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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Rulturbilder aus den Balkanstaaten

orientalische Eindruck des Bildes wird noch erhöht, wenn sich, wie man es
in Athen noch häufig sehen kann, der Pascha im Zylinderhut eine türkische
Wasserpfeife kommen läßt, an ihrem langen, peitschenartigen Rohr zu saugen
anfängt und den Raum mit monotonem Gurgeln und dem Übeln Geruch der
heißen Wasserdämpfe erfüllt.

Mit einem vollendeten Herrentypus tritt der europäisch gekleidete Orientale
auch in ein Geschäft. In diesem Moment muß er das Gefühl haben: "Dies
alles ist mir untertänig!" Von Hutabnehmen und "Guten Tag" sagen ist
natürlich keine Rede. Er wirft einen prüfenden Blick auf die gerade daliegenden
Waren, ergreift einige, befühlt und betrachtet sie, wirft sie wieder hin, wenn
sie ihm nicht zusagen, und wendet sich dann erst an den gehorsam dabeistehenden
Verkäufer. Ist dieser dann mit seinen Schätzen zum Vorschein gekommen, so
beginnt der Käufer höchst eigenmächtig und nicht sehr schonend darin herum¬
zuwühlen, als gehörten sie schon ihm. Hat sich dann der Pascha nach langem
Schwanken und Nörgeln endlich entschieden, so geht es an das Handeln und
zuletzt an das Zahlen.

Würden sich solche Vorgänge, wie sie hier geschildert worden sind, in
einem orientalischen Kaffeehaus oder in einem orientalischen Basar, etwa in
Konstantinopel, abspielen, so wäre nichts auffallendes daran; denn dann paßten
sie eben in das Milieu. Was sie so possierlich macht, ist gerade der seltsame
Kontrast zwischen der äußern europäischen Umgebung und dem orientalischen
Geiste, der darin sein Wesen treibt; denn dieser Geist kann auch in der neuen
Hülle sein Wesen nicht verleugnen; Kulturwanderungen sind leichter als Seelen¬
wandlungen, und eher wandert ein Europäer in eine orientalische Seele, als
ein Orientale in eine europäische. Dafür noch ein Beispiel von der vor kurzem
eröffneten Eisenbahnlinie Athen-Larissa, der ersten "europäischen" Bahn in
Griechenland mit Normalspurweite und Durchgangswagen. Diese Strecke be¬
nutzte auch ein Athener Abgeordneter. Wie nun der Schaffner an ihn heran¬
tritt, um nach "europäischer" Weise die Billetts zu revidieren, herrscht ihn der
Abgeordnete an, ob er nicht wisse, wer er sei. Als der Beamte schüchtern
bemerkt, daß er doch nur seine Pflicht tue, hält ihm jener mit einem viel¬
sagenden Blicke nur seine -- Visitenkarte entgegen, worauf sich der Schaffner
sofort um Entschuldigung stammelnd zurückzieht. Der Arme wußte nur zu
gut, daß ihn der Zorn eines Abgeordneten seiner Stellung berauben konnte!

Wie sich nun dieser innerlich wenig demokratische Ton im sozialen Leben
mit dem rein demokratischen Prinzip im politischen Leben verträgt, ist eine
schwierige Frage. Der noch sehr niedrige Bildungsstand des Volkes spricht
nicht dafür, daß eine parlamentarische Verfassung die richtige Staatsform dieser
Länder ist. Doch das mögen die Politiker entscheiden. Uns drängte sich diese
Betrachtung nur auf in der Erinnerung an die Art, wie man in den Haupt¬
städten des Balkans Droschke fährt. Da zeigt es sich doch ganz deutlich, wie
das Volk noch gelenkt werden muß. Während bei uns jeder rechtschaffne


Rulturbilder aus den Balkanstaaten

orientalische Eindruck des Bildes wird noch erhöht, wenn sich, wie man es
in Athen noch häufig sehen kann, der Pascha im Zylinderhut eine türkische
Wasserpfeife kommen läßt, an ihrem langen, peitschenartigen Rohr zu saugen
anfängt und den Raum mit monotonem Gurgeln und dem Übeln Geruch der
heißen Wasserdämpfe erfüllt.

Mit einem vollendeten Herrentypus tritt der europäisch gekleidete Orientale
auch in ein Geschäft. In diesem Moment muß er das Gefühl haben: „Dies
alles ist mir untertänig!" Von Hutabnehmen und „Guten Tag" sagen ist
natürlich keine Rede. Er wirft einen prüfenden Blick auf die gerade daliegenden
Waren, ergreift einige, befühlt und betrachtet sie, wirft sie wieder hin, wenn
sie ihm nicht zusagen, und wendet sich dann erst an den gehorsam dabeistehenden
Verkäufer. Ist dieser dann mit seinen Schätzen zum Vorschein gekommen, so
beginnt der Käufer höchst eigenmächtig und nicht sehr schonend darin herum¬
zuwühlen, als gehörten sie schon ihm. Hat sich dann der Pascha nach langem
Schwanken und Nörgeln endlich entschieden, so geht es an das Handeln und
zuletzt an das Zahlen.

