Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.Russische Bauernhochzeit Für die seidenweichen Besen,") Und ich arme Waise werd mich hinwerfen Nach allen vier Seiten hin Und werd beten dann zu Christus selbst Und zum Zaren dann, dem himmlischen. Und ich werd auf breiten Wegen gehen Und auch über grüne Wiesen, breite Felder So wie im Vergangcnheitchcn usw. Nähern sie sich dem Hause, singt sie: So nähere ich mich arme Waise Meinem breiten Hofe Und auch meinem neuen Hause. Sie wendet sich zu den Geschwistern: Ach, mein Brüderchen, mein gutes, Geh doch durch mein Helles Zimmer, Sieh doch durch das Fensterchen. Durch die knstallnen Fensterchen, Ob nicht blüht ein schlanker Apfelbaum. Ja, dort steht dein liebes Schwesterlein, Doch nicht mit Soldatchen, Nein, sie steht mit ihren Freundinnen. Doch sie stehet nicht wie früher, wie in frührer Zeit, Nicht gekämmt ist jetzt ihr junges Köpfchen, Nicht geflochten ist ihr dicker Zopf, Nicht hineingeflochten ist das seidne Band, Auch schmückt sie nicht ein buntes Kleid. Doch die Freundinnen, die lieben, So wie vorher stehen sie, wie in srührer Zeit, Gut gekämmt sind ihre jungen Köpfchen, Und ins Haar gebunden bunte Bänder. Sie deutet damit den Geschwistern an, daß sie anders aussieht als ihre Ge¬ " ^ .. ^ >r - " ^ Und ich arme Wmse sinke nun Zu dem Mütterchen, der feuchten Erde, Und laß hell erschallen meine helle Stinime Übers Mütterchen, die feuchte Erde, Und laß niederfallen eine heiße Träne, Heiße Träne, eine treue Gefährtin, Daß du heiße Träne fließen mögest Über weite Felder, grüne Wiesen; Halt dich nicht bei Fremden auf, Sondern fließe bis zu Gottes Kirche, Laß ertönen dort die große Glocke. Ob dann nicht die starken Stürme brausen, Dunkle Wolken plötzlich dann herausziehn, Starke Regen nicht herniederfallen, Die die feuchte Erde wohl durchnässen. Ob dann nicht des Grabes Deckel springt, Auseinanderfällt das weiße Leichentuch, Und ersteht mein gutes Väterchen Und du, mein geliebtes Mütterchen. Dann bitt ich sie zu kommen auf die Hochzeit Aus die junge, die so ganz verwaiste, Damit mich jemand segnen kann. *) Die Bauern schlagen sich nach dem Bade mit einem Besen aus Zweigen -- eine Art
Frottieren, wobei die Haut rot und heiß wird. Im Winter wälzen sie sich manchmal auch noch im Schnee. Russische Bauernhochzeit Für die seidenweichen Besen,") Und ich arme Waise werd mich hinwerfen Nach allen vier Seiten hin Und werd beten dann zu Christus selbst Und zum Zaren dann, dem himmlischen. Und ich werd auf breiten Wegen gehen Und auch über grüne Wiesen, breite Felder So wie im Vergangcnheitchcn usw. Nähern sie sich dem Hause, singt sie: So nähere ich mich arme Waise Meinem breiten Hofe Und auch meinem neuen Hause. Sie wendet sich zu den Geschwistern: Ach, mein Brüderchen, mein gutes, Geh doch durch mein Helles Zimmer, Sieh doch durch das Fensterchen. Durch die knstallnen Fensterchen, Ob nicht blüht ein schlanker Apfelbaum. Ja, dort steht dein liebes Schwesterlein, Doch nicht mit Soldatchen, Nein, sie steht mit ihren Freundinnen. Doch sie stehet nicht wie früher, wie in frührer Zeit, Nicht gekämmt ist jetzt ihr junges Köpfchen, Nicht geflochten ist ihr dicker Zopf, Nicht hineingeflochten ist das seidne Band, Auch schmückt sie nicht ein buntes Kleid. Doch die Freundinnen, die lieben, So wie vorher stehen sie, wie in srührer Zeit, Gut gekämmt sind ihre jungen Köpfchen, Und ins Haar gebunden bunte Bänder. Sie deutet