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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Lin deutsches Raiserschloß in Axulien

zu haben. Vermutlich hat es, uach noch sichtbaren Spuren im Giebelfelde des
Portals zu schließen, einst über zwei andern, vielleicht gleichwie zu Capua, über
den Büsten seiner beiden vertrautesten Rate, Thaddüus von Suessa und Peter
von Vinca, gethront. Wenigstens wurde früher, wie Gregorovius berichtet, eine
Büste des letzten in Castel del Monte gezeigt.

Heute hält man das gewaltige Tor, das der einzige Zugang zu dem wie
verzaubert auf einsamer Hohe liegenden Schlosse ist, verschlossen, um es vor
unberufner Besuchern zu schützen. Da der Bau aber so unmittelbar und so
lebendig auf die Einbildungskraft wirkt, wird fast der Gedanke erweckt, als habe
der Besitzer selbst, ehe er in die Ferne ritt, dem Wächter, der in einer kleinen
Hütte weiter unten haust, die Schlüssel zur Aufbewahrung übergeben. Laut
ächzend weicht das Schloß unter der kundigen Hand, deren langsamen Be¬
wegungen wir mit Ungeduld folgen. Unsicher fällt das Tageslicht in einen
hohen, gewölbten, sich nach innen fächerartig verengenden Raum, der statt eines
Torwegs ganz das Aussehen eines Wohngemachs hat. Dieser Eindruck wird
noch dadurch verstärkt, daß kein größerer, dem Eingangsportal entsprechender
Zugang nach dem Innern vorhanden ist, sondern nur eine kleinere Pforte zur
Rechten in ein zweites Gelaß von denselben Verhältnissen wie das erste führt.
Erst von diesem aus gelangt man durch ein reich verziertes gotisches Marmor¬
tor in den geräumigen Hof, der dadurch, daß sich um ihn im geometrischen
Ebenmaße der Linien des Baues Achteck gruppiert, leicht als der Kernpunkt
der ganzen Anlage zu erkennen ist. Hierin spricht sich zweifellos eine Anlehnung
an orientalische Vorbilder aus. Muß doch dem Beherrscher Siziliens, dem
scharfschauenden Forscher auf dem Gebiete der exakten Wissenschaften, der Grund¬
gedanke der orientalischen Baukunst, den Hof zum Zentrum zu machen und um
ihn nach streng mathematischen Gesetzen die Gebäude zu konstruieren, eindrucks¬
voll schon in früher Jugend an den sicher damals noch bedeutenden Resten aus
der Sarazenenzeit Palermos entgegengetreten sein. Wie aber wurde das der Kunst
des Islams entlehnte Prinzip, das in der einfachen Betonung mathematischer
Formen, in der graziösen Durchbildung der Einzelheiten sein Genüge fand, hier
bei der Anlage von Castel del Monte durch ihre gedankenvolle Gliederung der
einzelnen Teile zu einem organischen Ganzen im abendländischen Sinne umgebildet!
Allerdings ging das Leichte und Luftige, das den orientalischen Bauwerken eigen
ist, dabei verloren. Schon das schwere Steinmaterial, das an die Stelle des
Holzes oder der leicht gebrannten Ziegeln tritt, verleiht der ganzen Hofansicht
etwas Zwingburgenartiges, ein Eindruck, der vielleicht dadurch noch verschärft
wird, daß die Galerie, die einst am obern Stockwerk hinlief, verschwunden ist.
Nur die rote Marmorverkleidung dreier Türen, die einst aus den Gemächern
des Obergeschosses auf diese Galerie hinausgingen, hat sich erhalten. Ganz
antik unter uns an ihnen die zierlichen Säulen der Einfassung, vor allem aber
der sich über diesen wölbende, mit Eierstab und Blattornament geschmückte Rund¬
bogen an. Dagegen tritt der Einfluß der Gotik bei der Gliederung der Hof-


Lin deutsches Raiserschloß in Axulien

zu haben. Vermutlich hat es, uach noch sichtbaren Spuren im Giebelfelde des
Portals zu schließen, einst über zwei andern, vielleicht gleichwie zu Capua, über
den Büsten seiner beiden vertrautesten Rate, Thaddüus von Suessa und Peter
von Vinca, gethront. Wenigstens wurde früher, wie Gregorovius berichtet, eine
Büste des letzten in Castel del Monte gezeigt.

