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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Moncirchenbegegnung

die Türkei, der Balkan, Japan, der muselmännische Fanatismus, die angebliche
panislnmitische Agitation usw. Wir haben hier keinen Anlaß, ihm auf diese
Gebiete zu folgen. Während England ein Interesse habe, Deutschlands An¬
sichten in dieser Beziehung kennen zu lernen, mußte Deutschland vernünftiger¬
weise ein Interesse haben, die Ansicht der britischen Regierung über die Inter¬
pretation des durch die Konferenz von Algeciras aufgestellten Prinzips kennen
zu lernen, namentlich wie weit sie anerkenne, daß dieses Prinzip in irgendeiner
Weise der freien Hand widerstreite, die England in Ägypten durch das anglo-
französische Abkommen garantiert sei. Es sei da eine Anzahl kleinerer Streit¬
punkte vorhanden, die unter entsprechenden Umständen Anlaß zu internationalen
Schwierigkeiten geben könnten. Namentlich sei darunter die Frage, wie weit
England und Deutschland vorbereitet seien, den Entscheidungen des Haager
Tribunals eine gleiche Autorität zuzuerkennen, auch diese Frage habe vernünftiger¬
weise wohl in Friedrichshof zur Erörterung gestanden. Selbstverständlich könne
niemand, der mit der britischen Verfassung oder mit dem persönlichen Charakter
des Königs vertraut sei, annehmen, daß eine Verständigung in Friedrichshof
abgeschlossen worden sei, die in irgendeiner Weise England zur Annahme ver¬
pflichte, bevor sie von den Ministern gebilligt worden sei. Das äußerste un¬
mittelbare Resultat, das, soweit England in Betracht kommt, von der Be¬
gegnung erwartet werden dürfe, sei, daß König Ednard dem Premierminister
und seinen Kollegen gewisse Anregungen unterbreite, die für die Erhaltung des
europäischen Friedens und der internationalen Freundschaft gemacht worden
sein mögen, ebenso wie irgendeine Anregung, die Seine Majestät persönlich
empfangen, und die Gründe, die Seine Majestät bestimmt haben, die Anregung
zu billigen oder zu mißbilligen. Erweise sich das alles als zutreffend, so sei
darin ein wichtiger Schritt für die Ausdehnung der Politik geschehen, zu der
der König in der lZntsuts ooräiÄs mit Frankreich die Initiative ergriffen habe.
"Es ist einleuchtend, führt Dicey fort, daß die Meinung des Königs, besonders
wenn sie mit der Meinung des Deutschen Kaisers zusammentrifft, von großem
Gewicht für jedes britische Ministerium sein muß. Es kann nicht geleugnet
werden, daß es bis zu einem gewissen Grade eine Neuerung im Geiste wenn nicht
im Buchstaben unsrer Verfassung war, wenn die Pourparlers für das englisch¬
französische Abkommen vom König persönlich und nicht, wie es früher ge¬
bräuchlich war, durch den vom Staatssekretär des Auswärtigen direkt instruierten
britische" Botschafter in Paris geführt worden sind. Eine zweite und ernstlichere
Neuerung würde es sein, wenn die Pourparlers für ein herzliches Einvernehmen
zwischen England und Deutschland durch König Eduard als Repräsentanten
Englands und durch Kaiser Wilhelm als Repräsentanten Deutschlands ohne
Begleitung ihrer Minister des Auswärtigen abgeschlossen worden wären. Zum
Glück für uns ist der gute Sinn der Engländer bereit, jede Neuerung zu-
zugestehn, die nach ihrem Urteil nützlich und wohltätig ist, auch wenn sie mit
genanen Präzedenzen oder der Stcmtsetikettc nicht übereinstimmt. Die Neuerung
würde jedoch nicht ohne ernste Proteste geblieben sein, wenn nicht auf dem


