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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr.

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Kulturbilder aus den Balkanstaaten

auf dem Markte oder im Basar eingekauft hat, und seien es nur sechs Apfel¬
sinen, einem der zahlreichen umherlungernden, mit einem Korbe versehenen
Jungen zu übergeben, der sie prompt nach Hause befördert, indem er gehorsam
hinter seinem Herrn hergeht -- in Bukarest hat sich daraus ein eignes Ge¬
werbe entwickelt, das des Zwischenhändlers oder Prekupez --, so gilt es auch
in den Balkanstädten für höchst unfein, mit einem wenn auch nur kleinen
Paket durch die Straßen zu gehn, und man erkennt sofort den Ausländer
daran, den der Eingeborne für einen argen Knicker hält, weil er nicht einmal
die paar Pfennige opfert, sich sein Paket tragen zu lassen! Dagegen beobachtet
man manches, was wieder bei uns nicht üblich ist, daß nämlich Käufer von
Fischen diese gleich mitnehmen, indem man sie an einem Haken aufgezogen an
der Seite trägt. Einen drolligen Eindruck macht es, wenn zum Beispiel ein
Offizier in Uniform, wie ich es oft in Athen gesehen habe, mit einem solchen
Fischbündel bewaffnet durch die Straßen zieht.

Daß diese Abneigung des Balkanbewohners gegen das Tragen kleiner
Lasten nicht nur Bequemlichkeit, sondern tatsächlich Herrenmenschentum ist, kann
man in seinem Verhalten gegen Niedre, besonders gegen dienstbare Geister,
zum Beispiel gegen Kellner in Restaurants und Cafes oder gegen Verkäufer
beobachten. Hier kommt sofort das alte Verhältnis zwischen Herren und
Hörigen zum Vorschein. Zwar ist der dienstbare Balkanmensch nicht devot
und auch nicht kultiviert genug, als daß er wie der Österreicher gleich mit
einem "Küß die Hand, guna Herr!" bei der Hand wäre, um so paschamäßiger
aber ist der Ton, worin der Auftraggeber mit ihm redet. Tritt so ein Pascha
mit dem Zylinderhut gemessenen Schrittes in ein Cafe, so klopft er, wenn er
einen Platz gefunden hat, zunächst mit seinem Stock gebieterisch auf den
Marmortisch oder klatscht -- wie in Griechenland -- in die Hände, wie
Aladdin, als der Geist erscheinen sollte, um dem Kellner seine Anwesenheit
bemerkbar zu machen;*) sind dann zufällig ein paar Wasser- oder Kaffeeflecke
auf dem Tische, so bittet der Gast -- pardon, der Pascha -- nicht etwa den
Kellner ruhig, sie abzuwischen, sondern er hält gleich in erregtem Ton eine
Strafpredigt: "Sieh, wie der Tisch aussieht! Schämt ihr euch nicht? Gleich
wisch ihn ab!" Während dann der Dienstbare den Tisch bearbeitet und die
Bestellung mit einem eifrigen "sofort" entgegengenommen und an den Buffetier
mit Stentorstimme weitergegeben hat, läßt sich der Pascha auf einen Stuhl
nieder, zieht mit der einen Hand einen zweiten heran, dessen Querleiste als
Fußbank benutzend, und beginnt den inzwischen servierten, natürlich nach tür¬
kischer Art zubereiteten Kaffee zu schlürfen (Milchkaffee und "Melange" be¬
kommt man nur in Bukarest und in Belgrad in den ersten Cafes). Der



Dieses Verhalten hat freilich eine gewisse Berechtigung! denn das diensteifrige Ent¬
gegenkommen der Kellner würde der Orientale nicht versteh"; sie haben zu warten, bis man
sie ruft. Auch gibt es "Gäste", die nur in ein Cafe gehn, um Wasser zu trinken und Zeitung
zu lesen. Auch ein Stück Kommunismus!
Kulturbilder aus den Balkanstaaten

auf dem Markte oder im Basar eingekauft hat, und seien es nur sechs Apfel¬
sinen, einem der zahlreichen umherlungernden, mit einem Korbe versehenen
Jungen zu übergeben, der sie prompt nach Hause befördert, indem er gehorsam
hinter seinem Herrn hergeht — in Bukarest hat sich daraus ein eignes Ge¬
werbe entwickelt, das des Zwischenhändlers oder Prekupez —, so gilt es auch
in den Balkanstädten für höchst unfein, mit einem wenn auch nur kleinen
Paket durch die Straßen zu gehn, und man erkennt sofort den Ausländer
daran, den der Eingeborne für einen argen Knicker hält, weil er nicht einmal
die paar Pfennige opfert, sich sein Paket tragen zu lassen! Dagegen beobachtet
man manches, was wieder bei uns nicht üblich ist, daß nämlich Käufer von
Fischen diese gleich mitnehmen, indem man sie an einem Haken aufgezogen an
der Seite trägt. Einen drolligen Eindruck macht es, wenn zum Beispiel ein
Offizier in Uniform, wie ich es oft in Athen gesehen habe, mit einem solchen
Fischbündel bewaffnet durch die Straßen zieht.

