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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Aulturbilder aus den Balkanstaaten

Droschkenkutscher zugleich Rossetreiber und Rosselenker ist, ist er auf dem Balkan
nur das erste: er fährt einfach darauf los, ohne zu wissen, wohin; denn der
Fahrgast muß ihn lenken. Dieser sitzt wie ein äev.8 w maouiua da und
dirigiert ihn, wie ein Kapellmeister, mit dem Spazierstock: soll er rechts um¬
biegen, tippt er ihn rechts an, soll er links fahren, tippt er links, und soll
er anhalten, so berührt er ihn nur mit der Spitze des Stockes im Rücken.
Dieses auch in Rußland übliche Verfahren -- die Bukarester Kutscher sind
übrigens russische Skopzen und an ihren langen Sammetmänteln erkennbar --
ist wohl darauf zurückzuführen, daß die Kutscher die Straßen meist weder alle
dem Namen nach kennen noch die Straßenschilder lesen können. Zur Ehre der
Balkankutscher sei übrigens bemerkt, daß ihre Wagen und Pferde vorzüglich
sind und ebenso vorzüglich fahren. Jedenfalls fährt man in einem Berliner
Taxameter nicht so gut und so schnell wie in einer der eleganten Bukarester
oder Athener Droschken, trotz den schlechtem Straßen. Man fährt eben in
den südöstlichen Städten überhaupt mehr Droschke als bei uns -- man ist
auch in dieser Hinsicht noch nicht so demokratisiert im Verkehrswesen.

Ein weiterer mit dem Herrentum verwandter Zug, den der Europäer im
Verkehrsleben der Balkanhauptstädte bemerken kann, ist das schwach entwickelte
Gesellig- und Gemeinsamkeitsgefühl, das sich in dem Mangel an Verkehrs¬
formen äußert. Wie im Hause, so schließt sich der Balkanbürger auch in
öffentlichen Lokalen gern ab, setzt sich nicht gern an einen Tisch, an dem schon
andre sitzen, und wenn er es tut, so grüßt er nicht. Es ist dies weniger
UnHöflichkeit, da er sonst, zumal Fremden gegenüber, sehr zuvorkommend ist,
als vielmehr der noch fehlende soziale Takt, die Ungewohntheit, auf andre
Rücksicht zu nehmen. Diesen Völkern ist dabei ein gewisser patriarchalischer
Kommunismus eigen, der freilich von Altruismus nichts weiß und nur an
sich denkt. Würden zum Beispiel auf den Tischen der Cafes Feuerzeuge mit
Zündhölzern stehn, so würde sich niemand ein Gewissen daraus machen, diese
als sein Eigentum einzustecken, und darum stehn keine da. Man bekommt
aber doch welche, nur zugemessen; wenn nämlich der Kellner bemerkt, daß ein
Gast Anstalten zum Rauchen macht, langt er in die Westentasche, zieht drei
bis vier Zündhölzchen hervor und wirft sie vor den Gast auf den Tisch. In
kleinern Cafes sieht man noch die türkischen Feuerzeuge mit der glühenden
Kohle. Manche meinen freilich, diese Maßregel hänge damit zusammen, daß
Zündhölzer in den Balkanstaaten Monopol sind. Vielleicht wirkt beides zu¬
sammen. Aus demselben Grunde sind zum Beispiel die Federhalter in den
öffentlichen Postämtern an langen Ketten befestigt, und werden Bücher der
öffentlichen Bibliotheken nicht nach Hause verliehen.

Von sonstigen Überresten orientalischer Anschauungs- und Lebensart oder
Unart sei noch auf die Stellung der Frau hingewiesen. Die Orientalin, auch
die christliche, tritt bekanntlich nicht in die Öffentlichkeit, sondern bleibt hübsch
im Hause. Das wirkt nun noch nach, auch in der europäischen Großstadt.


Aulturbilder aus den Balkanstaaten

Droschkenkutscher zugleich Rossetreiber und Rosselenker ist, ist er auf dem Balkan
nur das erste: er fährt einfach darauf los, ohne zu wissen, wohin; denn der
Fahrgast muß ihn lenken. Dieser sitzt wie ein äev.8 w maouiua da und
dirigiert ihn, wie ein Kapellmeister, mit dem Spazierstock: soll er rechts um¬
biegen, tippt er ihn rechts an, soll er links fahren, tippt er links, und soll
er anhalten, so berührt er ihn nur mit der Spitze des Stockes im Rücken.
Dieses auch in Rußland übliche Verfahren — die Bukarester Kutscher sind
übrigens russische Skopzen und an ihren langen Sammetmänteln erkennbar —
ist wohl darauf zurückzuführen, daß die Kutscher die Straßen meist weder alle
dem Namen nach kennen noch die Straßenschilder lesen können. Zur Ehre der
Balkankutscher sei übrigens bemerkt, daß ihre Wagen und Pferde vorzüglich
sind und ebenso vorzüglich fahren. Jedenfalls fährt man in einem Berliner
Taxameter nicht so gut und so schnell wie in einer der eleganten Bukarester
oder Athener Droschken, trotz den schlechtem Straßen. Man fährt eben in
den südöstlichen Städten überhaupt mehr Droschke als bei uns — man ist
auch in dieser Hinsicht noch nicht so demokratisiert im Verkehrswesen.

