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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Großherzog Friedrich von Laden in Versailles

möglichst dringend zu behandeln. Die Denkschrift ist wiederholt veröffentlicht
worden. Sie berührt folgende drei Punkte: die Frage des Friedensschlusses
mit Frankreich und die zu erwartende Abtretung französischen Gebietes. Sie
lehnte vom Standpunkte Badens jede Gebietserwerbung für das Großherzogtum
ab und forderte die Einverleibung der eroberten Gebietsteile entweder in den
Preußischen Staat oder in der Form eines reichsunmittelbaren Landes direkt
in den Norddeutschen Bund. Zweitens wurde der Eintritt der Südstaaten in
den Norddeutschen Bund und dadurch dessen Erweiterung zu einem Deutschen
Bunde beantragt. Endlich wurde auf die Notwendigkeit der Wiederherstellung
der Kaiserwürde hingewiesen, wobei sich die großherzogliche Regierung die
dazu nötigen Schritte vorbehielt. Auf besondern Wunsch des Großherzogs
wurde betont, daß in diplomatischen und militärischen Angelegenheiten eine
Stürknng der Bundeszentralgewalt tunlich und wünschenswert sei. Die
Denkschrift wurde am 2. September, gerade am Sedantage, in Berlin und
in Karlsruhe übergeben, etwas später wird sie in die Hände des Königs und
des Kronprinzen gelangt sein.

Was war nun inzwischen auf preußischer Seite geschehn? Minister Del-
brück erzählt in seinen Lebenserinnerungen: "Am 1. September 1870 schickte
mir der Unterstaatssekretär von Thile ein Telegramm des Grafen Bismarck,
wenn ich nicht irre aus Vuzcmch, das mich beauftragte, in Dresden mit dem
Minister von Friesen die Zukunft der von uns eroberten und in dem künftigen
Frieden festzuhaltenden französischen Landesteile zu besprechen. Daß Preußen
sie nicht für sich begehre, konnte ich ausdrücklich erklären. Ich ging zu Herrn
von Thile, um über meine Reise und meine Anmeldung in Dresden das
Nähere zu verabreden. Graf Fritz Eulenburg (Minister des Innern) kam dazu,
wir unterhielten uns über den Gegenstand meines Auftrags. Wenn wir Elsaß
und Lothringen nicht nehmen wollen, sagte Graf Eulenburg, und da Baden
sie nicht nehmen kann, was sollen sie dann werden? Reichsland, erwiderte
ich- Ein Reichsland ohne Reich? war die Antwort. Vielleicht, meinte ich,
erwächst aus dem Reichslande das Reich." Delbrück berichtet weiter, daß er über
die Frage, die ihn nach Dresden geführt hatte, dort keine Meinungsverschieden¬
heiten gefunden habe. Sowohl Minister von Friesen als auch König Johann
waren der Meinung, daß die eroberten Landesteile nicht mit einem einzelnen
deutschen Staate, sondern mit der Gesamtheit der deutschen Staaten zu ver¬
einigen sein würden als ein eignes in Gesetzgebung und Verwaltung
von dieser Gesamtheit abhängiges Staatswesen. Da der Zollverein
als die einzige alle deutschen Staaten umfassende Gemeinschaft wegen seiner
Kündbarkeit zum Träger einer Souveränität nicht geeignet war, der nord¬
deutsche Bund sich nur auf einen Teil der Staaten beschränkte, deren ver¬
einigten Kräften die Eroberung zu verdanken war, so erschien die Ausdehnung
des Norddeutschen Bundes auf die süddeutschen Staaten die notwendige Vor¬
aussetzung für die Regelung des Verhältnisses der eroberten Gebiete. Zur
Anregung dieser Frage in Süddeutschland war Sachsen dnrch seine Stellung


Grenzboten III 1906 ^
Großherzog Friedrich von Laden in Versailles

möglichst dringend zu behandeln. Die Denkschrift ist wiederholt veröffentlicht
worden. Sie berührt folgende drei Punkte: die Frage des Friedensschlusses
mit Frankreich und die zu erwartende Abtretung französischen Gebietes. Sie
lehnte vom Standpunkte Badens jede Gebietserwerbung für das Großherzogtum
ab und forderte die Einverleibung der eroberten Gebietsteile entweder in den
Preußischen Staat oder in der Form eines reichsunmittelbaren Landes direkt
in den Norddeutschen Bund. Zweitens wurde der Eintritt der Südstaaten in
den Norddeutschen Bund und dadurch dessen Erweiterung zu einem Deutschen
Bunde beantragt. Endlich wurde auf die Notwendigkeit der Wiederherstellung
der Kaiserwürde hingewiesen, wobei sich die großherzogliche Regierung die
dazu nötigen Schritte vorbehielt. Auf besondern Wunsch des Großherzogs
wurde betont, daß in diplomatischen und militärischen Angelegenheiten eine
Stürknng der Bundeszentralgewalt tunlich und wünschenswert sei. Die
Denkschrift wurde am 2. September, gerade am Sedantage, in Berlin und
in Karlsruhe übergeben, etwas später wird sie in die Hände des Königs und
des Kronprinzen gelangt sein.