damit den Geschwistern an, daß sie anders aussieht als ihre Ge¬ „ ^ .. ^ >r - " ^ Und ich arme Wmse sinke nun Zu dem Mütterchen, der feuchten Erde, Und laß hell erschallen meine helle Stinime Übers Mütterchen, die feuchte Erde, Und laß niederfallen eine heiße Träne, Heiße Träne, eine treue Gefährtin, Daß du heiße Träne fließen mögest Über weite Felder, grüne Wiesen; Halt dich nicht bei Fremden auf, Sondern fließe bis zu Gottes Kirche, Laß ertönen dort die große Glocke. Ob dann nicht die starken Stürme brausen, Dunkle Wolken plötzlich dann herausziehn, Starke Regen nicht herniederfallen, Die die feuchte Erde wohl durchnässen. Ob dann nicht des Grabes Deckel springt, Auseinanderfällt das weiße Leichentuch, Und ersteht mein gutes Väterchen Und du, mein geliebtes Mütterchen. Dann bitt ich sie zu kommen auf die Hochzeit Aus die junge, die so ganz verwaiste, Damit mich jemand segnen kann. *) Die Bauern schlagen sich nach dem Bade mit einem Besen aus Zweigen — eine Art
Frottieren, wobei die Haut rot und heiß wird. Im Winter wälzen sie sich manchmal auch noch im Schnee. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0689" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300476"/> <fw type="header" place="top"> Russische Bauernhochzeit</fw><lb/> <lg xml:id="POEMID_24" type="poem"> <l> Für die seidenweichen Besen,")<lb/> Und ich arme Waise werd mich hinwerfen<lb/> Nach allen vier Seiten hin<lb/> Und werd beten dann zu Christus selbst<lb/> Und zum Zaren dann, dem himmlischen.<lb/> Und ich werd auf breiten Wegen gehen<lb/> Und auch über grüne Wiesen, breite Felder<lb/> So wie im Vergangcnheitchcn usw.<lb/></l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_2702"> Nähern sie sich dem Hause, singt sie:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_25" type="poem"> <l> So nähere ich mich arme Waise<lb/> Meinem breiten Hofe<lb/> Und auch meinem neuen Hause.<lb/></l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_2703"> Sie wendet sich zu den Geschwistern:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_26" type="poem"> <l> Ach, mein Brüderchen, mein gutes,<lb/> Geh doch durch mein Helles Zimmer,<lb/> Sieh doch durch das Fensterchen.<lb/> Durch die knstallnen Fensterchen,<lb/> Ob nicht blüht ein schlanker Apfelbaum.<lb/> Ja, dort steht dein liebes Schwesterlein,<lb/> Doch nicht mit Soldatchen,<lb/> Nein, sie steht mit ihren Freundinnen.<lb/> Doch sie stehet nicht wie früher, wie in frührer Zeit,<lb/> Nicht gekämmt ist jetzt ihr junges Köpfchen,<lb/> Nicht geflochten ist ihr dicker Zopf,<lb/> Nicht hineingeflochten ist das seidne Band,<lb/> Auch schmückt sie nicht ein buntes Kleid.<lb/> Doch die Freundinnen, die lieben,<lb/> So wie vorher stehen sie, wie in srührer Zeit,<lb/> Gut gekämmt sind ihre jungen Köpfchen,<lb/> Und ins Haar gebunden bunte Bänder.<lb/></l> </lg><lb/> <p xml:id="ID_2704"> Sie deutet damit den Geschwistern an, daß sie anders aussieht als ihre Ge¬<lb/> spielinnen, daß für sie ein neues Leben beginnt. Darauf fällt sie wieder auf die<lb/> Knie und sagt: <lg xml:id="POEMID_27" type="poem"><l> „ ^ .. ^ >r -<lb/> Und ich arme Wmse sinke nun<lb/><lb/> Zu dem Mütterchen, der feuchten Erde,<lb/><lb/> Und laß hell erschallen meine helle Stinime<lb/> Übers Mütterchen, die feuchte Erde,<lb/><lb/> Und laß niederfallen eine heiße Träne,<lb/><lb/> Heiße Träne, eine treue Gefährtin,<lb/><lb/> Daß du heiße Träne fließen mögest<lb/><lb/> Über weite Felder, grüne Wiesen;<lb/> Halt dich nicht bei Fremden auf,<lb/><lb/> Sondern fließe bis zu Gottes Kirche,<lb/> Laß ertönen dort die große Glocke.