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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Christliche Liebestätigkeit

Roman und Zeitung ins Volk flutende unzüchtige Sinnlichkeit. Hat doch
sogar der Verfasser des Jörn Abt, dessen urwüchsig kraftvollen Zug man gern
als einen Vorboten einer bessern, sittlich gesundem Bewegung in unsrer
Literatur ansehen möchte, nicht bloß die derbe Sinnlichkeit des Volkes zur
Darstellung gebracht, was sein Recht war, sondern es für nötig gefunden, eine
besondre Sorgfalt darauf zu verwenden, fast bei jeder einzelnen Figur des
Romans bis in die feinsten Einzelheiten hinein nachzuweisen, in welcher Weise
eben sie der Sinnlichkeit verfüllt, bis hin zu dem perversen Abenteuer des
Liebespaares in Amerika, das sonst ganz außer Zusammenhang mit seiner
Erzählung und seinem Stoff steht. Wer nun das Buch liest, muß diese Ver¬
fehlung des Verfassers mit in Kauf nehmen, und wer es ohne deutlichen
Vorbehalt empfiehlt, läuft damit Gefahr, zum mindesten jungen Leuten schweren
Schaden zuzufügen. Ich nenne als Beispiel eben dieses weit verbreitete, viele
andre weit überragende Buch, weil eben darin klar wird, bei wie wenigen
diese furchtbaren Gefahren richtig erkannt werden. Da hat die Frauenwelt
mit ihrem unmittelbaren Gefühl für das, was rein und was unrein ist, ihre
große Aufgabe, jede Mutter, jede Schwester, jede Braut, jede Frau. Viel
mehr als öffentliche Agitation wirkt gerade auf diesem Gebiete die einzelne
reine, mutige und barmherzige Persönlichkeit im häuslichen Kreise wie in der
Geselligkeit.

Ich weise ferner auf ein andres Gebiet hin, das sich freilich damit nahe
berührt: die Pflege der Konfirmierten. Wir haben die Zeit gehabt, wo die
Zuchtlosigkeit der heranwachsenden Jugend überHand nahm, weil bei ihrer Er¬
ziehung die Kirche und die staatliche Ordnung ganz ausgeschaltet waren, und
infolgedessen die Eltern und die Lehrmeister in der Erziehung einfach erlahmten
und überhaupt nichts mehr zu sagen wagten. Das ist schon anders geworden.
Die Fortbildungsschule greift schon stark erziehend bei den Heranwachsenden
ein, und auf die festzuordnende kirchliche Pflege der Konfirmierten hat die
letzte Generalsynode kräftig hingewiesen. Es ist da gerade noch ein Stück von
dem Erbe Wieherns zu heben, dessen besondres Schmerzenskind bekanntlich die
Konfirmation war. Endlich noch ein ganz andres. Vor die Füße gelegt hat
Gott uns durch die unaufhaltsame geschichtliche Entwicklung die riesengroßen
Aufgaben der Heidenmission. Es fehlt noch viel, daß das Christenvolk die
Größe und Wichtigkeit dieser Aufgabe annähernd verstanden und ihrer Größe
entsprechend angegriffen hätte. Doch genug mit diesen Hinweisen. Belone
sei nur noch einmal dieser dritte Punkt: Mutig die Augen auf für die neuen
Aufgaben der Gegenwart!

Darum aber viertens: Arbeitsteilung in Gemeinschaft des Geistes. Wolle
nicht alles machen, sondern mache das deine treu! Aber was du nicht
machen kannst, das laß andre machen und freue dich, wenn sie es tun. Und
wenn sie andres Handwerkszeug gebrauchen als du und andre Baupläne, wie
du sie denken wurdest, so sei nicht kleinlich, sondern halte die innere Liebes-


Christliche Liebestätigkeit

Roman und Zeitung ins Volk flutende unzüchtige Sinnlichkeit. Hat doch
sogar der Verfasser des Jörn Abt, dessen urwüchsig kraftvollen Zug man gern
als einen Vorboten einer bessern, sittlich gesundem Bewegung in unsrer
Literatur ansehen möchte, nicht bloß die derbe Sinnlichkeit des Volkes zur
Darstellung gebracht, was sein Recht war, sondern es für nötig gefunden, eine
besondre Sorgfalt darauf zu verwenden, fast bei jeder einzelnen Figur des
Romans bis in die feinsten Einzelheiten hinein nachzuweisen, in welcher Weise
eben sie der Sinnlichkeit verfüllt, bis hin zu dem perversen Abenteuer des
Liebespaares in Amerika, das sonst ganz außer Zusammenhang mit seiner
Erzählung und seinem Stoff steht. Wer nun das Buch liest, muß diese Ver¬
fehlung des Verfassers mit in Kauf nehmen, und wer es ohne deutlichen
Vorbehalt empfiehlt, läuft damit Gefahr, zum mindesten jungen Leuten schweren
Schaden zuzufügen. Ich nenne als Beispiel eben dieses weit verbreitete, viele
andre weit überragende Buch, weil eben darin klar wird, bei wie wenigen
diese furchtbaren Gefahren richtig erkannt werden. Da hat die Frauenwelt
mit ihrem unmittelbaren Gefühl für das, was rein und was unrein ist, ihre
große Aufgabe, jede Mutter, jede Schwester, jede Braut, jede Frau. Viel
mehr als öffentliche Agitation wirkt gerade auf diesem Gebiete die einzelne
reine, mutige und barmherzige Persönlichkeit im häuslichen Kreise wie in der
Geselligkeit.

