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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Über den Brenner

Die Talwände schieben sich enger zusammen und werden höher. Über der
Station Weidbruck hängt hoch oben die Trostburg, den Eingang zum Grödner
Tale und den Aufstieg zur Hochebene hudert, die im Süden die zackige Felsen¬
mauer des Schlern begrenzt. Da oben bei Layen liegt auch der aussichtsreiche
Vogelweiderhof, die wahrscheinliche Heimat Walthers von der Vogelweide. Die
römische Straße umging die Eisackklamm, wie solche leicht zu sperrende Eng¬
wege regelmäßig vermieden wurden, und kann von Kastelruth (LaLtello rotto),
das auf Römermauern steht und offenbar ein alter Beobachtungsposten war,
vollständig übersehen werden, wie sie von Lengstein aus am untern Rande
des Ritten rechts vom Eisack hinlief und bei Steg wieder ins Tal einbog.
Den Talweg selbst hat erst im spätern Mittelalter 1314 ein unternehmender
Bürger von Bozen, Heinrich Künder, allerdings nnr für Fußgänger und Reiter,
geöffnet, und nach ihm heißt noch jetzt diese Straßenstrecke der "Kuntersweg".
Fahrbar wurde sie jedoch erst durch die Felssprengungen, die Erzherzog
Sigismund (seit 1483) vornehmen ließ. Zwischen rötlichen, fast senkrechten
Porphyrwünden, von denen der Efeu in dichten dunkelgrünen Teppichen herab¬
hängt, führen Straße und Bahn dahin, bis die Straße bei Blumau den Fluß
überschreitet. Das ist die alte Drususbrücke, der Pons Drusi der römischen
Itinerarien. Allmählich öffnet sich das Tal, die Berge treten zurück, und vor
uns liegt der weite Kessel von Bozen.

Zwischen hohen Bergwänden, die alle nördlichen Winde abschließen, den
Südwinden den Zutritt offen lassen, angesichts der prachtvollen Dvlomitwände
des Rosengartens, die bei Abendbeleuchtung rosig erglühn, der Schauplatz der
Sagen vom Zwergkönig Laurin und Dietrich von Bern, dehnt sich eine Frucht¬
ebene von südlicher Üppigkeit, der Garten Tirols, das einzige Stück deutschen
Bodens von wahrhaft südlichem Charakter. Hier reifen alle Gewächse des
Südens, vor allem Obst und feuriger Wein, und in reichster Blütenfülle prangen
hier Äpfel und Pfirsiche neben den Weißen Kerzen der Roßkastanien und den
violetten Blütentrauben der Glycinen zu einer Zeit, wo im Norden des Brenners
noch alles tot und starr ist. Bis hoch hinauf bedecken reiche Kulturen zwischen
hellschimmcrnden Landhäusern und alten Burgen die Berghänge, und mitten
drin breitet sich das behäbige Städtchen aus: hohe Häuser an engen Gassen
mit Laubengängen, Erkern und grünen Läden, der Waltherplatz mit seinen
schattigen Baumreihen neben der Pfarrkirche mit ihrem breiten Ziegeldach und
dein zierlich durchbrochnen, gotischen Glockenturm, behagliche alte Gasthöfe und
große moderne Hotels. Jenseits der breiten Talfer liegen die Villen und die
Hotels des jungen Kurorts Gries in üppigen Gärten um das alte Augustiner¬
chorherrenstift (von 1665), das den ersten Anfang zu der ganzen Ansiedlung
gab. Bozen aber verdankt sein Aufkommen der überaus günstigen Verkehrs¬
lage. Denn hier strömt aus dem Sarntale von Norden her die Talfer in den
Eisack, und dieser vereinigt sich weiter südwärts mit der Etsch, die aus dem
Vintschgau kommt. So treffen hier zwei große Straßenlinien zusammen, die


Über den Brenner

Die Talwände schieben sich enger zusammen und werden höher. Über der
Station Weidbruck hängt hoch oben die Trostburg, den Eingang zum Grödner
Tale und den Aufstieg zur Hochebene hudert, die im Süden die zackige Felsen¬
mauer des Schlern begrenzt. Da oben bei Layen liegt auch der aussichtsreiche
Vogelweiderhof, die wahrscheinliche Heimat Walthers von der Vogelweide. Die
römische Straße umging die Eisackklamm, wie solche leicht zu sperrende Eng¬
wege regelmäßig vermieden wurden, und kann von Kastelruth (LaLtello rotto),
das auf Römermauern steht und offenbar ein alter Beobachtungsposten war,
vollständig übersehen werden, wie sie von Lengstein aus am untern Rande
des Ritten rechts vom Eisack hinlief und bei Steg wieder ins Tal einbog.
Den Talweg selbst hat erst im spätern Mittelalter 1314 ein unternehmender
Bürger von Bozen, Heinrich Künder, allerdings nnr für Fußgänger und Reiter,
geöffnet, und nach ihm heißt noch jetzt diese Straßenstrecke der „Kuntersweg".
Fahrbar wurde sie jedoch erst durch die Felssprengungen, die Erzherzog
Sigismund (seit 1483) vornehmen ließ. Zwischen rötlichen, fast senkrechten
Porphyrwünden, von denen der Efeu in dichten dunkelgrünen Teppichen herab¬
hängt, führen Straße und Bahn dahin, bis die Straße bei Blumau den Fluß
überschreitet. Das ist die alte Drususbrücke, der Pons Drusi der römischen
Itinerarien. Allmählich öffnet sich das Tal, die Berge treten zurück, und vor
uns liegt der weite Kessel von Bozen.

