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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Über den Brenner

Straße über den Brenner mit der Linie nach der Reschen Scheideck und dem
obern Jnntale bei Landeck, die schon die Römer als Via Claudia aufbauten.
Deshalb war Bozen schon um 678 Sitz eines bayrischen Greuzgrafen, schon
im achten Jahrhundert eine vielbesuchte Naststelle auf der Reise nach Norden
oder Süden, seit dem zehnten Jahrhundert der Amtssitz des Grafen im
Noritalgau, seit 1027 unter der gräflichen Gewalt des Bistums Trident, die
diese freilich bald mit dem Grafen (von Tirol) teilen mußte. So wurde es
früh auch eine wichtige Markt- und Zollstätte (Kurzum 1208). Um 1274
fanden hier jährlich zwei große Märkte statt, am 25. August und um Mitt¬
fasten. Auch der Deutsche Orden erwarb hier 1202 ein Hospital, das erste auf
deutschem Boden, dessen Kontur später die ganze Battel "an der Etsch und im
Gebirge" leitete, und noch heute besteht hier ein Hospital des Deutschen Ordens,
der sich in Österreich als Krankenpflegerorden erhalten hat, wie im protestantischen
Norddeutschland der Johanniterorden in derselben Beschränkung fortdauert.
Schließlich behaupteten die Grafen von Tirol das Alleinrecht über Bozen und
verliehen ihm 1286 eine Art Stadtrecht, Karl der Vierte aber gab der Stadt
den Straßenzwang, der ihre Umgehung vom Vintschgau her verbot. Noch Goethe
faud 1786 die Bozner Messe bedeutend, besonders durch den Vertrieb von
Seide, Tuch und Leder. Seit der Erbauung der Brennerbahn hat Bozen diesen
alten Verkehr verloren, es ist aber immer noch die bedeutendste Handelsstadt
Tirols und ist dazu ein Freudenort allerersten Ranges geworden.

Diese herrliche Landschaft ist aber auch das historische Herzstück des tirolischen
Staatswesens. Ein Ministeriale des Bistums Brixen, Adalbert, erhielt von
diesem vor 1130 die Grafschaft im obern Eisacktale, die Brixen seit 1027
besaß, vom Bistum Trident die Grafschaft im Vintschgau und die Vogtei über
dieses Bistum selbst. Sein Sohn Adalbert nannte sich seit etwa 1140 nach
dem stolzen Herrensitze über Meran Graf von Tirol, und indem seine Nach¬
kommen allmählich dem Bistum Trident, dessen Vögte sie waren, in dem größten
Teil ihres Gebiets die weltlichen Rechte entwanden und im dreizehnten Jahr¬
hundert nördlich des Brenners auch die Erben der bayrischen Andechser nach deren
Aussterben 1248 wurden, faßten sie gegen das Ende dieses Jahrhunderts das
Bündel bayrischer Gaue und Jmmunitätsherrschasten zu einem selbständigen
Staatswesen zusammen, das schon um 1271 als "Grafschaft Tirol" (LonürÄw.?
^irolöllsis) nach der Stammburg des herrschenden Hauses bezeichnet wurde und
bis ins fünfzehnte Jahrhundert seinen Schwerpunkt im Süden des Brenners
hatte, sein festes Rückgrat in der Brennerstraße fand. Auch die mächtigsten
Adelsgeschlechter waren im Süden des Brenners zuhause. Am Eingange des
Vintschgaus gerade westlich von Bozen saßen seit 1116 auf dem beherrschenden
Höhenrande die Grafen von Eppan, von denen sich die Grafen von Greifen¬
stein nördlich von Bozen und von Wen (in Ultimis), einem südlichen Seiten¬
tale des Vintschgaus, abzweigten. Auch die Grafen von Mareith im Ridnaun-
tale bei Sterzing gehörten diesem Geschlechte an.


Über den Brenner

Straße über den Brenner mit der Linie nach der Reschen Scheideck und dem
obern Jnntale bei Landeck, die schon die Römer als Via Claudia aufbauten.
Deshalb war Bozen schon um 678 Sitz eines bayrischen Greuzgrafen, schon
im achten Jahrhundert eine vielbesuchte Naststelle auf der Reise nach Norden
oder Süden, seit dem zehnten Jahrhundert der Amtssitz des Grafen im
Noritalgau, seit 1027 unter der gräflichen Gewalt des Bistums Trident, die
diese freilich bald mit dem Grafen (von Tirol) teilen mußte. So wurde es
früh auch eine wichtige Markt- und Zollstätte (Kurzum 1208). Um 1274
fanden hier jährlich zwei große Märkte statt, am 25. August und um Mitt¬
fasten. Auch der Deutsche Orden erwarb hier 1202 ein Hospital, das erste auf
deutschem Boden, dessen Kontur später die ganze Battel „an der Etsch und im
Gebirge" leitete, und noch heute besteht hier ein Hospital des Deutschen Ordens,
der sich in Österreich als Krankenpflegerorden erhalten hat, wie im protestantischen
Norddeutschland der Johanniterorden in derselben Beschränkung fortdauert.
Schließlich behaupteten die Grafen von Tirol das Alleinrecht über Bozen und
verliehen ihm 1286 eine Art Stadtrecht, Karl der Vierte aber gab der Stadt
den Straßenzwang, der ihre Umgehung vom Vintschgau her verbot. Noch Goethe
faud 1786 die Bozner Messe bedeutend, besonders durch den Vertrieb von
Seide, Tuch und Leder. Seit der Erbauung der Brennerbahn hat Bozen diesen
alten Verkehr verloren, es ist aber immer noch die bedeutendste Handelsstadt
Tirols und ist dazu ein Freudenort allerersten Ranges geworden.