<lb/> Ob dann nicht die starken Stürme brausen,<lb/><lb/> Dunkle Wolken plötzlich dann herausziehn,<lb/><lb/> Starke Regen nicht herniederfallen,<lb/><lb/> Die die feuchte Erde wohl durchnässen.<lb/> Ob dann nicht des Grabes Deckel springt,<lb/><lb/> Auseinanderfällt das weiße Leichentuch,<lb/><lb/> Und ersteht mein gutes Väterchen<lb/> Und du, mein geliebtes Mütterchen.<lb/><lb/> Dann bitt ich sie zu kommen auf die Hochzeit<lb/><lb/> Aus die junge, die so ganz verwaiste,<lb/><lb/> Damit mich jemand segnen kann.<lb/></l></lg> " ^ </p><lb/> <note xml:id="FID_64" place="foot"> *) Die Bauern schlagen sich nach dem Bade mit einem Besen aus Zweigen — eine Art<lb/> Frottieren, wobei die Haut rot und heiß wird. Im Winter wälzen sie sich manchmal auch noch<lb/> im Schnee.</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0689]
Russische Bauernhochzeit
Für die seidenweichen Besen,")
Und ich arme Waise werd mich hinwerfen
Nach allen vier Seiten hin
Und werd beten dann zu Christus selbst
Und zum Zaren dann, dem himmlischen.
Und ich werd auf breiten Wegen gehen
Und auch über grüne Wiesen, breite Felder
So wie im Vergangcnheitchcn usw.
Nähern sie sich dem Hause, singt sie:
So nähere ich mich arme Waise
Meinem breiten Hofe
Und auch meinem neuen Hause.
Sie wendet sich zu den Geschwistern:
Ach, mein Brüderchen, mein gutes,
Geh doch durch mein Helles Zimmer,
Sieh doch durch das Fensterchen.
Durch die knstallnen Fensterchen,
Ob nicht blüht ein schlanker Apfelbaum.
Ja, dort steht dein liebes Schwesterlein,
Doch nicht mit Soldatchen,
Nein, sie steht mit ihren Freundinnen.
Doch sie stehet nicht wie früher, wie in frührer Zeit,
Nicht gekämmt ist jetzt ihr junges Köpfchen,
Nicht geflochten ist ihr dicker Zopf,
Nicht hineingeflochten ist das seidne Band,
Auch schmückt sie nicht ein buntes Kleid.
Doch die Freundinnen, die lieben,
So wie vorher stehen sie, wie in srührer Zeit,
Gut gekämmt sind ihre jungen Köpfchen,
Und ins Haar gebunden bunte Bänder.
Sie deutet damit den Geschwistern an, daß sie anders aussieht als ihre Ge¬
spielinnen, daß für sie ein neues Leben beginnt. Darauf fällt sie wieder auf die
Knie und sagt: „ ^ .. ^ >r -
Und ich arme Wmse sinke nun
Zu dem Mütterchen, der feuchten Erde,
Und laß hell erschallen meine helle Stinime
Übers Mütterchen, die feuchte Erde,
Und laß niederfallen eine heiße Träne,
Heiße Träne, eine treue Gefährtin,
Daß du heiße Träne fließen mögest
Über weite Felder, grüne Wiesen;
Halt dich nicht bei Fremden auf,
Sondern fließe bis zu Gottes Kirche,
Laß ertönen dort die große Glocke.
Ob dann nicht die starken Stürme brausen,
Dunkle Wolken plötzlich dann herausziehn,
Starke Regen nicht herniederfallen,
Die die feuchte Erde wohl durchnässen.
Ob dann nicht des Grabes Deckel springt,
Auseinanderfällt das weiße Leichentuch,
Und ersteht mein gutes Väterchen
Und du, mein geliebtes Mütterchen.
Dann bitt ich sie zu kommen auf die Hochzeit
Aus die junge, die so ganz verwaiste,
Damit mich jemand segnen kann.
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*) Die Bauern schlagen sich nach dem Bade mit einem Besen aus Zweigen — eine Art
Frottieren, wobei die Haut rot und heiß wird. Im Winter wälzen sie sich manchmal auch noch
im Schnee.
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