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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Monarchenbegegnung

wieder gewühlt werden sollte, er über die Unterstützung einer sehr großen
Minorität der Wühler, wenn nicht einer absoluten Majorität, aus dem Grunde
verfügen würde, weil er den Willen des Volkes tatsächlich weit mehr repräsen¬
tiert als der Senat oder das Repräsentantenhaus. Es sei unwesentlich, ob
dieser Glaube mehr oder weniger begründet sei, es komme nur darauf an zu
zeigen, wie weit sich die Volksströmnng in den Vereinigten Staaten gewandelt
habe seit den Tagen, als Washingtons Erklärung, daß eine dritte Wieder¬
wahl zur Präsidentschaft eine Gefahr für die Verfassung sein würde, als
göttliche Offenbarung angesehen wurde. In der Neuen wie in der Alten Welt
scheine das "Einmannsystem" als ein der parlamentarischen Regierung vor¬
zuziehendes an Boden zu gewinnen. Es sei das um so bemerkenswerter, als
es in Amerika keine arbeitslose oder arme Klasse gebe, wie sie fast in allen
europäischen Ländern gefunden werde, und daß in dieser Hinsicht Amerika viel
weniger Ursache habe als Europa, zu wünschen, daß die oberste Autorität
lieber in einer einzelnen Hand als in mehreren Händen liegen solle. Er für
seine Person sehe keinen Grund zu einer revolutionären Wendung bei seinen
eignen Lebzeiten oder bei der jetzigen Generation. Er vermöge nur zu er¬
kennen, daß die allgemeine Tendenz der Volksströmung in der ganzen Welt
auf Vermehrung der Autorität der persönlichen Herrscher gerichtet sei, gleich¬
viel ob sie Präsidenten, Diktatoren, Könige oder Kaiser genannt werden, und
daß sich infolgedessen das Ansehen der konstitutionellen Parlamente vermindre,
die bis jetzt als politische Vermittler zwischen dem Thron und dem Volk ge¬
dient haben, und die tatsächlich, wenn nicht dem Namen nach, die oberste
Gewalt ausübten. Es könne für diese Tendenz keine bessere Illustration bei¬
gebracht werden als die Tatsache, daß die beiden befähigtsten der europäischen
Souveräne, die über die führenden Länder Europas regieren, eine Unterredung
abgehalten haben, in der Fragen der wichtigsten Interessen ihrer beiden Länder,
wie mit oder ohne Grund anzunehmen sei, zur Erwägung gestanden haben, und
daß eine solche Unterredung von ihren eignen Untertanen nicht nur ohne Mi߬
trauen, sondern mit ausgesprochner Befriedigung angesehen worden sei.

So weit Dicey.

Der deutsche Leser wird ihm vielleicht nicht in allen seinen Abstraktionen
zu folgen vermögen und ihm namentlich die Tatsache entgegenhalten, daß der
antimonarchische Charakter der deutschen Sozialdemokratie, wenigstens soweit
die Führerschaft in Betracht komme, als erwiesen gelten müsse, ebenso daß die
deutsche Sozialdemokratie das parlamentarische System durchaus nicht verwirft,
solange sie Aussicht hat, wenn auch nur durch eine starke Minorität einen
Einfluß auf die Gesetzgebung zu üben. Aber ebenso ist unbestreitbar, daß sich
innerhalb der deutschen Sozialdemokratie in der zweiten Generation die Elemente
mehren, die zwar an der heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung manches
ändern möchten, sich aber doch innerhalb dieses Nahmens zurechtzufinden wissen.
In allen Kulturperioden der Menschheit sind nicht die Institutionen, sondern
die Persönlichkeiten die Trüger und Führer der fortschreitenden Entwicklung


Grenzboten III 1906 87
Die Monarchenbegegnung

wieder gewühlt werden sollte, er über die Unterstützung einer sehr großen
Minorität der Wühler, wenn nicht einer absoluten Majorität, aus dem Grunde
verfügen würde, weil er den Willen des Volkes tatsächlich weit mehr repräsen¬
tiert als der Senat oder das Repräsentantenhaus. Es sei unwesentlich, ob
dieser Glaube mehr oder weniger begründet sei, es komme nur darauf an zu
zeigen, wie weit sich die Volksströmnng in den Vereinigten Staaten gewandelt
habe seit den Tagen, als Washingtons Erklärung, daß eine dritte Wieder¬
wahl zur Präsidentschaft eine Gefahr für die Verfassung sein würde, als
göttliche Offenbarung angesehen wurde. In der Neuen wie in der Alten Welt
scheine das „Einmannsystem" als ein der parlamentarischen Regierung vor¬
zuziehendes an Boden zu gewinnen. Es sei das um so bemerkenswerter, als
es in Amerika keine arbeitslose oder arme Klasse gebe, wie sie fast in allen
europäischen Ländern gefunden werde, und daß in dieser Hinsicht Amerika viel
weniger Ursache habe als Europa, zu wünschen, daß die oberste Autorität
lieber in einer einzelnen Hand als in mehreren Händen liegen solle. Er für
seine Person sehe keinen Grund zu einer revolutionären Wendung bei seinen
eignen Lebzeiten oder bei der jetzigen Generation. Er vermöge nur zu er¬
kennen, daß die allgemeine Tendenz der Volksströmung in der ganzen Welt
auf Vermehrung der Autorität der persönlichen Herrscher gerichtet sei, gleich¬
viel ob sie Präsidenten, Diktatoren, Könige oder Kaiser genannt werden, und
daß sich infolgedessen das Ansehen der konstitutionellen Parlamente vermindre,
die bis jetzt als politische Vermittler zwischen dem Thron und dem Volk ge¬
dient haben, und die tatsächlich, wenn nicht dem Namen nach, die oberste
Gewalt ausübten. Es könne für diese Tendenz keine bessere Illustration bei¬
gebracht werden als die Tatsache, daß die beiden befähigtsten der europäischen
Souveräne, die über die führenden Länder Europas regieren, eine Unterredung
abgehalten haben, in der Fragen der wichtigsten Interessen ihrer beiden Länder,
wie mit oder ohne Grund anzunehmen sei, zur Erwägung gestanden haben, und
daß eine solche Unterredung von ihren eignen Untertanen nicht nur ohne Mi߬
trauen, sondern mit ausgesprochner Befriedigung angesehen worden sei.

