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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Monarchenbegegnung

Throne von England ein Souverän säße, der sich so durch und durch mit
seinem Volke identifiziert hat, und der sein absolutes Vertrauen genießt, bei
seiner hohen Befähigung, seinem unverfälschten Patriotismus, seiner Treue für
die Verfassung, seiner tiefen Sympathie mit uusern britischen Ideen und seinem
außerordentlichen Blick für die Interessen unsers britischen Reiches. Was
Deutschland anlangt, so kann ich natürlich da nicht mit derselben Sicherheit
sprechen, aber nach allem, was ich höre, komme ich zu dem Schluß, daß,
wenngleich die direkte Intervention des Souveräns bei auswärtigen Ver¬
handlungen dort weniger eine Neuerung sein mag als bei uns, doch die Tat¬
sache, daß der Kaiser sein Volk fast in derselben Weise personifiziert, wie sein
Onkel das britische, viel dazu beitragen wird, die Zustimmung der deutschen
Nation jedem auswärtigen Programm zu gewinnen, das von Seiner Kaiserlichen
Majestät angenommen worden ist."

Dicey hält es nun für nützlich, nachzuweisen, gerade an der Hand der
Begegnung von Friedrichshof, wie sehr sich die öffentliche Meinung in Europa
gewandelt habe. Das Jahr 1851, das Jahr der ersten internationalen Aus-
stellung, sei die Hochwassermarke der politischen Ideen gewesen, die während
der letzten vierzig Friedensjahre in England Einfluß gewonnen hatten.
Konstitutionelle Negierung unter parlamentarischen Institutionen wurde damals
als eine Art Panazee für alle Übel dieser Welt angesehen. Freihandel, Triumph
der Feder über das Schwert, erziehende Aufklärung, Herrschaft des Volkes
durch das Volk für das Volk, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, das Bevor¬
stehen einer internationalen Ära wurden der öffentlichen Bewunderung nicht
als Traum einer fernen Zukunft, sondern als Tatsache dargestellt, die im
Begriff sei, sich zu vollziehen. Als notwendige Ergänzung dazu wurde die
Monarchie als überlebte Einrichtung bezeichnet, die von denkenden Wesen nur
unter der Bedingung geduldet werden könne, daß die Monarchen nur die
Hauptfiguren des souveränen Volkes seien. Nun sei aber der Glaube an das
frühzeitige Verschwinden der Monarchien und an die Reduzierung der Monarchen
zu einer untergeordneten Stellung durch die Ereignisse während des letzten
halben Jahrhunderts absolut widerlegt worden. Die Könige sind nicht nur
so zahlreich wie immer in der europäischen Welt, sondern sie sind auch persönlich
machtvoller. Die Politiker der Bright- oder Cobden-Ära hatten Recht, wenn
sie voraussetzten, daß vor Ablauf des neunzehnten Jahrhunderts die Demokratie
an die Spitze gekommen sein würde, aber sie hatten Unrecht in der Annahme,
daß die Demokratie notwendigerweise mehr und mehr der Liebling der parla¬
mentarischen Institutionen sein würde. Das Gegenteil ist erwiesen. In der
Alten Welt hat sich als Ideal der Demokratie die "Regierung eines Mannes"
herausgestellt, und in allen monarchischen Ländern ist eben der eine Mann
fast immer der Monarch. In allen Ländern hat der regierende Souverän
einen stärkern Einfluß und eine größere Autorität als die Minister und die
Parlamente. Der Glaube an das politische Selfgovernment, der vor fünfzig
Jahren dnrch ganz Europa verbreitet war, hat seinen Halt in allen kontinentalen


Die Monarchenbegegnung

Throne von England ein Souverän säße, der sich so durch und durch mit
seinem Volke identifiziert hat, und der sein absolutes Vertrauen genießt, bei
seiner hohen Befähigung, seinem unverfälschten Patriotismus, seiner Treue für
die Verfassung, seiner tiefen Sympathie mit uusern britischen Ideen und seinem
außerordentlichen Blick für die Interessen unsers britischen Reiches. Was
Deutschland anlangt, so kann ich natürlich da nicht mit derselben Sicherheit
sprechen, aber nach allem, was ich höre, komme ich zu dem Schluß, daß,
wenngleich die direkte Intervention des Souveräns bei auswärtigen Ver¬
handlungen dort weniger eine Neuerung sein mag als bei uns, doch die Tat¬
sache, daß der Kaiser sein Volk fast in derselben Weise personifiziert, wie sein
Onkel das britische, viel dazu beitragen wird, die Zustimmung der deutschen
Nation jedem auswärtigen Programm zu gewinnen, das von Seiner Kaiserlichen
Majestät angenommen worden ist."