Würden sich solche Vorgänge, wie sie hier geschildert worden sind, in
einem orientalischen Kaffeehaus oder in einem orientalischen Basar, etwa in
Konstantinopel, abspielen, so wäre nichts auffallendes daran; denn dann paßten
sie eben in das Milieu. Was sie so possierlich macht, ist gerade der seltsame
Kontrast zwischen der äußern europäischen Umgebung und dem orientalischen
Geiste, der darin sein Wesen treibt; denn dieser Geist kann auch in der neuen
Hülle sein Wesen nicht verleugnen; Kulturwanderungen sind leichter als Seelen¬
wandlungen, und eher wandert ein Europäer in eine orientalische Seele, als
ein Orientale in eine europäische. Dafür noch ein Beispiel von der vor kurzem
eröffneten Eisenbahnlinie Athen-Larissa, der ersten „europäischen" Bahn in
Griechenland mit Normalspurweite und Durchgangswagen. Diese Strecke be¬
nutzte auch ein Athener Abgeordneter. Wie nun der Schaffner an ihn heran¬
tritt, um nach „europäischer" Weise die Billetts zu revidieren, herrscht ihn der
Abgeordnete an, ob er nicht wisse, wer er sei. Als der Beamte schüchtern
bemerkt, daß er doch nur seine Pflicht tue, hält ihm jener mit einem viel¬
sagenden Blicke nur seine — Visitenkarte entgegen, worauf sich der Schaffner
sofort um Entschuldigung stammelnd zurückzieht. Der Arme wußte nur zu
gut, daß ihn der Zorn eines Abgeordneten seiner Stellung berauben konnte!

Wie sich nun dieser innerlich wenig demokratische Ton im sozialen Leben
mit dem rein demokratischen Prinzip im politischen Leben verträgt, ist eine
schwierige Frage. Der noch sehr niedrige Bildungsstand des Volkes spricht
nicht dafür, daß eine parlamentarische Verfassung die richtige Staatsform dieser
Länder ist. Doch das mögen die Politiker entscheiden. Uns drängte sich diese
Betrachtung nur auf in der Erinnerung an die Art, wie man in den Haupt¬
städten des Balkans Droschke fährt. Da zeigt es sich doch ganz deutlich, wie
das Volk noch gelenkt werden muß. Während bei uns jeder rechtschaffne


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[0100] Rulturbilder aus den Balkanstaaten orientalische Eindruck des Bildes wird noch erhöht, wenn sich, wie man es in Athen noch häufig sehen kann, der Pascha im Zylinderhut eine türkische Wasserpfeife kommen läßt, an ihrem langen, peitschenartigen Rohr zu saugen anfängt und den Raum mit monotonem Gurgeln und dem Übeln Geruch der heißen Wasserdämpfe erfüllt. Mit einem vollendeten Herrentypus tritt der europäisch gekleidete Orientale auch in ein Geschäft. In diesem Moment muß er das Gefühl haben: „Dies alles ist mir untertänig!" Von Hutabnehmen und „Guten Tag" sagen ist natürlich keine Rede. Er wirft einen prüfenden Blick auf die gerade daliegenden Waren, ergreift einige, befühlt und betrachtet sie, wirft sie wieder hin, wenn sie ihm nicht zusagen, und wendet sich dann erst an den gehorsam dabeistehenden Verkäufer. Ist dieser dann mit seinen Schätzen zum Vorschein gekommen, so beginnt der Käufer höchst eigenmächtig und nicht sehr schonend darin herum¬ zuwühlen, als gehörten sie schon ihm. Hat sich dann der Pascha nach langem Schwanken und Nörgeln endlich entschieden, so geht es an das Handeln und zuletzt an das Zahlen. Würden sich solche Vorgänge, wie sie hier geschildert worden sind, in einem orientalischen Kaffeehaus oder in einem orientalischen Basar, etwa in Konstantinopel, abspielen, so wäre nichts auffallendes daran; denn dann paßten sie eben in das Milieu. Was sie so possierlich macht, ist gerade der seltsame Kontrast zwischen der äußern europäischen Umgebung und dem orientalischen Geiste, der darin sein Wesen treibt; denn dieser Geist kann auch in der neuen Hülle sein Wesen nicht verleugnen; Kulturwanderungen sind leichter als Seelen¬ wandlungen, und eher wandert ein Europäer in eine orientalische Seele, als ein Orientale in eine europäische. Dafür noch ein Beispiel von der vor kurzem eröffneten Eisenbahnlinie Athen-Larissa, der ersten „europäischen" Bahn in Griechenland mit Normalspurweite und Durchgangswagen. Diese Strecke be¬ nutzte auch ein Athener Abgeordneter. Wie nun der Schaffner an ihn heran¬ tritt, um nach „europäischer" Weise die Billetts zu revidieren, herrscht ihn der Abgeordnete an, ob er nicht wisse, wer er sei. Als der Beamte schüchtern bemerkt, daß er doch nur seine Pflicht tue, hält ihm jener mit einem viel¬ sagenden Blicke nur seine — Visitenkarte entgegen, worauf sich der Schaffner sofort um Entschuldigung stammelnd zurückzieht. Der Arme wußte nur zu gut, daß ihn der Zorn eines Abgeordneten seiner Stellung berauben konnte! Wie sich nun dieser innerlich wenig demokratische Ton im sozialen Leben mit dem rein demokratischen Prinzip im politischen Leben verträgt, ist eine schwierige Frage. Der noch sehr niedrige Bildungsstand des Volkes spricht nicht dafür, daß eine parlamentarische Verfassung die richtige Staatsform dieser Länder ist. Doch das mögen die Politiker entscheiden. Uns drängte sich diese Betrachtung nur auf in der Erinnerung an die Art, wie man in den Haupt¬ städten des Balkans Droschke fährt. Da zeigt es sich doch ganz deutlich, wie das Volk noch gelenkt werden muß. Während bei uns jeder rechtschaffne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/100>, abgerufen am 23.07.2024.