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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

ganzen Heeres ausübte, schien in der Kaiserkrone seinen natürlichen Ausdruck
zu finden". Am 12. September lief in Rheims als Folge der sächsischen
Anregung eine Mitteilung der bayrischen Negierung ein, worin sie die Über¬
zeugung aussprach, daß die Entwicklung der politischen Verhältnisse Deutsch¬
lands, wie sie durch die kriegerischen Ereignisse herbeigeführt sei, es bedinge,
von dem Boden völkerrechtlicher Verträge, die bisher die süddeutschen Staaten
mit dem Norddeutschen Bunde verbanden, zu einem Verfassungsbündnis über-
zugehn. Es wurde daran der Wunsch geknüpft, daß Delbrück nach München
entsandt werden möge, um über die zur Ausführung dieses Gedankens von
bayrischer Seite vorbereiteten Vorschläge in Verhandlung zu treten. (Es sind diese
Vorschläge, in einem Antrag vom 12. September vom bayrischen Ministerium
an den König formuliert, vom Ministerpräsidenten Grafen Otto Bray in
seinen Denkwürdigkeiten ^Leipzig, S. Hirzel, 1891^ mitgeteilt worden.) Delbrück
erhielt diesen Auftrag. Um der Zustimmung sowohl Bismarcks als des Königs
zu seinen Auffassungen sicher zu sein, arbeitete er in seinem Quartier zu
Rheims angesichts der alten Krönungskirche Frankreichs eine Denkschrift aus,
an deren Schluß er auch dem Gedanken der Kaiserwürde offiziellen Aus¬
druck verlieh. Bismarck war mit der Denkschrift einverstanden. Am 15. Sep¬
tember früh wurde Delbrück in Chateau-Thierry vor dem Aufbruch des Haupt¬
quartiers nach Meaux noch einmal vom König empfangen, der sich ebenfalls
im wesentlichen einverstanden erklärte. In der Kaiserfrage lehnte er eine
Äußerung ab, da diese erwogen sein wolle, aber Delbrücks Gründe für die
Bejahung fanden gnädige Aufnahme. Die Denkschrift entspricht im wesent¬
lichen dem Inhalt des auf dieser Grundlage ausgearbeiteten Wortlauts der
Versailler Vertrüge. Als Delbrück Ende September München verließ, wo er
die bayrischen Minister einig hinsichtlich der Notwendigkeit des Anschlusses,
aber in sehr verschiedner Meinung in den Einzelheiten gefunden hatte, nahm
er die Überzeugung mit, daß der Deutsche Bund gegründet sei. Der württem-
bergische Ministerpräsident von Mittnacht hatte an den Konferenzen teilgenommen,
der König mit Delbrück über den Zweck seiner Anwesenheit in einstündiger
Audienz mit darauffolgender Hoftafel kein Wort gesprochen. Das Kaisertum war
nicht Gegenstand der Verhandlungen gewesen, es kam neben diesen zustande.

Die Reisen Delbrücks nach Dresden. Rheims und München sind die
Achse für die geschäftliche Herstellung des deutschen Verfassungswerkes gewesen.
Wie unrichtig Ottokar Lorenz die damalige Situation beurteilt, beweist er auf
S. 336 durch die Wendung: "Der Staatsminister Delbrück nahm auf einer
Reise durch Süddeutschland Gelegenheit, auch in München vorzusprechen."




Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

ganzen Heeres ausübte, schien in der Kaiserkrone seinen natürlichen Ausdruck
zu finden". Am 12. September lief in Rheims als Folge der sächsischen
Anregung eine Mitteilung der bayrischen Negierung ein, worin sie die Über¬
zeugung aussprach, daß die Entwicklung der politischen Verhältnisse Deutsch¬
lands, wie sie durch die kriegerischen Ereignisse herbeigeführt sei, es bedinge,
von dem Boden völkerrechtlicher Verträge, die bisher die süddeutschen Staaten
mit dem Norddeutschen Bunde verbanden, zu einem Verfassungsbündnis über-
zugehn. Es wurde daran der Wunsch geknüpft, daß Delbrück nach München
entsandt werden möge, um über die zur Ausführung dieses Gedankens von
bayrischer Seite vorbereiteten Vorschläge in Verhandlung zu treten. (Es sind diese
Vorschläge, in einem Antrag vom 12. September vom bayrischen Ministerium
an den König formuliert, vom Ministerpräsidenten Grafen Otto Bray in
seinen Denkwürdigkeiten ^Leipzig, S. Hirzel, 1891^ mitgeteilt worden.) Delbrück
erhielt diesen Auftrag. Um der Zustimmung sowohl Bismarcks als des Königs
zu seinen Auffassungen sicher zu sein, arbeitete er in seinem Quartier zu
Rheims angesichts der alten Krönungskirche Frankreichs eine Denkschrift aus,
an deren Schluß er auch dem Gedanken der Kaiserwürde offiziellen Aus¬
druck verlieh. Bismarck war mit der Denkschrift einverstanden. Am 15. Sep¬
tember früh wurde Delbrück in Chateau-Thierry vor dem Aufbruch des Haupt¬
quartiers nach Meaux noch einmal vom König empfangen, der sich ebenfalls
im wesentlichen einverstanden erklärte. In der Kaiserfrage lehnte er eine
Äußerung ab, da diese erwogen sein wolle, aber Delbrücks Gründe für die
Bejahung fanden gnädige Aufnahme. Die Denkschrift entspricht im wesent¬
lichen dem Inhalt des auf dieser Grundlage ausgearbeiteten Wortlauts der
Versailler Vertrüge. Als Delbrück Ende September München verließ, wo er
die bayrischen Minister einig hinsichtlich der Notwendigkeit des Anschlusses,
aber in sehr verschiedner Meinung in den Einzelheiten gefunden hatte, nahm
er die Überzeugung mit, daß der Deutsche Bund gegründet sei. Der württem-
bergische Ministerpräsident von Mittnacht hatte an den Konferenzen teilgenommen,
der König mit Delbrück über den Zweck seiner Anwesenheit in einstündiger
Audienz mit darauffolgender Hoftafel kein Wort gesprochen. Das Kaisertum war
nicht Gegenstand der Verhandlungen gewesen, es kam neben diesen zustande.

Die Reisen Delbrücks nach Dresden. Rheims und München sind die
Achse für die geschäftliche Herstellung des deutschen Verfassungswerkes gewesen.
Wie unrichtig Ottokar Lorenz die damalige Situation beurteilt, beweist er auf
S. 336 durch die Wendung: „Der Staatsminister Delbrück nahm auf einer
Reise durch Süddeutschland Gelegenheit, auch in München vorzusprechen."




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/671>, abgerufen am 23.07.2024.