Ein weiterer mit dem Herrentum verwandter Zug, den der Europäer im
Verkehrsleben der Balkanhauptstädte bemerken kann, ist das schwach entwickelte
Gesellig- und Gemeinsamkeitsgefühl, das sich in dem Mangel an Verkehrs¬
formen äußert. Wie im Hause, so schließt sich der Balkanbürger auch in
öffentlichen Lokalen gern ab, setzt sich nicht gern an einen Tisch, an dem schon
andre sitzen, und wenn er es tut, so grüßt er nicht. Es ist dies weniger
UnHöflichkeit, da er sonst, zumal Fremden gegenüber, sehr zuvorkommend ist,
als vielmehr der noch fehlende soziale Takt, die Ungewohntheit, auf andre
Rücksicht zu nehmen. Diesen Völkern ist dabei ein gewisser patriarchalischer
Kommunismus eigen, der freilich von Altruismus nichts weiß und nur an
sich denkt. Würden zum Beispiel auf den Tischen der Cafes Feuerzeuge mit
Zündhölzern stehn, so würde sich niemand ein Gewissen daraus machen, diese
als sein Eigentum einzustecken, und darum stehn keine da. Man bekommt
aber doch welche, nur zugemessen; wenn nämlich der Kellner bemerkt, daß ein
Gast Anstalten zum Rauchen macht, langt er in die Westentasche, zieht drei
bis vier Zündhölzchen hervor und wirft sie vor den Gast auf den Tisch. In
kleinern Cafes sieht man noch die türkischen Feuerzeuge mit der glühenden
Kohle. Manche meinen freilich, diese Maßregel hänge damit zusammen, daß
Zündhölzer in den Balkanstaaten Monopol sind. Vielleicht wirkt beides zu¬
sammen. Aus demselben Grunde sind zum Beispiel die Federhalter in den
öffentlichen Postämtern an langen Ketten befestigt, und werden Bücher der
öffentlichen Bibliotheken nicht nach Hause verliehen.

Von sonstigen Überresten orientalischer Anschauungs- und Lebensart oder
Unart sei noch auf die Stellung der Frau hingewiesen. Die Orientalin, auch
die christliche, tritt bekanntlich nicht in die Öffentlichkeit, sondern bleibt hübsch
im Hause. Das wirkt nun noch nach, auch in der europäischen Großstadt.


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[0101] Aulturbilder aus den Balkanstaaten Droschkenkutscher zugleich Rossetreiber und Rosselenker ist, ist er auf dem Balkan nur das erste: er fährt einfach darauf los, ohne zu wissen, wohin; denn der Fahrgast muß ihn lenken. Dieser sitzt wie ein äev.8 w maouiua da und dirigiert ihn, wie ein Kapellmeister, mit dem Spazierstock: soll er rechts um¬ biegen, tippt er ihn rechts an, soll er links fahren, tippt er links, und soll er anhalten, so berührt er ihn nur mit der Spitze des Stockes im Rücken. Dieses auch in Rußland übliche Verfahren — die Bukarester Kutscher sind übrigens russische Skopzen und an ihren langen Sammetmänteln erkennbar — ist wohl darauf zurückzuführen, daß die Kutscher die Straßen meist weder alle dem Namen nach kennen noch die Straßenschilder lesen können. Zur Ehre der Balkankutscher sei übrigens bemerkt, daß ihre Wagen und Pferde vorzüglich sind und ebenso vorzüglich fahren. Jedenfalls fährt man in einem Berliner Taxameter nicht so gut und so schnell wie in einer der eleganten Bukarester oder Athener Droschken, trotz den schlechtem Straßen. Man fährt eben in den südöstlichen Städten überhaupt mehr Droschke als bei uns — man ist auch in dieser Hinsicht noch nicht so demokratisiert im Verkehrswesen. Ein weiterer mit dem Herrentum verwandter Zug, den der Europäer im Verkehrsleben der Balkanhauptstädte bemerken kann, ist das schwach entwickelte Gesellig- und Gemeinsamkeitsgefühl, das sich in dem Mangel an Verkehrs¬ formen äußert. Wie im Hause, so schließt sich der Balkanbürger auch in öffentlichen Lokalen gern ab, setzt sich nicht gern an einen Tisch, an dem schon andre sitzen, und wenn er es tut, so grüßt er nicht. Es ist dies weniger UnHöflichkeit, da er sonst, zumal Fremden gegenüber, sehr zuvorkommend ist, als vielmehr der noch fehlende soziale Takt, die Ungewohntheit, auf andre Rücksicht zu nehmen. Diesen Völkern ist dabei ein gewisser patriarchalischer Kommunismus eigen, der freilich von Altruismus nichts weiß und nur an sich denkt. Würden zum Beispiel auf den Tischen der Cafes Feuerzeuge mit Zündhölzern stehn, so würde sich niemand ein Gewissen daraus machen, diese als sein Eigentum einzustecken, und darum stehn keine da. Man bekommt aber doch welche, nur zugemessen; wenn nämlich der Kellner bemerkt, daß ein Gast Anstalten zum Rauchen macht, langt er in die Westentasche, zieht drei bis vier Zündhölzchen hervor und wirft sie vor den Gast auf den Tisch. In kleinern Cafes sieht man noch die türkischen Feuerzeuge mit der glühenden Kohle. Manche meinen freilich, diese Maßregel hänge damit zusammen, daß Zündhölzer in den Balkanstaaten Monopol sind. Vielleicht wirkt beides zu¬ sammen. Aus demselben Grunde sind zum Beispiel die Federhalter in den öffentlichen Postämtern an langen Ketten befestigt, und werden Bücher der öffentlichen Bibliotheken nicht nach Hause verliehen. Von sonstigen Überresten orientalischer Anschauungs- und Lebensart oder Unart sei noch auf die Stellung der Frau hingewiesen. Die Orientalin, auch die christliche, tritt bekanntlich nicht in die Öffentlichkeit, sondern bleibt hübsch im Hause. Das wirkt nun noch nach, auch in der europäischen Großstadt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/101>, abgerufen am 23.07.2024.