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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

und sein besondres Interesse berufen. Die Auffassung wurde in Dresden
geteilt, und Delbrück kehrte am 5. September nach Berlin zurück mit der Über¬
zeugung, daß bei der bayrischen Regierung die nötigen Schritte getan seien
und weiter getan würden.

Es muß als selbstverständlich angesehen werden, daß Preußen, bevor es
in der deutschen Frage den ersten amtlichen Schritt tat, sich zuvor mit dem
ersten Mitgliede des Norddeutschen Bundes, dem Könige von Sachsen, in
Verbindung setzte. Ebenso entsprach es durchaus einer klugen Politik, daß die
einleitenden Schritte in München durch Sachsen getan wurden. Von Sachsen
ausgehend, entbehrten sie jedes Anscheins irgendeines Druckes oder Zwanges,
und die Initiative des norddeutschen Mittelstaates bot dem Münchner Hofe
zugleich eine Gewähr, daß es sich in dem neuen Bundesverhältnis sehr wohl
leben lasse. Hatte doch der dem Prinzen Luitpold von Bayern, dem heutigen
Regenten, im Königlichen Hauptquartier beigegebne bayrische Ministerialsekretär
Graf Berchem unter dem 24. August aus Bar le Duc nach München berichtet:
"Ich habe im Auftrage Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Luitpold
weiter zu berichten, daß Graf Bismarck sich dahin äußerte, Preußen und der
Nordbund würden bereitwilligst diejenigen Vorschläge acceptieren, welche Seine
Majestät der König von Bayern nach Allerhöchstseiner Bequemlichkeit im
Interesse einer engern nationalen Einigung zu machen sich etwa veranlaßt
sehen würden. Preußen und der Nordbund verzichteten aber darauf, auf diese
Entschlüsse irgendwelche Pression zu üben, indem ein für Norddeutschland
günstig gestimmtes Bayern der nationalen Sache mehr nutze als ein wider¬
willig in nähere Beziehung gebrachtes Land." Man ersieht hieraus deutlich,
wie sehr das Verhalten Preußens psychologisch der Persönlichkeit des Königs
Ludwig angepaßt war. An die Sendung Delbrücks nach Dresden knüpfte sich
dann sofort die weitere Aktion. Am 5. September nach Berlin zurückgekehrt
empfing Delbrück wenig Stunden später abermals ein Telegramm Bismarcks,
das ihn in das Hauptquartier berief: "Der König wünscht, daß Sie auf
kurze Zeit in das Hauptquartier kommen, damit ich mit Ihnen erwäge, wie
wir einen schicklichen geschäftlichen Anlaß zur Berufung des Zollparlaments
finden und das Gewicht dieser Versammlung, einschließlich des Reichstags,
zur Wirkung auf die deutschen und europäischen Friedensverhandlungen ver¬
werten." Am 10. September war Delbrück in Rheims. Nach einer Audienz
beim Könige schritt er mit Bismarck in einstündiger Unterredung in der
Cour d'honneur des erzbischöflichen Palastes, des Quartiers des Königs, auf
und ab und erwog vor den Augen des dnrch das Gitter gaffenden Publikums
mit dem Bundeskanzler den Beitritt der süddeutschen Staaten zum Nord¬
deutschen Bunde, dessen Umgestaltung zu einem Deutschen Bunde und die
Herstellung des Kaisertums. Im militärischen Hauptquartier hielt mau nach
acht siegreichen Schlachten die Herstellung der deutschen Einheit mit Kaiser¬
licher Spitze für eine leichte Sache, bei der man "nur zu wollen brauche",
"der Zauber, den die Person des Königs auf Offiziere und Mannschaften des


Großherzog Friedrich von Baden in Versailles

und sein besondres Interesse berufen. Die Auffassung wurde in Dresden
geteilt, und Delbrück kehrte am 5. September nach Berlin zurück mit der Über¬
zeugung, daß bei der bayrischen Regierung die nötigen Schritte getan seien
und weiter getan würden.

