Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.Luftreisen Anfang des neunzehnten Jahrhunderts in der Frühe eines Dezembermorgeus Endlich bietet sich uns die lange erwünschte Gelegenheit, einen Ballonort Der Mond, dessen letztes Viertel wir wenigstens für die frühen Morgen¬ Und auf der Erde feuchtem Grund gelegen Arbeitet schwer die Nacht der Dämmerung entgegen, Indessen dort, in blauer Luft gezogen, Die Fäden leicht, unhörvar fließen, Und hin und wieder mit gestählten Bogen Die lustgen Sterne goldne Pfeile schießen. Luftreisen Anfang des neunzehnten Jahrhunderts in der Frühe eines Dezembermorgeus Endlich bietet sich uns die lange erwünschte Gelegenheit, einen Ballonort Der Mond, dessen letztes Viertel wir wenigstens für die frühen Morgen¬ Und auf der Erde feuchtem Grund gelegen Arbeitet schwer die Nacht der Dämmerung entgegen, Indessen dort, in blauer Luft gezogen, Die Fäden leicht, unhörvar fließen, Und hin und wieder mit gestählten Bogen Die lustgen Sterne goldne Pfeile schießen. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0047" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/299834"/> <fw type="header" place="top"> Luftreisen</fw><lb/> <p xml:id="ID_99" prev="#ID_98"> Anfang des neunzehnten Jahrhunderts in der Frühe eines Dezembermorgeus<lb/> bei großer Dunkelheit und regnerischem Wetter über einem ausgegrabnen<lb/> Moorgrunde bei Bremen zahlreiche, aber winzige und lichtschwache, etwas<lb/> bläuliche Flümmchen. Die Naturwissenschaft, die lange Zeit überhaupt nichts<lb/> von ihnen wissen wollte, ist sich jetzt wohl darüber einig, ein Sumpfgas darin<lb/> zu sehen, das mit etwas Phosphvrwasserstoff vermengt ist und sich deshalb an<lb/> der Luft leicht entzündet. Einem italienischen Gelehrten Philopanti gelang<lb/> es sogar, ein an einem Stock befestigtes Stückchen Werg daran zu entzünden!<lb/> Die Möglichkeit eines Hüpfers wird jedoch geleugnet, dieser Eindruck werde<lb/> vielmehr dadurch hervorgerufen, daß in demselben Augenblick, wo ein Irrlicht<lb/> erlischt, was schon durch den leisesten Luftdruck geschehn? kann, ein andres in<lb/> einiger Entfernung wieder aufleuchtet. Wiederholtes Verlöschen bemerken auch<lb/> wir, möglich also, daß sich auch die von uns wahrgenommene Bewegung ans<lb/> die angegebne Weise erklärt. Winzig waren unsre Irrlichter jedenfalls nicht, sonst<lb/> Hütten wir sie aus einer Höhe von 75 bis 100 Metern über dem Erdboden<lb/> nicht zu erkennen vermocht, auch bläulich sahen sie nicht aus, eher etwas<lb/> gelbrötlich. Ähnliche Täuschungen durch Irrlichter, wie wir sie anfangs er¬<lb/> führen, sind nicht selten. So glaubte während der Manöver im August 1901<lb/> in der Gegend von Kellinghusen in Holstein ein Vorposten des 85. Infanterie¬<lb/> regiments eine feindliche Annäherung zu beobachten. Mannschaften, die infolge<lb/> seiner Meldung Nachts zwei Uhr geweckt wurden, stellten dann den Irrtum fest.</p><lb/> <p xml:id="ID_100"> Endlich bietet sich uns die lange erwünschte Gelegenheit, einen Ballonort<lb/> fest zu bestimmen. 3 Uhr 50 Minuten schneiden wir auf unserm Fluge schräg<lb/> halblinks eine Bahnlinie gerade in dem Augenblick, als ein Zug mit hell<lb/> erleuchteten Wagen von Osten nach Westen auf ihr entlaugbraust. Jetzt muß<lb/> das Kursbuch Auskunft geben können. Wir brauchen nicht lange zu suchen.<lb/> Der einzige für uns in Betracht kommende Zug ist der früh 3 Uhr 48 Minuten<lb/> von Oeynhausen-Nord abgehende Zug der Linie Hannover-Köln. Wir sind<lb/> also, nachdem der Wind uns, wohl unter dem Einflüsse des nach Norden zu<lb/> vorgelagerten Harzes, bis in die Gegend von Göttingen im wesentlichen west¬<lb/> wärts getrieben hatte, dann nach Nordwesten abgebogen; und die Stelle, wo<lb/> wir die Irrlichter sahen, wäre demnach südöstlich von Oeynhausen zu suchen.