So weit Dicey.

Der deutsche Leser wird ihm vielleicht nicht in allen seinen Abstraktionen
zu folgen vermögen und ihm namentlich die Tatsache entgegenhalten, daß der
antimonarchische Charakter der deutschen Sozialdemokratie, wenigstens soweit
die Führerschaft in Betracht komme, als erwiesen gelten müsse, ebenso daß die
deutsche Sozialdemokratie das parlamentarische System durchaus nicht verwirft,
solange sie Aussicht hat, wenn auch nur durch eine starke Minorität einen
Einfluß auf die Gesetzgebung zu üben. Aber ebenso ist unbestreitbar, daß sich
innerhalb der deutschen Sozialdemokratie in der zweiten Generation die Elemente
mehren, die zwar an der heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung manches
ändern möchten, sich aber doch innerhalb dieses Nahmens zurechtzufinden wissen.
In allen Kulturperioden der Menschheit sind nicht die Institutionen, sondern
die Persönlichkeiten die Trüger und Führer der fortschreitenden Entwicklung


Grenzboten III 1906 87
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[0661] Die Monarchenbegegnung wieder gewühlt werden sollte, er über die Unterstützung einer sehr großen Minorität der Wühler, wenn nicht einer absoluten Majorität, aus dem Grunde verfügen würde, weil er den Willen des Volkes tatsächlich weit mehr repräsen¬ tiert als der Senat oder das Repräsentantenhaus. Es sei unwesentlich, ob dieser Glaube mehr oder weniger begründet sei, es komme nur darauf an zu zeigen, wie weit sich die Volksströmnng in den Vereinigten Staaten gewandelt habe seit den Tagen, als Washingtons Erklärung, daß eine dritte Wieder¬ wahl zur Präsidentschaft eine Gefahr für die Verfassung sein würde, als göttliche Offenbarung angesehen wurde. In der Neuen wie in der Alten Welt scheine das „Einmannsystem" als ein der parlamentarischen Regierung vor¬ zuziehendes an Boden zu gewinnen. Es sei das um so bemerkenswerter, als es in Amerika keine arbeitslose oder arme Klasse gebe, wie sie fast in allen europäischen Ländern gefunden werde, und daß in dieser Hinsicht Amerika viel weniger Ursache habe als Europa, zu wünschen, daß die oberste Autorität lieber in einer einzelnen Hand als in mehreren Händen liegen solle. Er für seine Person sehe keinen Grund zu einer revolutionären Wendung bei seinen eignen Lebzeiten oder bei der jetzigen Generation. Er vermöge nur zu er¬ kennen, daß die allgemeine Tendenz der Volksströmung in der ganzen Welt auf Vermehrung der Autorität der persönlichen Herrscher gerichtet sei, gleich¬ viel ob sie Präsidenten, Diktatoren, Könige oder Kaiser genannt werden, und daß sich infolgedessen das Ansehen der konstitutionellen Parlamente vermindre, die bis jetzt als politische Vermittler zwischen dem Thron und dem Volk ge¬ dient haben, und die tatsächlich, wenn nicht dem Namen nach, die oberste Gewalt ausübten. Es könne für diese Tendenz keine bessere Illustration bei¬ gebracht werden als die Tatsache, daß die beiden befähigtsten der europäischen Souveräne, die über die führenden Länder Europas regieren, eine Unterredung abgehalten haben, in der Fragen der wichtigsten Interessen ihrer beiden Länder, wie mit oder ohne Grund anzunehmen sei, zur Erwägung gestanden haben, und daß eine solche Unterredung von ihren eignen Untertanen nicht nur ohne Mi߬ trauen, sondern mit ausgesprochner Befriedigung angesehen worden sei. So weit Dicey. Der deutsche Leser wird ihm vielleicht nicht in allen seinen Abstraktionen zu folgen vermögen und ihm namentlich die Tatsache entgegenhalten, daß der antimonarchische Charakter der deutschen Sozialdemokratie, wenigstens soweit die Führerschaft in Betracht komme, als erwiesen gelten müsse, ebenso daß die deutsche Sozialdemokratie das parlamentarische System durchaus nicht verwirft, solange sie Aussicht hat, wenn auch nur durch eine starke Minorität einen Einfluß auf die Gesetzgebung zu üben. Aber ebenso ist unbestreitbar, daß sich innerhalb der deutschen Sozialdemokratie in der zweiten Generation die Elemente mehren, die zwar an der heutigen Staats- und Gesellschaftsordnung manches ändern möchten, sich aber doch innerhalb dieses Nahmens zurechtzufinden wissen. In allen Kulturperioden der Menschheit sind nicht die Institutionen, sondern die Persönlichkeiten die Trüger und Führer der fortschreitenden Entwicklung Grenzboten III 1906 87

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/661>, abgerufen am 23.07.2024.