Es muß als selbstverständlich angesehen werden, daß Preußen, bevor es
in der deutschen Frage den ersten amtlichen Schritt tat, sich zuvor mit dem
ersten Mitgliede des Norddeutschen Bundes, dem Könige von Sachsen, in
Verbindung setzte. Ebenso entsprach es durchaus einer klugen Politik, daß die
einleitenden Schritte in München durch Sachsen getan wurden. Von Sachsen
ausgehend, entbehrten sie jedes Anscheins irgendeines Druckes oder Zwanges,
und die Initiative des norddeutschen Mittelstaates bot dem Münchner Hofe
zugleich eine Gewähr, daß es sich in dem neuen Bundesverhältnis sehr wohl
leben lasse. Hatte doch der dem Prinzen Luitpold von Bayern, dem heutigen
Regenten, im Königlichen Hauptquartier beigegebne bayrische Ministerialsekretär
Graf Berchem unter dem 24. August aus Bar le Duc nach München berichtet:
„Ich habe im Auftrage Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Luitpold
weiter zu berichten, daß Graf Bismarck sich dahin äußerte, Preußen und der
Nordbund würden bereitwilligst diejenigen Vorschläge acceptieren, welche Seine
Majestät der König von Bayern nach Allerhöchstseiner Bequemlichkeit im
Interesse einer engern nationalen Einigung zu machen sich etwa veranlaßt
sehen würden. Preußen und der Nordbund verzichteten aber darauf, auf diese
Entschlüsse irgendwelche Pression zu üben, indem ein für Norddeutschland
günstig gestimmtes Bayern der nationalen Sache mehr nutze als ein wider¬
willig in nähere Beziehung gebrachtes Land." Man ersieht hieraus deutlich,
wie sehr das Verhalten Preußens psychologisch der Persönlichkeit des Königs
Ludwig angepaßt war. An die Sendung Delbrücks nach Dresden knüpfte sich
dann sofort die weitere Aktion. Am 5. September nach Berlin zurückgekehrt
empfing Delbrück wenig Stunden später abermals ein Telegramm Bismarcks,
das ihn in das Hauptquartier berief: „Der König wünscht, daß Sie auf
kurze Zeit in das Hauptquartier kommen, damit ich mit Ihnen erwäge, wie
wir einen schicklichen geschäftlichen Anlaß zur Berufung des Zollparlaments
finden und das Gewicht dieser Versammlung, einschließlich des Reichstags,
zur Wirkung auf die deutschen und europäischen Friedensverhandlungen ver¬
werten." Am 10. September war Delbrück in Rheims. Nach einer Audienz
beim Könige schritt er mit Bismarck in einstündiger Unterredung in der
Cour d'honneur des erzbischöflichen Palastes, des Quartiers des Königs, auf
und ab und erwog vor den Augen des dnrch das Gitter gaffenden Publikums
mit dem Bundeskanzler den Beitritt der süddeutschen Staaten zum Nord¬
deutschen Bunde, dessen Umgestaltung zu einem Deutschen Bunde und die
Herstellung des Kaisertums. Im militärischen Hauptquartier hielt mau nach
acht siegreichen Schlachten die Herstellung der deutschen Einheit mit Kaiser¬
licher Spitze für eine leichte Sache, bei der man „nur zu wollen brauche",
„der Zauber, den die Person des Königs auf Offiziere und Mannschaften des


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[0670] Großherzog Friedrich von Baden in Versailles und sein besondres Interesse berufen. Die Auffassung wurde in Dresden geteilt, und Delbrück kehrte am 5. September nach Berlin zurück mit der Über¬ zeugung, daß bei der bayrischen Regierung die nötigen Schritte getan seien und weiter getan würden. Es muß als selbstverständlich angesehen werden, daß Preußen, bevor es in der deutschen Frage den ersten amtlichen Schritt tat, sich zuvor mit dem ersten Mitgliede des Norddeutschen Bundes, dem Könige von Sachsen, in Verbindung setzte. Ebenso entsprach es durchaus einer klugen Politik, daß die einleitenden Schritte in München durch Sachsen getan wurden. Von Sachsen ausgehend, entbehrten sie jedes Anscheins irgendeines Druckes oder Zwanges, und die Initiative des norddeutschen Mittelstaates bot dem Münchner Hofe zugleich eine Gewähr, daß es sich in dem neuen Bundesverhältnis sehr wohl leben lasse. Hatte doch der dem Prinzen Luitpold von Bayern, dem heutigen Regenten, im Königlichen Hauptquartier beigegebne bayrische Ministerialsekretär Graf Berchem unter dem 24. August aus Bar le Duc nach München berichtet: „Ich habe im Auftrage Seiner Königlichen Hoheit des Prinzen Luitpold weiter zu berichten, daß Graf Bismarck sich dahin äußerte, Preußen und der Nordbund würden bereitwilligst diejenigen Vorschläge acceptieren, welche Seine Majestät der König von Bayern nach Allerhöchstseiner Bequemlichkeit im Interesse einer engern nationalen Einigung zu machen sich etwa veranlaßt sehen würden. Preußen und der Nordbund verzichteten aber darauf, auf diese Entschlüsse irgendwelche Pression zu üben, indem ein für Norddeutschland günstig gestimmtes Bayern der nationalen Sache mehr nutze als ein wider¬ willig in nähere Beziehung gebrachtes Land." Man ersieht hieraus deutlich, wie sehr das Verhalten Preußens psychologisch der Persönlichkeit des Königs Ludwig angepaßt war. An die Sendung Delbrücks nach Dresden knüpfte sich dann sofort die weitere Aktion. Am 5. September nach Berlin zurückgekehrt empfing Delbrück wenig Stunden später abermals ein Telegramm Bismarcks, das ihn in das Hauptquartier berief: „Der König wünscht, daß Sie auf kurze Zeit in das Hauptquartier kommen, damit ich mit Ihnen erwäge, wie wir einen schicklichen geschäftlichen Anlaß zur Berufung des Zollparlaments finden und das Gewicht dieser Versammlung, einschließlich des Reichstags, zur Wirkung auf die deutschen und europäischen Friedensverhandlungen ver¬ werten." Am 10. September war Delbrück in Rheims. Nach einer Audienz beim Könige schritt er mit Bismarck in einstündiger Unterredung in der Cour d'honneur des erzbischöflichen Palastes, des Quartiers des Königs, auf und ab und erwog vor den Augen des dnrch das Gitter gaffenden Publikums mit dem Bundeskanzler den Beitritt der süddeutschen Staaten zum Nord¬ deutschen Bunde, dessen Umgestaltung zu einem Deutschen Bunde und die Herstellung des Kaisertums. Im militärischen Hauptquartier hielt mau nach acht siegreichen Schlachten die Herstellung der deutschen Einheit mit Kaiser¬ licher Spitze für eine leichte Sache, bei der man „nur zu wollen brauche", „der Zauber, den die Person des Königs auf Offiziere und Mannschaften des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/670>, abgerufen am 27.12.2024.