Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.Über den Brenner die rheinbündische Division Rouyer den Vormarsch nach Brixen durch den Da, wo die Brixener Klause den langen Engpaß abschließt, erheben sich Über den Brenner die rheinbündische Division Rouyer den Vormarsch nach Brixen durch den Da, wo die Brixener Klause den langen Engpaß abschließt, erheben sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0084" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299871"/> <fw type="header" place="top"> Über den Brenner</fw><lb/> <p xml:id="ID_250" prev="#ID_249"> die rheinbündische Division Rouyer den Vormarsch nach Brixen durch den<lb/> Engpaß zu erzwingen, der bei Mauls beginnt. Hier, wo die neuausgebautc<lb/> malerische Burg Welfenstein den Eingang beherrscht, treten die hohen, steilen,<lb/> bewachsenen Wände von beiden Seiten so eng zusammen, daß das Tal des<lb/> Eisack von dem breiten Geröllbett des Flusses zum größten Teil ausgefüllt<lb/> wird. Kaum bleibt auf dem rechten Ufer Raum für die Bahnlinie, die Straße<lb/> zieht auf dem linken Ufer dicht unter der Felswand hin. In diesen gefährlichen<lb/> Engpaß drang am 4. August 1809 Nouyers Vorhut, zwei sächsische Bataillone,<lb/> ein und kam bis Oberau; als das Gros nachfolgte, rollten die Steinlawinen<lb/> der Tiroler von den Felswänden herab in die Marschkolonne, alles zerschmetternd<lb/> oder in den Eisack drängend. Das ist die „Sachsenklemme". Ein Gasthof<lb/> führt noch heute diesen ominösen Namen, und ein Obelisk daneben erinnert an<lb/> die gräßliche Katastrophe. Am nächsten Tage mußten auch die Bataillone bei<lb/> Oberau, abgeschnitten, halb verhungert und ohne Munition, wie sie waren, vor<lb/> den siegestrunknen Bauern die Waffen strecken. Das unglückliche sächsische<lb/> Regiment verlor in diesen beiden Tagen fast die Hälfte seines Bestandes,<lb/> 946 Mann und 36 Offiziere von 2190 Mann.</p><lb/> <p xml:id="ID_251" next="#ID_252"> Da, wo die Brixener Klause den langen Engpaß abschließt, erheben sich<lb/> in mehreren Stockwerken die langgestreckten grauen Granitmauern der Franzens¬<lb/> feste an der Bergwand zur Linken. Sie sperren nicht nnr den Zugang der<lb/> Brixener Klause, sondern beherrschen auch die Straße und die Bahn nach dem<lb/> Pustertale, die hier auf einem langen Viadukt das Tal überschreitet, vollständig,<lb/> der wichtigste strategische Punkt Tirols. Hier erst beginnt der Süden. Zwar<lb/> ragen von Norden noch Schneegipfel herein, aber das weite Tal, das sich<lb/> hier auftut, zeigt mit einem Schlage ein völlig verändertes Landschaftsbild.<lb/> Die düstern nordischen Nadelwälder verschwinden, Edelkastanien, Nußbäume,<lb/> Obstgärten, Weinberge bedecken die Talebene und die Abhänge der mäßigen<lb/> Höhen, die sie begrenzen. Mitten in dieser blühenden Landschaft zeigen sich<lb/> die Türme einer ansehnlichen Stadt, alles überragend das hohe Ziegeldach<lb/> einer großen zweitürmigen Kirche. Das ist Brixen, der Bischofssitz Deutsch¬<lb/> tirols. Auf Grund des Königshofs Prichsna erwachsen, den der letzte deutsche<lb/> Karolinger Ludwig das Kind 901 dem Bistum sahen mit allem Zubehör an<lb/> Ackern, Weingärten, Weiden, Wald und Alpen schenkte, also schon damals in<lb/> einer reich angebauten noch romanischen Landschaft liegend, wurde es bald der<lb/> Sitz des Domkapitels, wo schon Kaiser Otto der Große auf seinem letzten<lb/> Römerzuge 967 Quartier nahm, bis Bischof Alboin (975 bis 1006) auch das<lb/> Bistum dorthin verlegte. Hier entstand die Domkirche zu Se. Cassicmus und<lb/> Jngenuinus, deren Kreuzgang wenigstens noch aus dem Mittelalter stammt,<lb/> während die Kirche selbst wesentlich dem fünfzehnten Jahrhundert angehört,<lb/> daneben die Pfarrkirche zu Se. Michael, und in den ersten Jahrzehnten des<lb/> elften Jahrhunderts wurde der Ort durch eine Ringmauer befestigt. Von hier<lb/> aus ist die gesamte Kultur dieser Landschaft ausgegangen, und wenn heute die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0084]