</p><lb/> <p xml:id="ID_101"> Der Mond, dessen letztes Viertel wir wenigstens für die frühen Morgen¬<lb/> stunden erwartet hatten, läßt sich überhaupt nicht sehen. Den ganzen Horizont<lb/> umsäumt nach allen Seiten eine hohe, starre Wolkenmasse, doch wird der<lb/> Himmel darüber nach Westen zu freier und Heller.</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_3" type="poem"> <l> Und auf der Erde feuchtem Grund gelegen<lb/> Arbeitet schwer die Nacht der Dämmerung entgegen,<lb/> Indessen dort, in blauer Luft gezogen,<lb/> Die Fäden leicht, unhörvar fließen,<lb/> Und hin und wieder mit gestählten Bogen<lb/> Die lustgen Sterne goldne Pfeile schießen.<lb/></l> </lg><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
Luftreisen
Anfang des neunzehnten Jahrhunderts in der Frühe eines Dezembermorgeus
bei großer Dunkelheit und regnerischem Wetter über einem ausgegrabnen
Moorgrunde bei Bremen zahlreiche, aber winzige und lichtschwache, etwas
bläuliche Flümmchen. Die Naturwissenschaft, die lange Zeit überhaupt nichts
von ihnen wissen wollte, ist sich jetzt wohl darüber einig, ein Sumpfgas darin
zu sehen, das mit etwas Phosphvrwasserstoff vermengt ist und sich deshalb an
der Luft leicht entzündet. Einem italienischen Gelehrten Philopanti gelang
es sogar, ein an einem Stock befestigtes Stückchen Werg daran zu entzünden!
Die Möglichkeit eines Hüpfers wird jedoch geleugnet, dieser Eindruck werde
vielmehr dadurch hervorgerufen, daß in demselben Augenblick, wo ein Irrlicht
erlischt, was schon durch den leisesten Luftdruck geschehn? kann, ein andres in
einiger Entfernung wieder aufleuchtet. Wiederholtes Verlöschen bemerken auch
wir, möglich also, daß sich auch die von uns wahrgenommene Bewegung ans
die angegebne Weise erklärt. Winzig waren unsre Irrlichter jedenfalls nicht, sonst
Hütten wir sie aus einer Höhe von 75 bis 100 Metern über dem Erdboden
nicht zu erkennen vermocht, auch bläulich sahen sie nicht aus, eher etwas
gelbrötlich. Ähnliche Täuschungen durch Irrlichter, wie wir sie anfangs er¬
führen, sind nicht selten. So glaubte während der Manöver im August 1901
in der Gegend von Kellinghusen in Holstein ein Vorposten des 85. Infanterie¬
regiments eine feindliche Annäherung zu beobachten. Mannschaften, die infolge
seiner Meldung Nachts zwei Uhr geweckt wurden, stellten dann den Irrtum fest.
Endlich bietet sich uns die lange erwünschte Gelegenheit, einen Ballonort
fest zu bestimmen. 3 Uhr 50 Minuten schneiden wir auf unserm Fluge schräg
halblinks eine Bahnlinie gerade in dem Augenblick, als ein Zug mit hell
erleuchteten Wagen von Osten nach Westen auf ihr entlaugbraust. Jetzt muß
das Kursbuch Auskunft geben können. Wir brauchen nicht lange zu suchen.
Der einzige für uns in Betracht kommende Zug ist der früh 3 Uhr 48 Minuten
von Oeynhausen-Nord abgehende Zug der Linie Hannover-Köln. Wir sind
also, nachdem der Wind uns, wohl unter dem Einflüsse des nach Norden zu
vorgelagerten Harzes, bis in die Gegend von Göttingen im wesentlichen west¬
wärts getrieben hatte, dann nach Nordwesten abgebogen; und die Stelle, wo
wir die Irrlichter sahen, wäre demnach südöstlich von Oeynhausen zu suchen.
Der Mond, dessen letztes Viertel wir wenigstens für die frühen Morgen¬
stunden erwartet hatten, läßt sich überhaupt nicht sehen. Den ganzen Horizont
umsäumt nach allen Seiten eine hohe, starre Wolkenmasse, doch wird der
Himmel darüber nach Westen zu freier und Heller.
Und auf der Erde feuchtem Grund gelegen
Arbeitet schwer die Nacht der Dämmerung entgegen,
Indessen dort, in blauer Luft gezogen,
Die Fäden leicht, unhörvar fließen,
Und hin und wieder mit gestählten Bogen
Die lustgen Sterne goldne Pfeile schießen.
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