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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Christliche Liebestätigkeit

und Geistesgemeinschaft mit allen, die helfen. Unsre Zeit steht in Gefahr,
ein ungebildetes Spezialistentum zu züchten, wo der Einzelne nur seine be¬
stimmte Schraube drehen kann und sonst von dem, was seine Zeit bewegt,
nichts versteht. Das darf in der christlichen Liebestätigkeit nimmer aufkommen.
Es ist schon früher darauf hingewiesen worden, wie gerade die Mitarbeit an
der weltweiten Heidenmission so besonders geeignet ist, vor Engherzigkeit und
Kirchturmspolitik in der Liebesarbeit zu bewahren. Man darf wohl sagen,
daß alle Erweckungsbewegungen, die nicht die Heidenmission in den Kreis
ihrer Arbeit gezogen haben, sektiererisch und krank geworden sind. Die
echte christliche Liebe macht ihr Stück Arbeit treu und hat doch auf dem
Herzen das ganze Reich Gottes, die gesamte Rettung für Leib und Seele, die
Gott dem Menschen zugedacht hat, sie freut sich deshalb alles dessen, was
Liebe tut.

Die echte christliche Liebe -- das ist der fünfte Punkt, den ich betone.
Wir haben ängstlich und gewissenhaft zu wachen über die Lauterkeit unsrer
Beweggründe! Wenn man sich zum wohltätigen Zweck amüsieren will, so ist
das nicht Liebestätigkeit. Man darf ganz überzeugt sein, daß dadurch nicht
der Sinn für Liebestätigkeit, sondern der Sinn für das Amüsement gepflegt
wird -- und das sind Gegensätze. Wie sich aber junge Männer, die zu
solchen Wohltätigkeitsamüsements genötigt und darin ausgepreßt worden sind,
hinterher darüber zu äußern pflegen, will ich nicht wiedergeben, es ist auch
für jeden, der hören will, bekannt genug. Ebenso aber können wir wissen,
wie sehr die Beimengung jeglichen Strebens nach eigner Ehre den wachs¬
tümlichen Segen der Liebesarbeit hindert. An allen den gesegneten Männern
und Frauen, Franz Härter, Karoline Fliedner, Goßner u. a., kann man
sehen, wie sie tauglich wurden erst in gründlicher Demütigung vor Gott, wie
aber Gott die grunddemütigen Menschen auch gesegnet hat. Friedrich Nietzsche
bezeichnet die Liebestätigkeit als ein schlaues Manöver der Schwachen, die
andern zu beherrschen. Sorgen wir dafür, daß er bei uns damit auch nicht
im allergeringsten Recht habe!

Darum sei in diesem Zusammenhang noch einmal hingewiesen auf den
eigentümlichen Zusammenhang zwischen Liebestätigkeit und Staatsleben, den
wir schon kennen gelernt haben. Niemals wird sich die Liebe das politische
Gebiet verbieten lassen. Sie kann nicht darauf verzichten, auch die Gesetz¬
gebung, das staatliche und wirtschaftliche Leben zu beeinflussen; sie wäre feige
geworden und Hütte aufgehört, die mutige, selbstvergeßne Liebe zu sein, wenn
sie sich von allem Politischen zurückhielte. Überall, wo wirkliche Kraftbeweisung
der helfenden Liebe ist, wirkt sie auch auf dieses Gebiet, und zwar mächtiger
als die mächtigste politische Partei, sie wirkt auf den Geist der Parteien.
Aber eben damit dieses geschehe, ist hier ganz besondre Achtsamkeit nötig auf
die Lauterkeit der Beweggründe. Wo sich -- vielleicht ohne daß man sich
selbst darüber klar Rechenschaft gibt -- die Beweggründe so verschieben, daß


Christliche Liebestätigkeit

und Geistesgemeinschaft mit allen, die helfen. Unsre Zeit steht in Gefahr,
ein ungebildetes Spezialistentum zu züchten, wo der Einzelne nur seine be¬
stimmte Schraube drehen kann und sonst von dem, was seine Zeit bewegt,
nichts versteht. Das darf in der christlichen Liebestätigkeit nimmer aufkommen.
Es ist schon früher darauf hingewiesen worden, wie gerade die Mitarbeit an
der weltweiten Heidenmission so besonders geeignet ist, vor Engherzigkeit und
Kirchturmspolitik in der Liebesarbeit zu bewahren. Man darf wohl sagen,
daß alle Erweckungsbewegungen, die nicht die Heidenmission in den Kreis
ihrer Arbeit gezogen haben, sektiererisch und krank geworden sind. Die
echte christliche Liebe macht ihr Stück Arbeit treu und hat doch auf dem
Herzen das ganze Reich Gottes, die gesamte Rettung für Leib und Seele, die
Gott dem Menschen zugedacht hat, sie freut sich deshalb alles dessen, was
Liebe tut.