Heute hält man das gewaltige Tor, das der einzige Zugang zu dem wie
verzaubert auf einsamer Hohe liegenden Schlosse ist, verschlossen, um es vor
unberufner Besuchern zu schützen. Da der Bau aber so unmittelbar und so
lebendig auf die Einbildungskraft wirkt, wird fast der Gedanke erweckt, als habe
der Besitzer selbst, ehe er in die Ferne ritt, dem Wächter, der in einer kleinen
Hütte weiter unten haust, die Schlüssel zur Aufbewahrung übergeben. Laut
ächzend weicht das Schloß unter der kundigen Hand, deren langsamen Be¬
wegungen wir mit Ungeduld folgen. Unsicher fällt das Tageslicht in einen
hohen, gewölbten, sich nach innen fächerartig verengenden Raum, der statt eines
Torwegs ganz das Aussehen eines Wohngemachs hat. Dieser Eindruck wird
noch dadurch verstärkt, daß kein größerer, dem Eingangsportal entsprechender
Zugang nach dem Innern vorhanden ist, sondern nur eine kleinere Pforte zur
Rechten in ein zweites Gelaß von denselben Verhältnissen wie das erste führt.
Erst von diesem aus gelangt man durch ein reich verziertes gotisches Marmor¬
tor in den geräumigen Hof, der dadurch, daß sich um ihn im geometrischen
Ebenmaße der Linien des Baues Achteck gruppiert, leicht als der Kernpunkt
der ganzen Anlage zu erkennen ist. Hierin spricht sich zweifellos eine Anlehnung
an orientalische Vorbilder aus. Muß doch dem Beherrscher Siziliens, dem
scharfschauenden Forscher auf dem Gebiete der exakten Wissenschaften, der Grund¬
gedanke der orientalischen Baukunst, den Hof zum Zentrum zu machen und um
ihn nach streng mathematischen Gesetzen die Gebäude zu konstruieren, eindrucks¬
voll schon in früher Jugend an den sicher damals noch bedeutenden Resten aus
der Sarazenenzeit Palermos entgegengetreten sein. Wie aber wurde das der Kunst
des Islams entlehnte Prinzip, das in der einfachen Betonung mathematischer
Formen, in der graziösen Durchbildung der Einzelheiten sein Genüge fand, hier
bei der Anlage von Castel del Monte durch ihre gedankenvolle Gliederung der
einzelnen Teile zu einem organischen Ganzen im abendländischen Sinne umgebildet!
Allerdings ging das Leichte und Luftige, das den orientalischen Bauwerken eigen
ist, dabei verloren. Schon das schwere Steinmaterial, das an die Stelle des
Holzes oder der leicht gebrannten Ziegeln tritt, verleiht der ganzen Hofansicht
etwas Zwingburgenartiges, ein Eindruck, der vielleicht dadurch noch verschärft
wird, daß die Galerie, die einst am obern Stockwerk hinlief, verschwunden ist.
Nur die rote Marmorverkleidung dreier Türen, die einst aus den Gemächern
des Obergeschosses auf diese Galerie hinausgingen, hat sich erhalten. Ganz
antik unter uns an ihnen die zierlichen Säulen der Einfassung, vor allem aber
der sich über diesen wölbende, mit Eierstab und Blattornament geschmückte Rund¬
bogen an. Dagegen tritt der Einfluß der Gotik bei der Gliederung der Hof-


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[0578] Lin deutsches Raiserschloß in Axulien zu haben. Vermutlich hat es, uach noch sichtbaren Spuren im Giebelfelde des Portals zu schließen, einst über zwei andern, vielleicht gleichwie zu Capua, über den Büsten seiner beiden vertrautesten Rate, Thaddüus von Suessa und Peter von Vinca, gethront. Wenigstens wurde früher, wie Gregorovius berichtet, eine Büste des letzten in Castel del Monte gezeigt. Heute hält man das gewaltige Tor, das der einzige Zugang zu dem wie verzaubert auf einsamer Hohe liegenden Schlosse ist, verschlossen, um es vor unberufner Besuchern zu schützen. Da der Bau aber so unmittelbar und so lebendig auf die Einbildungskraft wirkt, wird fast der Gedanke erweckt, als habe der Besitzer selbst, ehe er in die Ferne ritt, dem Wächter, der in einer kleinen Hütte weiter unten haust, die Schlüssel zur Aufbewahrung übergeben. Laut ächzend weicht das Schloß unter der kundigen Hand, deren langsamen Be¬ wegungen wir mit Ungeduld folgen. Unsicher fällt das Tageslicht in einen hohen, gewölbten, sich nach innen fächerartig verengenden Raum, der statt eines Torwegs ganz das Aussehen eines Wohngemachs hat. Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, daß kein größerer, dem Eingangsportal entsprechender Zugang nach dem Innern vorhanden ist, sondern nur eine kleinere Pforte zur Rechten in ein zweites Gelaß von denselben Verhältnissen wie das erste führt. Erst von diesem aus gelangt man durch ein reich verziertes gotisches Marmor¬ tor in den geräumigen Hof, der dadurch, daß sich um ihn im geometrischen Ebenmaße der Linien des Baues Achteck gruppiert, leicht als der Kernpunkt der ganzen Anlage zu erkennen ist. Hierin spricht sich zweifellos eine Anlehnung an orientalische Vorbilder aus. Muß doch dem Beherrscher Siziliens, dem scharfschauenden Forscher auf dem Gebiete der exakten Wissenschaften, der Grund¬ gedanke der orientalischen Baukunst, den Hof zum Zentrum zu machen und um ihn nach streng mathematischen Gesetzen die Gebäude zu konstruieren, eindrucks¬ voll schon in früher Jugend an den sicher damals noch bedeutenden Resten aus der Sarazenenzeit Palermos entgegengetreten sein. Wie aber wurde das der Kunst des Islams entlehnte Prinzip, das in der einfachen Betonung mathematischer Formen, in der graziösen Durchbildung der Einzelheiten sein Genüge fand, hier bei der Anlage von Castel del Monte durch ihre gedankenvolle Gliederung der einzelnen Teile zu einem organischen Ganzen im abendländischen Sinne umgebildet! Allerdings ging das Leichte und Luftige, das den orientalischen Bauwerken eigen ist, dabei verloren. Schon das schwere Steinmaterial, das an die Stelle des Holzes oder der leicht gebrannten Ziegeln tritt, verleiht der ganzen Hofansicht etwas Zwingburgenartiges, ein Eindruck, der vielleicht dadurch noch verschärft wird, daß die Galerie, die einst am obern Stockwerk hinlief, verschwunden ist. Nur die rote Marmorverkleidung dreier Türen, die einst aus den Gemächern des Obergeschosses auf diese Galerie hinausgingen, hat sich erhalten. Ganz antik unter uns an ihnen die zierlichen Säulen der Einfassung, vor allem aber der sich über diesen wölbende, mit Eierstab und Blattornament geschmückte Rund¬ bogen an. Dagegen tritt der Einfluß der Gotik bei der Gliederung der Hof-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/578>, abgerufen am 23.07.2024.