Über den Brenner
die rheinbündische Division Rouyer den Vormarsch nach Brixen durch den
Engpaß zu erzwingen, der bei Mauls beginnt. Hier, wo die neuausgebautc
malerische Burg Welfenstein den Eingang beherrscht, treten die hohen, steilen,
bewachsenen Wände von beiden Seiten so eng zusammen, daß das Tal des
Eisack von dem breiten Geröllbett des Flusses zum größten Teil ausgefüllt
wird. Kaum bleibt auf dem rechten Ufer Raum für die Bahnlinie, die Straße
zieht auf dem linken Ufer dicht unter der Felswand hin. In diesen gefährlichen
Engpaß drang am 4. August 1809 Nouyers Vorhut, zwei sächsische Bataillone,
ein und kam bis Oberau; als das Gros nachfolgte, rollten die Steinlawinen
der Tiroler von den Felswänden herab in die Marschkolonne, alles zerschmetternd
oder in den Eisack drängend. Das ist die „Sachsenklemme". Ein Gasthof
führt noch heute diesen ominösen Namen, und ein Obelisk daneben erinnert an
die gräßliche Katastrophe. Am nächsten Tage mußten auch die Bataillone bei
Oberau, abgeschnitten, halb verhungert und ohne Munition, wie sie waren, vor
den siegestrunknen Bauern die Waffen strecken. Das unglückliche sächsische
Regiment verlor in diesen beiden Tagen fast die Hälfte seines Bestandes,
946 Mann und 36 Offiziere von 2190 Mann.
Da, wo die Brixener Klause den langen Engpaß abschließt, erheben sich
in mehreren Stockwerken die langgestreckten grauen Granitmauern der Franzens¬
feste an der Bergwand zur Linken. Sie sperren nicht nnr den Zugang der
Brixener Klause, sondern beherrschen auch die Straße und die Bahn nach dem
Pustertale, die hier auf einem langen Viadukt das Tal überschreitet, vollständig,
der wichtigste strategische Punkt Tirols. Hier erst beginnt der Süden. Zwar
ragen von Norden noch Schneegipfel herein, aber das weite Tal, das sich
hier auftut, zeigt mit einem Schlage ein völlig verändertes Landschaftsbild.
Die düstern nordischen Nadelwälder verschwinden, Edelkastanien, Nußbäume,
Obstgärten, Weinberge bedecken die Talebene und die Abhänge der mäßigen
Höhen, die sie begrenzen. Mitten in dieser blühenden Landschaft zeigen sich
die Türme einer ansehnlichen Stadt, alles überragend das hohe Ziegeldach
einer großen zweitürmigen Kirche. Das ist Brixen, der Bischofssitz Deutsch¬
tirols. Auf Grund des Königshofs Prichsna erwachsen, den der letzte deutsche
Karolinger Ludwig das Kind 901 dem Bistum sahen mit allem Zubehör an
Ackern, Weingärten, Weiden, Wald und Alpen schenkte, also schon damals in
einer reich angebauten noch romanischen Landschaft liegend, wurde es bald der
Sitz des Domkapitels, wo schon Kaiser Otto der Große auf seinem letzten
Römerzuge 967 Quartier nahm, bis Bischof Alboin (975 bis 1006) auch das
Bistum dorthin verlegte. Hier entstand die Domkirche zu Se. Cassicmus und
Jngenuinus, deren Kreuzgang wenigstens noch aus dem Mittelalter stammt,
während die Kirche selbst wesentlich dem fünfzehnten Jahrhundert angehört,
daneben die Pfarrkirche zu Se. Michael, und in den ersten Jahrzehnten des
elften Jahrhunderts wurde der Ort durch eine Ringmauer befestigt. Von hier
aus ist die gesamte Kultur dieser Landschaft ausgegangen, und wenn heute die
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