Die echte christliche Liebe — das ist der fünfte Punkt, den ich betone.
Wir haben ängstlich und gewissenhaft zu wachen über die Lauterkeit unsrer
Beweggründe! Wenn man sich zum wohltätigen Zweck amüsieren will, so ist
das nicht Liebestätigkeit. Man darf ganz überzeugt sein, daß dadurch nicht
der Sinn für Liebestätigkeit, sondern der Sinn für das Amüsement gepflegt
wird — und das sind Gegensätze. Wie sich aber junge Männer, die zu
solchen Wohltätigkeitsamüsements genötigt und darin ausgepreßt worden sind,
hinterher darüber zu äußern pflegen, will ich nicht wiedergeben, es ist auch
für jeden, der hören will, bekannt genug. Ebenso aber können wir wissen,
wie sehr die Beimengung jeglichen Strebens nach eigner Ehre den wachs¬
tümlichen Segen der Liebesarbeit hindert. An allen den gesegneten Männern
und Frauen, Franz Härter, Karoline Fliedner, Goßner u. a., kann man
sehen, wie sie tauglich wurden erst in gründlicher Demütigung vor Gott, wie
aber Gott die grunddemütigen Menschen auch gesegnet hat. Friedrich Nietzsche
bezeichnet die Liebestätigkeit als ein schlaues Manöver der Schwachen, die
andern zu beherrschen. Sorgen wir dafür, daß er bei uns damit auch nicht
im allergeringsten Recht habe!

Darum sei in diesem Zusammenhang noch einmal hingewiesen auf den
eigentümlichen Zusammenhang zwischen Liebestätigkeit und Staatsleben, den
wir schon kennen gelernt haben. Niemals wird sich die Liebe das politische
Gebiet verbieten lassen. Sie kann nicht darauf verzichten, auch die Gesetz¬
gebung, das staatliche und wirtschaftliche Leben zu beeinflussen; sie wäre feige
geworden und Hütte aufgehört, die mutige, selbstvergeßne Liebe zu sein, wenn
sie sich von allem Politischen zurückhielte. Überall, wo wirkliche Kraftbeweisung
der helfenden Liebe ist, wirkt sie auch auf dieses Gebiet, und zwar mächtiger
als die mächtigste politische Partei, sie wirkt auf den Geist der Parteien.
Aber eben damit dieses geschehe, ist hier ganz besondre Achtsamkeit nötig auf
die Lauterkeit der Beweggründe. Wo sich — vielleicht ohne daß man sich
selbst darüber klar Rechenschaft gibt — die Beweggründe so verschieben, daß


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[0619] Christliche Liebestätigkeit und Geistesgemeinschaft mit allen, die helfen. Unsre Zeit steht in Gefahr, ein ungebildetes Spezialistentum zu züchten, wo der Einzelne nur seine be¬ stimmte Schraube drehen kann und sonst von dem, was seine Zeit bewegt, nichts versteht. Das darf in der christlichen Liebestätigkeit nimmer aufkommen. Es ist schon früher darauf hingewiesen worden, wie gerade die Mitarbeit an der weltweiten Heidenmission so besonders geeignet ist, vor Engherzigkeit und Kirchturmspolitik in der Liebesarbeit zu bewahren. Man darf wohl sagen, daß alle Erweckungsbewegungen, die nicht die Heidenmission in den Kreis ihrer Arbeit gezogen haben, sektiererisch und krank geworden sind. Die echte christliche Liebe macht ihr Stück Arbeit treu und hat doch auf dem Herzen das ganze Reich Gottes, die gesamte Rettung für Leib und Seele, die Gott dem Menschen zugedacht hat, sie freut sich deshalb alles dessen, was Liebe tut. Die echte christliche Liebe — das ist der fünfte Punkt, den ich betone. Wir haben ängstlich und gewissenhaft zu wachen über die Lauterkeit unsrer Beweggründe! Wenn man sich zum wohltätigen Zweck amüsieren will, so ist das nicht Liebestätigkeit. Man darf ganz überzeugt sein, daß dadurch nicht der Sinn für Liebestätigkeit, sondern der Sinn für das Amüsement gepflegt wird — und das sind Gegensätze. Wie sich aber junge Männer, die zu solchen Wohltätigkeitsamüsements genötigt und darin ausgepreßt worden sind, hinterher darüber zu äußern pflegen, will ich nicht wiedergeben, es ist auch für jeden, der hören will, bekannt genug. Ebenso aber können wir wissen, wie sehr die Beimengung jeglichen Strebens nach eigner Ehre den wachs¬ tümlichen Segen der Liebesarbeit hindert. An allen den gesegneten Männern und Frauen, Franz Härter, Karoline Fliedner, Goßner u. a., kann man sehen, wie sie tauglich wurden erst in gründlicher Demütigung vor Gott, wie aber Gott die grunddemütigen Menschen auch gesegnet hat. Friedrich Nietzsche bezeichnet die Liebestätigkeit als ein schlaues Manöver der Schwachen, die andern zu beherrschen. Sorgen wir dafür, daß er bei uns damit auch nicht im allergeringsten Recht habe! Darum sei in diesem Zusammenhang noch einmal hingewiesen auf den eigentümlichen Zusammenhang zwischen Liebestätigkeit und Staatsleben, den wir schon kennen gelernt haben. Niemals wird sich die Liebe das politische Gebiet verbieten lassen. Sie kann nicht darauf verzichten, auch die Gesetz¬ gebung, das staatliche und wirtschaftliche Leben zu beeinflussen; sie wäre feige geworden und Hütte aufgehört, die mutige, selbstvergeßne Liebe zu sein, wenn sie sich von allem Politischen zurückhielte. Überall, wo wirkliche Kraftbeweisung der helfenden Liebe ist, wirkt sie auch auf dieses Gebiet, und zwar mächtiger als die mächtigste politische Partei, sie wirkt auf den Geist der Parteien. Aber eben damit dieses geschehe, ist hier ganz besondre Achtsamkeit nötig auf die Lauterkeit der Beweggründe. Wo sich — vielleicht ohne daß man sich selbst darüber klar Rechenschaft gibt — die Beweggründe so verschieben, daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/619>, abgerufen am 25.08.2024.