Diese herrliche Landschaft ist aber auch das historische Herzstück des tirolischen
Staatswesens. Ein Ministeriale des Bistums Brixen, Adalbert, erhielt von
diesem vor 1130 die Grafschaft im obern Eisacktale, die Brixen seit 1027
besaß, vom Bistum Trident die Grafschaft im Vintschgau und die Vogtei über
dieses Bistum selbst. Sein Sohn Adalbert nannte sich seit etwa 1140 nach
dem stolzen Herrensitze über Meran Graf von Tirol, und indem seine Nach¬
kommen allmählich dem Bistum Trident, dessen Vögte sie waren, in dem größten
Teil ihres Gebiets die weltlichen Rechte entwanden und im dreizehnten Jahr¬
hundert nördlich des Brenners auch die Erben der bayrischen Andechser nach deren
Aussterben 1248 wurden, faßten sie gegen das Ende dieses Jahrhunderts das
Bündel bayrischer Gaue und Jmmunitätsherrschasten zu einem selbständigen
Staatswesen zusammen, das schon um 1271 als „Grafschaft Tirol" (LonürÄw.?
^irolöllsis) nach der Stammburg des herrschenden Hauses bezeichnet wurde und
bis ins fünfzehnte Jahrhundert seinen Schwerpunkt im Süden des Brenners
hatte, sein festes Rückgrat in der Brennerstraße fand. Auch die mächtigsten
Adelsgeschlechter waren im Süden des Brenners zuhause. Am Eingange des
Vintschgaus gerade westlich von Bozen saßen seit 1116 auf dem beherrschenden
Höhenrande die Grafen von Eppan, von denen sich die Grafen von Greifen¬
stein nördlich von Bozen und von Wen (in Ultimis), einem südlichen Seiten¬
tale des Vintschgaus, abzweigten. Auch die Grafen von Mareith im Ridnaun-
tale bei Sterzing gehörten diesem Geschlechte an.


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[0087] Über den Brenner Straße über den Brenner mit der Linie nach der Reschen Scheideck und dem obern Jnntale bei Landeck, die schon die Römer als Via Claudia aufbauten. Deshalb war Bozen schon um 678 Sitz eines bayrischen Greuzgrafen, schon im achten Jahrhundert eine vielbesuchte Naststelle auf der Reise nach Norden oder Süden, seit dem zehnten Jahrhundert der Amtssitz des Grafen im Noritalgau, seit 1027 unter der gräflichen Gewalt des Bistums Trident, die diese freilich bald mit dem Grafen (von Tirol) teilen mußte. So wurde es früh auch eine wichtige Markt- und Zollstätte (Kurzum 1208). Um 1274 fanden hier jährlich zwei große Märkte statt, am 25. August und um Mitt¬ fasten. Auch der Deutsche Orden erwarb hier 1202 ein Hospital, das erste auf deutschem Boden, dessen Kontur später die ganze Battel „an der Etsch und im Gebirge" leitete, und noch heute besteht hier ein Hospital des Deutschen Ordens, der sich in Österreich als Krankenpflegerorden erhalten hat, wie im protestantischen Norddeutschland der Johanniterorden in derselben Beschränkung fortdauert. Schließlich behaupteten die Grafen von Tirol das Alleinrecht über Bozen und verliehen ihm 1286 eine Art Stadtrecht, Karl der Vierte aber gab der Stadt den Straßenzwang, der ihre Umgehung vom Vintschgau her verbot. Noch Goethe faud 1786 die Bozner Messe bedeutend, besonders durch den Vertrieb von Seide, Tuch und Leder. Seit der Erbauung der Brennerbahn hat Bozen diesen alten Verkehr verloren, es ist aber immer noch die bedeutendste Handelsstadt Tirols und ist dazu ein Freudenort allerersten Ranges geworden. Diese herrliche Landschaft ist aber auch das historische Herzstück des tirolischen Staatswesens. Ein Ministeriale des Bistums Brixen, Adalbert, erhielt von diesem vor 1130 die Grafschaft im obern Eisacktale, die Brixen seit 1027 besaß, vom Bistum Trident die Grafschaft im Vintschgau und die Vogtei über dieses Bistum selbst. Sein Sohn Adalbert nannte sich seit etwa 1140 nach dem stolzen Herrensitze über Meran Graf von Tirol, und indem seine Nach¬ kommen allmählich dem Bistum Trident, dessen Vögte sie waren, in dem größten Teil ihres Gebiets die weltlichen Rechte entwanden und im dreizehnten Jahr¬ hundert nördlich des Brenners auch die Erben der bayrischen Andechser nach deren Aussterben 1248 wurden, faßten sie gegen das Ende dieses Jahrhunderts das Bündel bayrischer Gaue und Jmmunitätsherrschasten zu einem selbständigen Staatswesen zusammen, das schon um 1271 als „Grafschaft Tirol" (LonürÄw.? ^irolöllsis) nach der Stammburg des herrschenden Hauses bezeichnet wurde und bis ins fünfzehnte Jahrhundert seinen Schwerpunkt im Süden des Brenners hatte, sein festes Rückgrat in der Brennerstraße fand. Auch die mächtigsten Adelsgeschlechter waren im Süden des Brenners zuhause. Am Eingange des Vintschgaus gerade westlich von Bozen saßen seit 1116 auf dem beherrschenden Höhenrande die Grafen von Eppan, von denen sich die Grafen von Greifen¬ stein nördlich von Bozen und von Wen (in Ultimis), einem südlichen Seiten¬ tale des Vintschgaus, abzweigten. Auch die Grafen von Mareith im Ridnaun- tale bei Sterzing gehörten diesem Geschlechte an.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/87>, abgerufen am 23.07.2024.