Daß diese Abneigung des Balkanbewohners gegen das Tragen kleiner
Lasten nicht nur Bequemlichkeit, sondern tatsächlich Herrenmenschentum ist, kann
man in seinem Verhalten gegen Niedre, besonders gegen dienstbare Geister,
zum Beispiel gegen Kellner in Restaurants und Cafes oder gegen Verkäufer
beobachten. Hier kommt sofort das alte Verhältnis zwischen Herren und
Hörigen zum Vorschein. Zwar ist der dienstbare Balkanmensch nicht devot
und auch nicht kultiviert genug, als daß er wie der Österreicher gleich mit
einem „Küß die Hand, guna Herr!" bei der Hand wäre, um so paschamäßiger
aber ist der Ton, worin der Auftraggeber mit ihm redet. Tritt so ein Pascha
mit dem Zylinderhut gemessenen Schrittes in ein Cafe, so klopft er, wenn er
einen Platz gefunden hat, zunächst mit seinem Stock gebieterisch auf den
Marmortisch oder klatscht — wie in Griechenland — in die Hände, wie
Aladdin, als der Geist erscheinen sollte, um dem Kellner seine Anwesenheit
bemerkbar zu machen;*) sind dann zufällig ein paar Wasser- oder Kaffeeflecke
auf dem Tische, so bittet der Gast — pardon, der Pascha — nicht etwa den
Kellner ruhig, sie abzuwischen, sondern er hält gleich in erregtem Ton eine
Strafpredigt: „Sieh, wie der Tisch aussieht! Schämt ihr euch nicht? Gleich
wisch ihn ab!" Während dann der Dienstbare den Tisch bearbeitet und die
Bestellung mit einem eifrigen „sofort" entgegengenommen und an den Buffetier
mit Stentorstimme weitergegeben hat, läßt sich der Pascha auf einen Stuhl
nieder, zieht mit der einen Hand einen zweiten heran, dessen Querleiste als
Fußbank benutzend, und beginnt den inzwischen servierten, natürlich nach tür¬
kischer Art zubereiteten Kaffee zu schlürfen (Milchkaffee und „Melange" be¬
kommt man nur in Bukarest und in Belgrad in den ersten Cafes). Der



Dieses Verhalten hat freilich eine gewisse Berechtigung! denn das diensteifrige Ent¬
gegenkommen der Kellner würde der Orientale nicht versteh«; sie haben zu warten, bis man
sie ruft. Auch gibt es „Gäste", die nur in ein Cafe gehn, um Wasser zu trinken und Zeitung
zu lesen. Auch ein Stück Kommunismus!
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[0099] Kulturbilder aus den Balkanstaaten auf dem Markte oder im Basar eingekauft hat, und seien es nur sechs Apfel¬ sinen, einem der zahlreichen umherlungernden, mit einem Korbe versehenen Jungen zu übergeben, der sie prompt nach Hause befördert, indem er gehorsam hinter seinem Herrn hergeht — in Bukarest hat sich daraus ein eignes Ge¬ werbe entwickelt, das des Zwischenhändlers oder Prekupez —, so gilt es auch in den Balkanstädten für höchst unfein, mit einem wenn auch nur kleinen Paket durch die Straßen zu gehn, und man erkennt sofort den Ausländer daran, den der Eingeborne für einen argen Knicker hält, weil er nicht einmal die paar Pfennige opfert, sich sein Paket tragen zu lassen! Dagegen beobachtet man manches, was wieder bei uns nicht üblich ist, daß nämlich Käufer von Fischen diese gleich mitnehmen, indem man sie an einem Haken aufgezogen an der Seite trägt. Einen drolligen Eindruck macht es, wenn zum Beispiel ein Offizier in Uniform, wie ich es oft in Athen gesehen habe, mit einem solchen Fischbündel bewaffnet durch die Straßen zieht. Daß diese Abneigung des Balkanbewohners gegen das Tragen kleiner Lasten nicht nur Bequemlichkeit, sondern tatsächlich Herrenmenschentum ist, kann man in seinem Verhalten gegen Niedre, besonders gegen dienstbare Geister, zum Beispiel gegen Kellner in Restaurants und Cafes oder gegen Verkäufer beobachten. Hier kommt sofort das alte Verhältnis zwischen Herren und Hörigen zum Vorschein. Zwar ist der dienstbare Balkanmensch nicht devot und auch nicht kultiviert genug, als daß er wie der Österreicher gleich mit einem „Küß die Hand, guna Herr!" bei der Hand wäre, um so paschamäßiger aber ist der Ton, worin der Auftraggeber mit ihm redet. Tritt so ein Pascha mit dem Zylinderhut gemessenen Schrittes in ein Cafe, so klopft er, wenn er einen Platz gefunden hat, zunächst mit seinem Stock gebieterisch auf den Marmortisch oder klatscht — wie in Griechenland — in die Hände, wie Aladdin, als der Geist erscheinen sollte, um dem Kellner seine Anwesenheit bemerkbar zu machen;*) sind dann zufällig ein paar Wasser- oder Kaffeeflecke auf dem Tische, so bittet der Gast — pardon, der Pascha — nicht etwa den Kellner ruhig, sie abzuwischen, sondern er hält gleich in erregtem Ton eine Strafpredigt: „Sieh, wie der Tisch aussieht! Schämt ihr euch nicht? Gleich wisch ihn ab!" Während dann der Dienstbare den Tisch bearbeitet und die Bestellung mit einem eifrigen „sofort" entgegengenommen und an den Buffetier mit Stentorstimme weitergegeben hat, läßt sich der Pascha auf einen Stuhl nieder, zieht mit der einen Hand einen zweiten heran, dessen Querleiste als Fußbank benutzend, und beginnt den inzwischen servierten, natürlich nach tür¬ kischer Art zubereiteten Kaffee zu schlürfen (Milchkaffee und „Melange" be¬ kommt man nur in Bukarest und in Belgrad in den ersten Cafes). Der Dieses Verhalten hat freilich eine gewisse Berechtigung! denn das diensteifrige Ent¬ gegenkommen der Kellner würde der Orientale nicht versteh«; sie haben zu warten, bis man sie ruft. Auch gibt es „Gäste", die nur in ein Cafe gehn, um Wasser zu trinken und Zeitung zu lesen. Auch ein Stück Kommunismus!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_300500/99>, abgerufen am 23.07.2024.