Was war nun inzwischen auf preußischer Seite geschehn? Minister Del-
brück erzählt in seinen Lebenserinnerungen: „Am 1. September 1870 schickte
mir der Unterstaatssekretär von Thile ein Telegramm des Grafen Bismarck,
wenn ich nicht irre aus Vuzcmch, das mich beauftragte, in Dresden mit dem
Minister von Friesen die Zukunft der von uns eroberten und in dem künftigen
Frieden festzuhaltenden französischen Landesteile zu besprechen. Daß Preußen
sie nicht für sich begehre, konnte ich ausdrücklich erklären. Ich ging zu Herrn
von Thile, um über meine Reise und meine Anmeldung in Dresden das
Nähere zu verabreden. Graf Fritz Eulenburg (Minister des Innern) kam dazu,
wir unterhielten uns über den Gegenstand meines Auftrags. Wenn wir Elsaß
und Lothringen nicht nehmen wollen, sagte Graf Eulenburg, und da Baden
sie nicht nehmen kann, was sollen sie dann werden? Reichsland, erwiderte
ich- Ein Reichsland ohne Reich? war die Antwort. Vielleicht, meinte ich,
erwächst aus dem Reichslande das Reich." Delbrück berichtet weiter, daß er über
die Frage, die ihn nach Dresden geführt hatte, dort keine Meinungsverschieden¬
heiten gefunden habe. Sowohl Minister von Friesen als auch König Johann
waren der Meinung, daß die eroberten Landesteile nicht mit einem einzelnen
deutschen Staate, sondern mit der Gesamtheit der deutschen Staaten zu ver¬
einigen sein würden als ein eignes in Gesetzgebung und Verwaltung
von dieser Gesamtheit abhängiges Staatswesen. Da der Zollverein
als die einzige alle deutschen Staaten umfassende Gemeinschaft wegen seiner
Kündbarkeit zum Träger einer Souveränität nicht geeignet war, der nord¬
deutsche Bund sich nur auf einen Teil der Staaten beschränkte, deren ver¬
einigten Kräften die Eroberung zu verdanken war, so erschien die Ausdehnung
des Norddeutschen Bundes auf die süddeutschen Staaten die notwendige Vor¬
aussetzung für die Regelung des Verhältnisses der eroberten Gebiete. Zur
Anregung dieser Frage in Süddeutschland war Sachsen dnrch seine Stellung


Grenzboten III 1906 ^
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[0669] Großherzog Friedrich von Laden in Versailles möglichst dringend zu behandeln. Die Denkschrift ist wiederholt veröffentlicht worden. Sie berührt folgende drei Punkte: die Frage des Friedensschlusses mit Frankreich und die zu erwartende Abtretung französischen Gebietes. Sie lehnte vom Standpunkte Badens jede Gebietserwerbung für das Großherzogtum ab und forderte die Einverleibung der eroberten Gebietsteile entweder in den Preußischen Staat oder in der Form eines reichsunmittelbaren Landes direkt in den Norddeutschen Bund. Zweitens wurde der Eintritt der Südstaaten in den Norddeutschen Bund und dadurch dessen Erweiterung zu einem Deutschen Bunde beantragt. Endlich wurde auf die Notwendigkeit der Wiederherstellung der Kaiserwürde hingewiesen, wobei sich die großherzogliche Regierung die dazu nötigen Schritte vorbehielt. Auf besondern Wunsch des Großherzogs wurde betont, daß in diplomatischen und militärischen Angelegenheiten eine Stürknng der Bundeszentralgewalt tunlich und wünschenswert sei. Die Denkschrift wurde am 2. September, gerade am Sedantage, in Berlin und in Karlsruhe übergeben, etwas später wird sie in die Hände des Königs und des Kronprinzen gelangt sein. Was war nun inzwischen auf preußischer Seite geschehn? Minister Del- brück erzählt in seinen Lebenserinnerungen: „Am 1. September 1870 schickte mir der Unterstaatssekretär von Thile ein Telegramm des Grafen Bismarck, wenn ich nicht irre aus Vuzcmch, das mich beauftragte, in Dresden mit dem Minister von Friesen die Zukunft der von uns eroberten und in dem künftigen Frieden festzuhaltenden französischen Landesteile zu besprechen. Daß Preußen sie nicht für sich begehre, konnte ich ausdrücklich erklären. Ich ging zu Herrn von Thile, um über meine Reise und meine Anmeldung in Dresden das Nähere zu verabreden. Graf Fritz Eulenburg (Minister des Innern) kam dazu, wir unterhielten uns über den Gegenstand meines Auftrags. Wenn wir Elsaß und Lothringen nicht nehmen wollen, sagte Graf Eulenburg, und da Baden sie nicht nehmen kann, was sollen sie dann werden? Reichsland, erwiderte ich- Ein Reichsland ohne Reich? war die Antwort. Vielleicht, meinte ich, erwächst aus dem Reichslande das Reich." Delbrück berichtet weiter, daß er über die Frage, die ihn nach Dresden geführt hatte, dort keine Meinungsverschieden¬ heiten gefunden habe. Sowohl Minister von Friesen als auch König Johann waren der Meinung, daß die eroberten Landesteile nicht mit einem einzelnen deutschen Staate, sondern mit der Gesamtheit der deutschen Staaten zu ver¬ einigen sein würden als ein eignes in Gesetzgebung und Verwaltung von dieser Gesamtheit abhängiges Staatswesen. Da der Zollverein als die einzige alle deutschen Staaten umfassende Gemeinschaft wegen seiner Kündbarkeit zum Träger einer Souveränität nicht geeignet war, der nord¬ deutsche Bund sich nur auf einen Teil der Staaten beschränkte, deren ver¬ einigten Kräften die Eroberung zu verdanken war, so erschien die Ausdehnung des Norddeutschen Bundes auf die süddeutschen Staaten die notwendige Vor¬ aussetzung für die Regelung des Verhältnisses der eroberten Gebiete. Zur Anregung dieser Frage in Süddeutschland war Sachsen dnrch seine Stellung Grenzboten III 1906 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/669>, abgerufen am 23.07.2024.