Zwischen hohen Bergwänden, die alle nördlichen Winde abschließen, den
Südwinden den Zutritt offen lassen, angesichts der prachtvollen Dvlomitwände
des Rosengartens, die bei Abendbeleuchtung rosig erglühn, der Schauplatz der
Sagen vom Zwergkönig Laurin und Dietrich von Bern, dehnt sich eine Frucht¬
ebene von südlicher Üppigkeit, der Garten Tirols, das einzige Stück deutschen
Bodens von wahrhaft südlichem Charakter. Hier reifen alle Gewächse des
Südens, vor allem Obst und feuriger Wein, und in reichster Blütenfülle prangen
hier Äpfel und Pfirsiche neben den Weißen Kerzen der Roßkastanien und den
violetten Blütentrauben der Glycinen zu einer Zeit, wo im Norden des Brenners
noch alles tot und starr ist. Bis hoch hinauf bedecken reiche Kulturen zwischen
hellschimmcrnden Landhäusern und alten Burgen die Berghänge, und mitten
drin breitet sich das behäbige Städtchen aus: hohe Häuser an engen Gassen
mit Laubengängen, Erkern und grünen Läden, der Waltherplatz mit seinen
schattigen Baumreihen neben der Pfarrkirche mit ihrem breiten Ziegeldach und
dein zierlich durchbrochnen, gotischen Glockenturm, behagliche alte Gasthöfe und
große moderne Hotels. Jenseits der breiten Talfer liegen die Villen und die
Hotels des jungen Kurorts Gries in üppigen Gärten um das alte Augustiner¬
chorherrenstift (von 1665), das den ersten Anfang zu der ganzen Ansiedlung
gab. Bozen aber verdankt sein Aufkommen der überaus günstigen Verkehrs¬
lage. Denn hier strömt aus dem Sarntale von Norden her die Talfer in den
Eisack, und dieser vereinigt sich weiter südwärts mit der Etsch, die aus dem
Vintschgau kommt. So treffen hier zwei große Straßenlinien zusammen, die


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[0086] Über den Brenner Die Talwände schieben sich enger zusammen und werden höher. Über der Station Weidbruck hängt hoch oben die Trostburg, den Eingang zum Grödner Tale und den Aufstieg zur Hochebene hudert, die im Süden die zackige Felsen¬ mauer des Schlern begrenzt. Da oben bei Layen liegt auch der aussichtsreiche Vogelweiderhof, die wahrscheinliche Heimat Walthers von der Vogelweide. Die römische Straße umging die Eisackklamm, wie solche leicht zu sperrende Eng¬ wege regelmäßig vermieden wurden, und kann von Kastelruth (LaLtello rotto), das auf Römermauern steht und offenbar ein alter Beobachtungsposten war, vollständig übersehen werden, wie sie von Lengstein aus am untern Rande des Ritten rechts vom Eisack hinlief und bei Steg wieder ins Tal einbog. Den Talweg selbst hat erst im spätern Mittelalter 1314 ein unternehmender Bürger von Bozen, Heinrich Künder, allerdings nnr für Fußgänger und Reiter, geöffnet, und nach ihm heißt noch jetzt diese Straßenstrecke der „Kuntersweg". Fahrbar wurde sie jedoch erst durch die Felssprengungen, die Erzherzog Sigismund (seit 1483) vornehmen ließ. Zwischen rötlichen, fast senkrechten Porphyrwünden, von denen der Efeu in dichten dunkelgrünen Teppichen herab¬ hängt, führen Straße und Bahn dahin, bis die Straße bei Blumau den Fluß überschreitet. Das ist die alte Drususbrücke, der Pons Drusi der römischen Itinerarien. Allmählich öffnet sich das Tal, die Berge treten zurück, und vor uns liegt der weite Kessel von Bozen. Zwischen hohen Bergwänden, die alle nördlichen Winde abschließen, den Südwinden den Zutritt offen lassen, angesichts der prachtvollen Dvlomitwände des Rosengartens, die bei Abendbeleuchtung rosig erglühn, der Schauplatz der Sagen vom Zwergkönig Laurin und Dietrich von Bern, dehnt sich eine Frucht¬ ebene von südlicher Üppigkeit, der Garten Tirols, das einzige Stück deutschen Bodens von wahrhaft südlichem Charakter. Hier reifen alle Gewächse des Südens, vor allem Obst und feuriger Wein, und in reichster Blütenfülle prangen hier Äpfel und Pfirsiche neben den Weißen Kerzen der Roßkastanien und den violetten Blütentrauben der Glycinen zu einer Zeit, wo im Norden des Brenners noch alles tot und starr ist. Bis hoch hinauf bedecken reiche Kulturen zwischen hellschimmcrnden Landhäusern und alten Burgen die Berghänge, und mitten drin breitet sich das behäbige Städtchen aus: hohe Häuser an engen Gassen mit Laubengängen, Erkern und grünen Läden, der Waltherplatz mit seinen schattigen Baumreihen neben der Pfarrkirche mit ihrem breiten Ziegeldach und dein zierlich durchbrochnen, gotischen Glockenturm, behagliche alte Gasthöfe und große moderne Hotels. Jenseits der breiten Talfer liegen die Villen und die Hotels des jungen Kurorts Gries in üppigen Gärten um das alte Augustiner¬ chorherrenstift (von 1665), das den ersten Anfang zu der ganzen Ansiedlung gab. Bozen aber verdankt sein Aufkommen der überaus günstigen Verkehrs¬ lage. Denn hier strömt aus dem Sarntale von Norden her die Talfer in den Eisack, und dieser vereinigt sich weiter südwärts mit der Etsch, die aus dem Vintschgau kommt. So treffen hier zwei große Straßenlinien zusammen, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/86>, abgerufen am 23.07.2024.