Dicey hält es nun für nützlich, nachzuweisen, gerade an der Hand der
Begegnung von Friedrichshof, wie sehr sich die öffentliche Meinung in Europa
gewandelt habe. Das Jahr 1851, das Jahr der ersten internationalen Aus-
stellung, sei die Hochwassermarke der politischen Ideen gewesen, die während
der letzten vierzig Friedensjahre in England Einfluß gewonnen hatten.
Konstitutionelle Negierung unter parlamentarischen Institutionen wurde damals
als eine Art Panazee für alle Übel dieser Welt angesehen. Freihandel, Triumph
der Feder über das Schwert, erziehende Aufklärung, Herrschaft des Volkes
durch das Volk für das Volk, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, das Bevor¬
stehen einer internationalen Ära wurden der öffentlichen Bewunderung nicht
als Traum einer fernen Zukunft, sondern als Tatsache dargestellt, die im
Begriff sei, sich zu vollziehen. Als notwendige Ergänzung dazu wurde die
Monarchie als überlebte Einrichtung bezeichnet, die von denkenden Wesen nur
unter der Bedingung geduldet werden könne, daß die Monarchen nur die
Hauptfiguren des souveränen Volkes seien. Nun sei aber der Glaube an das
frühzeitige Verschwinden der Monarchien und an die Reduzierung der Monarchen
zu einer untergeordneten Stellung durch die Ereignisse während des letzten
halben Jahrhunderts absolut widerlegt worden. Die Könige sind nicht nur
so zahlreich wie immer in der europäischen Welt, sondern sie sind auch persönlich
machtvoller. Die Politiker der Bright- oder Cobden-Ära hatten Recht, wenn
sie voraussetzten, daß vor Ablauf des neunzehnten Jahrhunderts die Demokratie
an die Spitze gekommen sein würde, aber sie hatten Unrecht in der Annahme,
daß die Demokratie notwendigerweise mehr und mehr der Liebling der parla¬
mentarischen Institutionen sein würde. Das Gegenteil ist erwiesen. In der
Alten Welt hat sich als Ideal der Demokratie die „Regierung eines Mannes"
herausgestellt, und in allen monarchischen Ländern ist eben der eine Mann
fast immer der Monarch. In allen Ländern hat der regierende Souverän
einen stärkern Einfluß und eine größere Autorität als die Minister und die
Parlamente. Der Glaube an das politische Selfgovernment, der vor fünfzig
Jahren dnrch ganz Europa verbreitet war, hat seinen Halt in allen kontinentalen


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[0659] Die Monarchenbegegnung Throne von England ein Souverän säße, der sich so durch und durch mit seinem Volke identifiziert hat, und der sein absolutes Vertrauen genießt, bei seiner hohen Befähigung, seinem unverfälschten Patriotismus, seiner Treue für die Verfassung, seiner tiefen Sympathie mit uusern britischen Ideen und seinem außerordentlichen Blick für die Interessen unsers britischen Reiches. Was Deutschland anlangt, so kann ich natürlich da nicht mit derselben Sicherheit sprechen, aber nach allem, was ich höre, komme ich zu dem Schluß, daß, wenngleich die direkte Intervention des Souveräns bei auswärtigen Ver¬ handlungen dort weniger eine Neuerung sein mag als bei uns, doch die Tat¬ sache, daß der Kaiser sein Volk fast in derselben Weise personifiziert, wie sein Onkel das britische, viel dazu beitragen wird, die Zustimmung der deutschen Nation jedem auswärtigen Programm zu gewinnen, das von Seiner Kaiserlichen Majestät angenommen worden ist." Dicey hält es nun für nützlich, nachzuweisen, gerade an der Hand der Begegnung von Friedrichshof, wie sehr sich die öffentliche Meinung in Europa gewandelt habe. Das Jahr 1851, das Jahr der ersten internationalen Aus- stellung, sei die Hochwassermarke der politischen Ideen gewesen, die während der letzten vierzig Friedensjahre in England Einfluß gewonnen hatten. Konstitutionelle Negierung unter parlamentarischen Institutionen wurde damals als eine Art Panazee für alle Übel dieser Welt angesehen. Freihandel, Triumph der Feder über das Schwert, erziehende Aufklärung, Herrschaft des Volkes durch das Volk für das Volk, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, das Bevor¬ stehen einer internationalen Ära wurden der öffentlichen Bewunderung nicht als Traum einer fernen Zukunft, sondern als Tatsache dargestellt, die im Begriff sei, sich zu vollziehen. Als notwendige Ergänzung dazu wurde die Monarchie als überlebte Einrichtung bezeichnet, die von denkenden Wesen nur unter der Bedingung geduldet werden könne, daß die Monarchen nur die Hauptfiguren des souveränen Volkes seien. Nun sei aber der Glaube an das frühzeitige Verschwinden der Monarchien und an die Reduzierung der Monarchen zu einer untergeordneten Stellung durch die Ereignisse während des letzten halben Jahrhunderts absolut widerlegt worden. Die Könige sind nicht nur so zahlreich wie immer in der europäischen Welt, sondern sie sind auch persönlich machtvoller. Die Politiker der Bright- oder Cobden-Ära hatten Recht, wenn sie voraussetzten, daß vor Ablauf des neunzehnten Jahrhunderts die Demokratie an die Spitze gekommen sein würde, aber sie hatten Unrecht in der Annahme, daß die Demokratie notwendigerweise mehr und mehr der Liebling der parla¬ mentarischen Institutionen sein würde. Das Gegenteil ist erwiesen. In der Alten Welt hat sich als Ideal der Demokratie die „Regierung eines Mannes" herausgestellt, und in allen monarchischen Ländern ist eben der eine Mann fast immer der Monarch. In allen Ländern hat der regierende Souverän einen stärkern Einfluß und eine größere Autorität als die Minister und die Parlamente. Der Glaube an das politische Selfgovernment, der vor fünfzig Jahren dnrch ganz Europa verbreitet war, hat seinen Halt in allen kontinentalen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/659>, abgerufen am 28.12.2024.