritt; das
Cafe ist ja die Stätte der politischen Debatten, und darum muß das Weib
hier nicht nur schweigen, sondern darf sich nicht einmal zeigen. Immerhin ist
es sehr bemerkenswert, daß die Rumänin schon anfängt, als Beamte eine
Rolle zu spielen: an der neuen Hauptpost in Bukarest findet man mehrere
Frauen als Schalterbeamte tätig. Die Frauenfrage scheint also hier schon
aufgerollt zu sein; doch ist die Frau am Balkan, auch die gebildete Städterin,
im allgemeinen noch ein recht gebundnes Wesen, vor allem, solange sie ledig
ist. Es gibt viele Mädchen, die nur deshalb heiraten, um ein freieres Leben
führen zu können; die orientalische Unfreiheit der Mädchenjahre rächt sich dann
oft in der Ehe in höchst verhängnisvoller Weise.

Die Gebundenheit der Sitte, soweit sie in der Öffentlichkeit zum Aus¬
druck kommt und sich nicht nur auf die Frau erstreckt, hat freilich auch ihre
guten Seiten. Besonders sympathisch wirkt die pietätvolle Haltung gegenüber
der Erscheinung des Todes: hier ist es noch, wie auch bei uns in katholischen
Gegenden, allgemein üblich, vor einem Leichenzuge den Hut zu lüften, und
wenn man zum Beispiel in einem Cafe sitzt und draußen ein Leichenzug
vorüberkommt -- in Athen wie überhaupt bei den Griechen ist der Sarg
immer offen --, kann man beobachten, wie plötzlich alles politische Geschwätz
verstummt, sich jeder von seinem Stuhle erhebt und den Hut lüftet, ähnlich wie
die katholischen Bauern beim Ave-Marialäuten.

Im übrigen trägt das Straßenleben den Stempel der ungebundensten Frei¬
heit, und ähnlich wie in Italien spielt sich ein großer Teil auch des Geschäfts¬
lebens im Freien ab, und nicht nur in den volkstümlichen Vierteln; auch in
die vornehmsten Teile ergießt sich die kribbelnde und wimmelnde Handelswelt
des Orients, da ja der Straßenhandel nirgends "gesperrt" ist; da sieht man
den Wasserverkäufer mit seinem auf einem zweirädrigen Wagen ruhenden Wasser-


Uulturbilder aus den Balkanstaaten

Freilich gibt es hier Unterschiede, zum Beispiel zwischen dem überhaupt sehr
freien und von ungarischer Leichtlebigkeit beeinflußten Bukarest und dem noch
sehr konservativen Athen. In Bukarest gehn zwar die rumänischen Frauen
auch noch nicht auf den Markt einkaufen, aber Weiber selbst sitzen dort schon
und verkaufen; in Athen wäre das unmöglich, hier sieht man nur Männer
auf dem Markte, sei es als Käufer oder als Verkäufer, und wenn man dort
als Deutscher ein griechisches Dienstmädchen hat und von ihr verlangt, sie
solle in einem benachbarten Laden etwas einkaufen, so würde sie sich mit
Händen und Füßen dagegen sträuben und höchstens bis zur Haustür gehn,
einen Stiefelputzerjungen herbeiwinken und diesen den Auftrag besorgen lassen.
Auch in Hotels findet man in Griechenland kein weibliches Wesen, und wo
es einmal in den ersten Hotels vorkommt, kann man sicher sein, daß es eine
Fremde ist. Das ist in Bukarest wieder ganz anders; hier ist die weibliche
Hotelbedienung sogar berüchtigt, sie besteht aber auch meist aus Ungarinnen.
Dagegen ist es in Bukarest ebenso wie in Athen und in Belgrad unmöglich,
daß eine Frau, sei es auch in Begleitung eines Herrn, ein Cafe betritt; das
Cafe ist ja die Stätte der politischen Debatten, und darum muß das Weib
hier nicht nur schweigen, sondern darf sich nicht einmal zeigen. Immerhin ist
es sehr bemerkenswert, daß die Rumänin schon anfängt, als Beamte eine
Rolle zu spielen: an der neuen Hauptpost in Bukarest findet man mehrere
Frauen als Schalterbeamte tätig. Die Frauenfrage scheint also hier schon
aufgerollt zu sein; doch ist die Frau am Balkan, auch die gebildete Städterin,
im allgemeinen noch ein recht gebundnes Wesen, vor allem, solange sie ledig
ist. Es gibt viele Mädchen, die nur deshalb heiraten, um ein freieres Leben
führen zu können; die orientalische Unfreiheit der Mädchenjahre rächt sich dann
oft in der Ehe in höchst verhängnisvoller Weise.