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die Türkei, der Balkan, Japan, der muselmännische Fanatismus, die angebliche
panislnmitische Agitation usw. Wir haben hier keinen Anlaß, ihm auf diese
Gebiete zu folgen. Während England ein Interesse habe, Deutschlands An¬
sichten in dieser Beziehung kennen zu lernen, mußte Deutschland vernünftiger¬
weise ein Interesse haben, die Ansicht der britischen Regierung über die Inter¬
pretation des durch die Konferenz von Algeciras aufgestellten Prinzips kennen
zu lernen, namentlich wie weit sie anerkenne, daß dieses Prinzip in irgendeiner
Weise der freien Hand widerstreite, die England in Ägypten durch das anglo-
französische Abkommen garantiert sei. Es sei da eine Anzahl kleinerer Streit¬
punkte vorhanden, die unter entsprechenden Umständen Anlaß zu internationalen
Schwierigkeiten geben könnten. Namentlich sei darunter die Frage, wie weit
England und Deutschland vorbereitet seien, den Entscheidungen des Haager
Tribunals eine gleiche Autorität zuzuerkennen, auch diese Frage habe vernünftiger¬
weise wohl in Friedrichshof zur Erörterung gestanden. Selbstverständlich könne
niemand, der mit der britischen Verfassung oder mit dem persönlichen Charakter
des Königs vertraut sei, annehmen, daß eine Verständigung in Friedrichshof
abgeschlossen worden sei, die in irgendeiner Weise England zur Annahme ver¬
pflichte, bevor sie von den Ministern gebilligt worden sei. Das äußerste un¬
mittelbare Resultat, das, soweit England in Betracht kommt, von der Be¬
gegnung erwartet werden dürfe, sei, daß König Ednard dem Premierminister
und seinen Kollegen gewisse Anregungen unterbreite, die für die Erhaltung des
europäischen Friedens und der internationalen Freundschaft gemacht worden
sein mögen, ebenso wie irgendeine Anregung, die Seine Majestät persönlich
empfangen, und die Gründe, die Seine Majestät bestimmt haben, die Anregung
zu billigen oder zu mißbilligen. Erweise sich das alles als zutreffend, so sei
darin ein wichtiger Schritt für die Ausdehnung der Politik geschehen, zu der
der König in der lZntsuts ooräiÄs mit Frankreich die Initiative ergriffen habe.
„Es ist einleuchtend, führt Dicey fort, daß die Meinung des Königs, besonders
wenn sie mit der Meinung des Deutschen Kaisers zusammentrifft, von großem
Gewicht für jedes britische Ministerium sein muß. Es kann nicht geleugnet
werden, daß es bis zu einem gewissen Grade eine Neuerung im Geiste wenn nicht
im Buchstaben unsrer Verfassung war, wenn die Pourparlers für das englisch¬
französische Abkommen vom König persönlich und nicht, wie es früher ge¬
bräuchlich war, durch den vom Staatssekretär des Auswärtigen direkt instruierten
britische» Botschafter in Paris geführt worden sind. Eine zweite und ernstlichere
Neuerung würde es sein, wenn die Pourparlers für ein herzliches Einvernehmen
zwischen England und Deutschland durch König Eduard als Repräsentanten
Englands und durch Kaiser Wilhelm als Repräsentanten Deutschlands ohne
Begleitung ihrer Minister des Auswärtigen abgeschlossen worden wären. Zum
Glück für uns ist der gute Sinn der Engländer bereit, jede Neuerung zu-
zugestehn, die nach ihrem Urteil nützlich und wohltätig ist, auch wenn sie mit
genanen Präzedenzen oder der Stcmtsetikettc nicht übereinstimmt. Die Neuerung
würde jedoch nicht ohne ernste Proteste geblieben sein, wenn nicht auf dem


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[0658] Die Moncirchenbegegnung die Türkei, der Balkan, Japan, der muselmännische Fanatismus, die angebliche panislnmitische Agitation usw. Wir haben hier keinen Anlaß, ihm auf diese Gebiete zu folgen. Während England ein Interesse habe, Deutschlands An¬ sichten in dieser Beziehung kennen zu lernen, mußte Deutschland vernünftiger¬ weise ein Interesse haben, die Ansicht der britischen Regierung über die Inter¬ pretation des durch die Konferenz von Algeciras aufgestellten Prinzips kennen zu lernen, namentlich wie weit sie anerkenne, daß dieses Prinzip in irgendeiner Weise der freien Hand widerstreite, die England in Ägypten durch das anglo- französische Abkommen garantiert sei. Es sei da eine Anzahl kleinerer Streit¬ punkte vorhanden, die unter entsprechenden Umständen Anlaß zu internationalen Schwierigkeiten geben könnten. Namentlich sei darunter die Frage, wie weit England und Deutschland vorbereitet seien, den Entscheidungen des Haager Tribunals eine gleiche Autorität zuzuerkennen, auch diese Frage habe vernünftiger¬ weise wohl in Friedrichshof zur Erörterung gestanden. Selbstverständlich könne niemand, der mit der britischen Verfassung oder mit dem persönlichen Charakter des Königs vertraut sei, annehmen, daß eine Verständigung in Friedrichshof abgeschlossen worden sei, die in irgendeiner Weise England zur Annahme ver¬ pflichte, bevor sie von den Ministern gebilligt worden sei. Das äußerste un¬ mittelbare Resultat, das, soweit England in Betracht kommt, von der Be¬ gegnung erwartet werden dürfe, sei, daß König Ednard dem Premierminister und seinen Kollegen gewisse Anregungen unterbreite, die für die Erhaltung des europäischen Friedens und der internationalen Freundschaft gemacht worden sein mögen, ebenso wie irgendeine Anregung, die Seine Majestät persönlich empfangen, und die Gründe, die Seine Majestät bestimmt haben, die Anregung zu billigen oder zu mißbilligen. Erweise sich das alles als zutreffend, so sei darin ein wichtiger Schritt für die Ausdehnung der Politik geschehen, zu der der König in der lZntsuts ooräiÄs mit Frankreich die Initiative ergriffen habe. „Es ist einleuchtend, führt Dicey fort, daß die Meinung des Königs, besonders wenn sie mit der Meinung des Deutschen Kaisers zusammentrifft, von großem Gewicht für jedes britische Ministerium sein muß. Es kann nicht geleugnet werden, daß es bis zu einem gewissen Grade eine Neuerung im Geiste wenn nicht im Buchstaben unsrer Verfassung war, wenn die Pourparlers für das englisch¬ französische Abkommen vom König persönlich und nicht, wie es früher ge¬ bräuchlich war, durch den vom Staatssekretär des Auswärtigen direkt instruierten britische» Botschafter in Paris geführt worden sind. Eine zweite und ernstlichere Neuerung würde es sein, wenn die Pourparlers für ein herzliches Einvernehmen zwischen England und Deutschland durch König Eduard als Repräsentanten Englands und durch Kaiser Wilhelm als Repräsentanten Deutschlands ohne Begleitung ihrer Minister des Auswärtigen abgeschlossen worden wären. Zum Glück für uns ist der gute Sinn der Engländer bereit, jede Neuerung zu- zugestehn, die nach ihrem Urteil nützlich und wohltätig ist, auch wenn sie mit genanen Präzedenzen oder der Stcmtsetikettc nicht übereinstimmt. Die Neuerung würde jedoch nicht ohne ernste Proteste geblieben sein, wenn nicht auf dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/658>, abgerufen am 23.07.2024.