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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Luftreisen

kommen sollten. Denn viele Meilen weit ist keine Ansiedlung, kein Weg zu
erblicken. Wir würden günstigenfalls viele Stunden brauchen, um uns zu
Menschen durchzuarbeiten, auf deren Hilfe wir ja für die Verpackung und
Beförderung der Ballonhülle und des Korbes mit einem Gesamtgewicht von
etwa 250 Kilo angewiesen sind. Dann konnten Tage vergehn, bis wir mit
unsrer Last die nächste Bahnstation erreichten.

Doch unsre Sorge ist unnötig. Der Wind treibt uns flott über die
riesige Flüche hinweg. Zu unsrer Linken ziehn sich die flachen Ausläufer des
Wieheugebirges hin, fern im Süden von den Höhen des Teutoburger Waldes
überragt. Nunmehr zeigen sich unter uns auch wieder Pfade, die durch Heide
und Wiesen führen, Felder mit üppig grünender Wintersaat, eine baumbesetzte
Landstraße und schmucke Gehöfte, deren Häuser schon an niederländische Bauart
erinnern. Die Grenze kann nicht allzuweit mehr entfernt sein, jenseit von
ihr zu landen, ist deutschen Offizieren untersagt. Dazu drohen weiter westlich
die Sumpflaudschaften des in die Niederlande hinein sich erstreckenden Bourtanger
Moors, das das glücklich überflogne Moor von Borden um mehr als das
Zehnfache an Größe übertrifft (1400 Quadratkilometer). Unser Ballon zeigt
noch immer volle Kugelform, auch an Ballast haben wir keinen Mangel, sodaß
wir gut noch eine Fahrt bei Tage anschließen und uns weit nach Holland
hineinwagen könnten, aber für unsern Hauptmann verbietet dies der Gehorsam
des Soldaten. Auf alle Fülle müssen wir noch bis in die Nähe einer Bahn¬
linie gelangen, und wirklich liegt uach einigen Minuten eine solche vor uns, es
ist die erste wieder, seit wir die Linie Bremen-Köln hinter uns gelassen haben.
Vorher müssen wir noch über zwei Flüßchen hinweg, Parallclläufe der Hase,
die Hohe und die Tiefe Hase. Jetzt sind wir nur uoch wenig Kilometer von
einer kleinen Bahnstntion entfernt. Erneuter Zug am Ventil, der Korb stößt
ganz leicht auf, hebt sich aber sofort wieder, und nun gelingt es uns, ab¬
wechselnd durch Ballastanswcrfen und Ventilziehen knapp über dem Felde hin¬
schwebend bis zu einer weichen ländlichen Straße vorzudringen, sodaß wir größern
Flurschaden vermeiden. Der Ballon wird aufgerissen, und wie berechnet, sinkt
die Hülle, vom Winde lang ausgestreckt, auf dem Wege nieder. Die Uhr zeigt
5 Uhr 50 Minuten. Genan nach zehn Stunden, in denen wir 320 Kilometer
Luftlinie, an Fahrtlinie infolge des wiederholten Richtungwcchsels viel mehr
zurückgelegt haben, sind wir "sehr glatt" gelandet in unmittelbarer Nähe eines
Meierhofes. Noch scheint dort alles zu schlafen, doch währt es nicht lange,
so finden sich hilfbereite Männer und Burschen in genügender Anzahl ein.
Der freundliche Ort mit seinen ebenso freundlichen Bewohnern heißt Riefte,
Kreis Bersenbrück, Regierungsbezirk Osnabrück, Provinz Hannover. Hier also
endete meine Führerfahrt.




Grenzboten III 1906c;
Luftreisen

kommen sollten. Denn viele Meilen weit ist keine Ansiedlung, kein Weg zu
erblicken. Wir würden günstigenfalls viele Stunden brauchen, um uns zu
Menschen durchzuarbeiten, auf deren Hilfe wir ja für die Verpackung und
Beförderung der Ballonhülle und des Korbes mit einem Gesamtgewicht von
etwa 250 Kilo angewiesen sind. Dann konnten Tage vergehn, bis wir mit
unsrer Last die nächste Bahnstation erreichten.

Doch unsre Sorge ist unnötig. Der Wind treibt uns flott über die
riesige Flüche hinweg. Zu unsrer Linken ziehn sich die flachen Ausläufer des
Wieheugebirges hin, fern im Süden von den Höhen des Teutoburger Waldes
überragt. Nunmehr zeigen sich unter uns auch wieder Pfade, die durch Heide
und Wiesen führen, Felder mit üppig grünender Wintersaat, eine baumbesetzte
Landstraße und schmucke Gehöfte, deren Häuser schon an niederländische Bauart
erinnern. Die Grenze kann nicht allzuweit mehr entfernt sein, jenseit von
ihr zu landen, ist deutschen Offizieren untersagt. Dazu drohen weiter westlich
die Sumpflaudschaften des in die Niederlande hinein sich erstreckenden Bourtanger
Moors, das das glücklich überflogne Moor von Borden um mehr als das
Zehnfache an Größe übertrifft (1400 Quadratkilometer). Unser Ballon zeigt
noch immer volle Kugelform, auch an Ballast haben wir keinen Mangel, sodaß
wir gut noch eine Fahrt bei Tage anschließen und uns weit nach Holland
hineinwagen könnten, aber für unsern Hauptmann verbietet dies der Gehorsam
des Soldaten. Auf alle Fülle müssen wir noch bis in die Nähe einer Bahn¬
linie gelangen, und wirklich liegt uach einigen Minuten eine solche vor uns, es
ist die erste wieder, seit wir die Linie Bremen-Köln hinter uns gelassen haben.
Vorher müssen wir noch über zwei Flüßchen hinweg, Parallclläufe der Hase,
die Hohe und die Tiefe Hase. Jetzt sind wir nur uoch wenig Kilometer von
einer kleinen Bahnstntion entfernt. Erneuter Zug am Ventil, der Korb stößt
ganz leicht auf, hebt sich aber sofort wieder, und nun gelingt es uns, ab¬
wechselnd durch Ballastanswcrfen und Ventilziehen knapp über dem Felde hin¬
schwebend bis zu einer weichen ländlichen Straße vorzudringen, sodaß wir größern
Flurschaden vermeiden. Der Ballon wird aufgerissen, und wie berechnet, sinkt
die Hülle, vom Winde lang ausgestreckt, auf dem Wege nieder. Die Uhr zeigt
5 Uhr 50 Minuten. Genan nach zehn Stunden, in denen wir 320 Kilometer
Luftlinie, an Fahrtlinie infolge des wiederholten Richtungwcchsels viel mehr
zurückgelegt haben, sind wir „sehr glatt" gelandet in unmittelbarer Nähe eines
Meierhofes. Noch scheint dort alles zu schlafen, doch währt es nicht lange,
so finden sich hilfbereite Männer und Burschen in genügender Anzahl ein.
Der freundliche Ort mit seinen ebenso freundlichen Bewohnern heißt Riefte,
Kreis Bersenbrück, Regierungsbezirk Osnabrück, Provinz Hannover. Hier also
endete meine Führerfahrt.




Grenzboten III 1906c;
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/49>, abgerufen am 23.07.2024.