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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Monarchenbegegnung

Ländern verloren. Kollektivismus in der einen Form oder in der andern ist
die einzige Regierungsform, die die Menge anzieht. Möglicherweise kann eines
Tages die Pöbelherrschaft durch Akklamation Platz greifen, aber bis jetzt ist
es das einzige Resultat der sozialistischen Propaganda gewesen, die Vorliebe
für eines Mannes Herrschaft zu fördern.

Soweit als das Proletariat in Betracht kommt, ist die konstitutionelle
Negierung versucht und für mangelhaft befunden worden, und die arbeitenden
Klassen sind mit Recht oder Unrecht zu der bestimmten Überzeugung gekommen,
daß ihre Ideen und Aspirationen besser unter eines Mannes Herrschaft als unter
einer parlamentarischen Regierung gesichert sind, die notwendigerweise die Ideen
und Interessen der mittlern Klassen repräsentieren muß. Ist die Voraussetzung
richtig, daß das "Einmannsystem" zugunsten der Monarchien gegen die Parla¬
mente spricht, besonders in Ländern, deren Monarchie seit Generationen be¬
standen hat, so repräsentiert ein König treuer, als irgendein parlamentarischer
Staatsmann es möglicherweise tun kann, die Traditionen seines Volkes. Jeder
Mann in einem Lande, das "Mannesstimmrecht" hat, kennt den König dem
Namen nach oder von Angesicht, ein nicht geringer Vorteil bei Volkswahlen. Und
mehr noch. Durch die Massen geht die keineswegs unbegründete Überzeugung,
daß ein König kraft seiner Geburt, Abstammung und Stellung den Klassen¬
einflüssen weniger zugänglich ist als irgendein andrer Mann des öffentlichen
Lebens, so hervorragend er anch sein möge, der nicht im Purpur geboren ist. "Es
liegt mir fern zu behaupten, daß die allgemeine Verstimmung über die Resultate
der parlamentarischen Regierung schon zu einem überlegten Wunsche nach ihrer
Beseitigung geführt habe, aber in Anbetracht der in Kürze von mir ange¬
deuteten Ursachen ist die Tendenz des letzten halben Jahrhunderts dahin ge¬
richtet gewesen, die Autorität der Souveräne zu vermehren und die der Par¬
lamente abzuschwächen."

Dicey erklärt zum Schluß, daß die Ursachen dieser Erscheinung zu kompliziert
seien, als daß sie im Rahmen eines Artikels erörtert werden könnten, der einem
diplomatischen Zwischenfall gewidmet sei. Er werfe die Idee eines allgemeinen
Rückgangs der Autorität der Parlamente mehr als einen Eindruck denn als
definitive Behauptung hin. Er müsse aber die Aufmerksamkeit doch auf die Tat¬
sache lenken, daß in dem Lande der Welt, in dem Selbstregierung des Volkes
durch eine freigewählte Legislatur bisher als unantastbare Einrichtung betrachtet
worden ist, in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, das "Einmannsystem"
für den Augenblick alles andre zu überwiegen scheine. In dem Konflikt zwischen
dem Präsidenten und dem Kongreß sei der erste bei weitem durch die Masse seiner
Landsleute unterstützt worden, man habe ihn als den starken Regenten anerkannt,
der die Wohlfahrt des Landes auf dem Herzen habe, und der entschlossen sei,
seine Politik auch ohne die Zustimmung des Kongresses durchzusetzen. Bei
seiner Wiederwahl zur Präsidentschaft habe Noosevelt zwar erklärt, daß er
eine dritte Wahl niemals annehmen werde, aber es sei jetzt aller Grund z"
der Voraussetzung vorhanden, daß, wenn er nach Ablauf seiner zweiten Wahl


Die Monarchenbegegnung

Ländern verloren. Kollektivismus in der einen Form oder in der andern ist
die einzige Regierungsform, die die Menge anzieht. Möglicherweise kann eines
Tages die Pöbelherrschaft durch Akklamation Platz greifen, aber bis jetzt ist
es das einzige Resultat der sozialistischen Propaganda gewesen, die Vorliebe
für eines Mannes Herrschaft zu fördern.

Soweit als das Proletariat in Betracht kommt, ist die konstitutionelle
Negierung versucht und für mangelhaft befunden worden, und die arbeitenden
Klassen sind mit Recht oder Unrecht zu der bestimmten Überzeugung gekommen,
daß ihre Ideen und Aspirationen besser unter eines Mannes Herrschaft als unter
einer parlamentarischen Regierung gesichert sind, die notwendigerweise die Ideen
und Interessen der mittlern Klassen repräsentieren muß. Ist die Voraussetzung
richtig, daß das „Einmannsystem" zugunsten der Monarchien gegen die Parla¬
mente spricht, besonders in Ländern, deren Monarchie seit Generationen be¬
standen hat, so repräsentiert ein König treuer, als irgendein parlamentarischer
Staatsmann es möglicherweise tun kann, die Traditionen seines Volkes. Jeder
Mann in einem Lande, das „Mannesstimmrecht" hat, kennt den König dem
Namen nach oder von Angesicht, ein nicht geringer Vorteil bei Volkswahlen. Und
mehr noch. Durch die Massen geht die keineswegs unbegründete Überzeugung,
daß ein König kraft seiner Geburt, Abstammung und Stellung den Klassen¬
einflüssen weniger zugänglich ist als irgendein andrer Mann des öffentlichen
Lebens, so hervorragend er anch sein möge, der nicht im Purpur geboren ist. „Es
liegt mir fern zu behaupten, daß die allgemeine Verstimmung über die Resultate
der parlamentarischen Regierung schon zu einem überlegten Wunsche nach ihrer
Beseitigung geführt habe, aber in Anbetracht der in Kürze von mir ange¬
deuteten Ursachen ist die Tendenz des letzten halben Jahrhunderts dahin ge¬
richtet gewesen, die Autorität der Souveräne zu vermehren und die der Par¬
lamente abzuschwächen."

Dicey erklärt zum Schluß, daß die Ursachen dieser Erscheinung zu kompliziert
seien, als daß sie im Rahmen eines Artikels erörtert werden könnten, der einem
diplomatischen Zwischenfall gewidmet sei. Er werfe die Idee eines allgemeinen
Rückgangs der Autorität der Parlamente mehr als einen Eindruck denn als
definitive Behauptung hin. Er müsse aber die Aufmerksamkeit doch auf die Tat¬
sache lenken, daß in dem Lande der Welt, in dem Selbstregierung des Volkes
durch eine freigewählte Legislatur bisher als unantastbare Einrichtung betrachtet
worden ist, in den Vereinigten Staaten von Nordamerika, das „Einmannsystem"
für den Augenblick alles andre zu überwiegen scheine. In dem Konflikt zwischen
dem Präsidenten und dem Kongreß sei der erste bei weitem durch die Masse seiner
Landsleute unterstützt worden, man habe ihn als den starken Regenten anerkannt,
der die Wohlfahrt des Landes auf dem Herzen habe, und der entschlossen sei,
seine Politik auch ohne die Zustimmung des Kongresses durchzusetzen. Bei
seiner Wiederwahl zur Präsidentschaft habe Noosevelt zwar erklärt, daß er
eine dritte Wahl niemals annehmen werde, aber es sei jetzt aller Grund z»
der Voraussetzung vorhanden, daß, wenn er nach Ablauf seiner zweiten Wahl


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/660>, abgerufen am 23.07.2024.