Die Gebundenheit der Sitte, soweit sie in der Öffentlichkeit zum Aus¬
druck kommt und sich nicht nur auf die Frau erstreckt, hat freilich auch ihre
guten Seiten. Besonders sympathisch wirkt die pietätvolle Haltung gegenüber
der Erscheinung des Todes: hier ist es noch, wie auch bei uns in katholischen
Gegenden, allgemein üblich, vor einem Leichenzuge den Hut zu lüften, und
wenn man zum Beispiel in einem Cafe sitzt und draußen ein Leichenzug
vorüberkommt — in Athen wie überhaupt bei den Griechen ist der Sarg
immer offen —, kann man beobachten, wie plötzlich alles politische Geschwätz
verstummt, sich jeder von seinem Stuhle erhebt und den Hut lüftet, ähnlich wie
die katholischen Bauern beim Ave-Marialäuten.

Im übrigen trägt das Straßenleben den Stempel der ungebundensten Frei¬
heit, und ähnlich wie in Italien spielt sich ein großer Teil auch des Geschäfts¬
lebens im Freien ab, und nicht nur in den volkstümlichen Vierteln; auch in
die vornehmsten Teile ergießt sich die kribbelnde und wimmelnde Handelswelt
des Orients, da ja der Straßenhandel nirgends „gesperrt" ist; da sieht man
den Wasserverkäufer mit seinem auf einem zweirädrigen Wagen ruhenden Wasser-


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[0102] Uulturbilder aus den Balkanstaaten Freilich gibt es hier Unterschiede, zum Beispiel zwischen dem überhaupt sehr freien und von ungarischer Leichtlebigkeit beeinflußten Bukarest und dem noch sehr konservativen Athen. In Bukarest gehn zwar die rumänischen Frauen auch noch nicht auf den Markt einkaufen, aber Weiber selbst sitzen dort schon und verkaufen; in Athen wäre das unmöglich, hier sieht man nur Männer auf dem Markte, sei es als Käufer oder als Verkäufer, und wenn man dort als Deutscher ein griechisches Dienstmädchen hat und von ihr verlangt, sie solle in einem benachbarten Laden etwas einkaufen, so würde sie sich mit Händen und Füßen dagegen sträuben und höchstens bis zur Haustür gehn, einen Stiefelputzerjungen herbeiwinken und diesen den Auftrag besorgen lassen. Auch in Hotels findet man in Griechenland kein weibliches Wesen, und wo es einmal in den ersten Hotels vorkommt, kann man sicher sein, daß es eine Fremde ist. Das ist in Bukarest wieder ganz anders; hier ist die weibliche Hotelbedienung sogar berüchtigt, sie besteht aber auch meist aus Ungarinnen. Dagegen ist es in Bukarest ebenso wie in Athen und in Belgrad unmöglich, daß eine Frau, sei es auch in Begleitung eines Herrn, ein Cafe betritt; das Cafe ist ja die Stätte der politischen Debatten, und darum muß das Weib hier nicht nur schweigen, sondern darf sich nicht einmal zeigen. Immerhin ist es sehr bemerkenswert, daß die Rumänin schon anfängt, als Beamte eine Rolle zu spielen: an der neuen Hauptpost in Bukarest findet man mehrere Frauen als Schalterbeamte tätig. Die Frauenfrage scheint also hier schon aufgerollt zu sein; doch ist die Frau am Balkan, auch die gebildete Städterin, im allgemeinen noch ein recht gebundnes Wesen, vor allem, solange sie ledig ist. Es gibt viele Mädchen, die nur deshalb heiraten, um ein freieres Leben führen zu können; die orientalische Unfreiheit der Mädchenjahre rächt sich dann oft in der Ehe in höchst verhängnisvoller Weise. Die Gebundenheit der Sitte, soweit sie in der Öffentlichkeit zum Aus¬ druck kommt und sich nicht nur auf die Frau erstreckt, hat freilich auch ihre guten Seiten. Besonders sympathisch wirkt die pietätvolle Haltung gegenüber der Erscheinung des Todes: hier ist es noch, wie auch bei uns in katholischen Gegenden, allgemein üblich, vor einem Leichenzuge den Hut zu lüften, und wenn man zum Beispiel in einem Cafe sitzt und draußen ein Leichenzug vorüberkommt — in Athen wie überhaupt bei den Griechen ist der Sarg immer offen —, kann man beobachten, wie plötzlich alles politische Geschwätz verstummt, sich jeder von seinem Stuhle erhebt und den Hut lüftet, ähnlich wie die katholischen Bauern beim Ave-Marialäuten. Im übrigen trägt das Straßenleben den Stempel der ungebundensten Frei¬ heit, und ähnlich wie in Italien spielt sich ein großer Teil auch des Geschäfts¬ lebens im Freien ab, und nicht nur in den volkstümlichen Vierteln; auch in die vornehmsten Teile ergießt sich die kribbelnde und wimmelnde Handelswelt des Orients, da ja der Straßenhandel nirgends „gesperrt" ist; da sieht man den Wasserverkäufer mit seinem auf einem zweirädrigen Wagen ruhenden Wasser-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/102>, abgerufen am 23.07.2024.