Ich weise ferner auf ein andres Gebiet hin, das sich freilich damit nahe
berührt: die Pflege der Konfirmierten. Wir haben die Zeit gehabt, wo die
Zuchtlosigkeit der heranwachsenden Jugend überHand nahm, weil bei ihrer Er¬
ziehung die Kirche und die staatliche Ordnung ganz ausgeschaltet waren, und
infolgedessen die Eltern und die Lehrmeister in der Erziehung einfach erlahmten
und überhaupt nichts mehr zu sagen wagten. Das ist schon anders geworden.
Die Fortbildungsschule greift schon stark erziehend bei den Heranwachsenden
ein, und auf die festzuordnende kirchliche Pflege der Konfirmierten hat die
letzte Generalsynode kräftig hingewiesen. Es ist da gerade noch ein Stück von
dem Erbe Wieherns zu heben, dessen besondres Schmerzenskind bekanntlich die
Konfirmation war. Endlich noch ein ganz andres. Vor die Füße gelegt hat
Gott uns durch die unaufhaltsame geschichtliche Entwicklung die riesengroßen
Aufgaben der Heidenmission. Es fehlt noch viel, daß das Christenvolk die
Größe und Wichtigkeit dieser Aufgabe annähernd verstanden und ihrer Größe
entsprechend angegriffen hätte. Doch genug mit diesen Hinweisen. Belone
sei nur noch einmal dieser dritte Punkt: Mutig die Augen auf für die neuen
Aufgaben der Gegenwart!

Darum aber viertens: Arbeitsteilung in Gemeinschaft des Geistes. Wolle
nicht alles machen, sondern mache das deine treu! Aber was du nicht
machen kannst, das laß andre machen und freue dich, wenn sie es tun. Und
wenn sie andres Handwerkszeug gebrauchen als du und andre Baupläne, wie
du sie denken wurdest, so sei nicht kleinlich, sondern halte die innere Liebes-


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[0618] Christliche Liebestätigkeit Roman und Zeitung ins Volk flutende unzüchtige Sinnlichkeit. Hat doch sogar der Verfasser des Jörn Abt, dessen urwüchsig kraftvollen Zug man gern als einen Vorboten einer bessern, sittlich gesundem Bewegung in unsrer Literatur ansehen möchte, nicht bloß die derbe Sinnlichkeit des Volkes zur Darstellung gebracht, was sein Recht war, sondern es für nötig gefunden, eine besondre Sorgfalt darauf zu verwenden, fast bei jeder einzelnen Figur des Romans bis in die feinsten Einzelheiten hinein nachzuweisen, in welcher Weise eben sie der Sinnlichkeit verfüllt, bis hin zu dem perversen Abenteuer des Liebespaares in Amerika, das sonst ganz außer Zusammenhang mit seiner Erzählung und seinem Stoff steht. Wer nun das Buch liest, muß diese Ver¬ fehlung des Verfassers mit in Kauf nehmen, und wer es ohne deutlichen Vorbehalt empfiehlt, läuft damit Gefahr, zum mindesten jungen Leuten schweren Schaden zuzufügen. Ich nenne als Beispiel eben dieses weit verbreitete, viele andre weit überragende Buch, weil eben darin klar wird, bei wie wenigen diese furchtbaren Gefahren richtig erkannt werden. Da hat die Frauenwelt mit ihrem unmittelbaren Gefühl für das, was rein und was unrein ist, ihre große Aufgabe, jede Mutter, jede Schwester, jede Braut, jede Frau. Viel mehr als öffentliche Agitation wirkt gerade auf diesem Gebiete die einzelne reine, mutige und barmherzige Persönlichkeit im häuslichen Kreise wie in der Geselligkeit. Ich weise ferner auf ein andres Gebiet hin, das sich freilich damit nahe berührt: die Pflege der Konfirmierten. Wir haben die Zeit gehabt, wo die Zuchtlosigkeit der heranwachsenden Jugend überHand nahm, weil bei ihrer Er¬ ziehung die Kirche und die staatliche Ordnung ganz ausgeschaltet waren, und infolgedessen die Eltern und die Lehrmeister in der Erziehung einfach erlahmten und überhaupt nichts mehr zu sagen wagten. Das ist schon anders geworden. Die Fortbildungsschule greift schon stark erziehend bei den Heranwachsenden ein, und auf die festzuordnende kirchliche Pflege der Konfirmierten hat die letzte Generalsynode kräftig hingewiesen. Es ist da gerade noch ein Stück von dem Erbe Wieherns zu heben, dessen besondres Schmerzenskind bekanntlich die Konfirmation war. Endlich noch ein ganz andres. Vor die Füße gelegt hat Gott uns durch die unaufhaltsame geschichtliche Entwicklung die riesengroßen Aufgaben der Heidenmission. Es fehlt noch viel, daß das Christenvolk die Größe und Wichtigkeit dieser Aufgabe annähernd verstanden und ihrer Größe entsprechend angegriffen hätte. Doch genug mit diesen Hinweisen. Belone sei nur noch einmal dieser dritte Punkt: Mutig die Augen auf für die neuen Aufgaben der Gegenwart! Darum aber viertens: Arbeitsteilung in Gemeinschaft des Geistes. Wolle nicht alles machen, sondern mache das deine treu! Aber was du nicht machen kannst, das laß andre machen und freue dich, wenn sie es tun. Und wenn sie andres Handwerkszeug gebrauchen als du und andre Baupläne, wie du sie denken wurdest, so sei nicht kleinlich, sondern halte die innere Liebes-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/618>, abgerufen am 23.07.2024.