Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.Die magyarische Unabhängigkeitsbewegung und der österreichische Reichsgedanke Worden sei, und so dauerte es denn auch nicht lange, daß auch bei der Armee, Das lag durchaus nicht im Interesse der Pflege des Reichsgedankens, Die magyarische Unabhängigkeitsbewegung und der österreichische Reichsgedanke Worden sei, und so dauerte es denn auch nicht lange, daß auch bei der Armee, Das lag durchaus nicht im Interesse der Pflege des Reichsgedankens, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0449" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300236"/> <fw type="header" place="top"> Die magyarische Unabhängigkeitsbewegung und der österreichische Reichsgedanke</fw><lb/> <p xml:id="ID_1706" prev="#ID_1705"> Worden sei, und so dauerte es denn auch nicht lange, daß auch bei der Armee,<lb/> bei den Hofchargen und bei sämtlichen gemeinsamen Beamten diese Titel¬<lb/> änderung vollzogen wurde, die an die Stelle Österreich-Ungarns ein „Öster¬<lb/> reich und Ungarn" setzte. Der wichtigste Fortschritt erfolgte aber durch die<lb/> Art und Weise, wie die Landwehr in beiden Reichshälsten organisiert wurde.<lb/> Im Oktober 1870 hatte der damalige Führer der Opposition im ungarischen<lb/> Reichstage, Koloman Tisza, die Errichtung einer eignen ungarischen Armee<lb/> beantragt. Ein solcher Plan stand im Widerspruche mit der erst vor drei<lb/> Jahren feierlich beschworner Verfassung, der Antrag Tiszas wurde jedoch von<lb/> der Regierungspartei nur sehr matt bekämpft und erst abgelehnt, nachdem sich<lb/> der damalige ungarische Ministerpräsident Graf Andrassy dafür verbürgt hatte,<lb/> daß die Ausgestaltung der Organisation der Landwehr den Wünschen der<lb/> Nation vollkommen entsprechen werde. Und das geschah auch. Nach dem<lb/> Ausglcichsgesetze gehörten von militärischen Dingen nur die Feststellung des<lb/> Wehrsystems, die Rekrutenbewilligung, die Dislokation und die Verpflegung<lb/> in den Wirkungskreis der Gesetzgebungen der beiden Neichshülften. Gegen<lb/> den Rat des Erzherzogs Albrecht wurde nun dieser Wirkungskreis dadurch<lb/> erweitert, daß bei der Organisation der Landwehr diese von vornherein in<lb/> eine österreichische und eine ungarische geschieden, ihre Verwaltung den beiden<lb/> Landesverteidigungsministern unterstellt und die direkte Rekrutenaushebung zur<lb/> Landwehr zugelassen wurde, ausschließlich mit Rücksicht auf die Magyaren,<lb/> die wenigstens in ihrer Landwehr eine eigne nationale Armee besitzen wollten,<lb/> die nicht dem gemeinsamen Monarchen, sondern nur dem Könige von Ungarn<lb/> den Eid der Treue schwur. Damit war der Keim zur Zertrümmerung der<lb/> gemeinsamen Armee schon gelegt; hatte doch die ungarische Landwehr (Honved)<lb/> von Anfang an magyarisches Kommando und wurde in streng national magya¬<lb/> rischem Geiste gedrillt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1707" next="#ID_1708"> Das lag durchaus nicht im Interesse der Pflege des Reichsgedankens,<lb/> der übrigens bald auch unmittelbar angegriffen wurde. Schon bei dem<lb/> Wechsel in der Leitung des Neichsfinanzministeriums im Jahre 1886 wurde<lb/> Freiherr von Kallay nicht mehr zum „Neichsfinanzminister", sondern nur zum<lb/> gemeinsamen Finanzminister ernannt. Das war durchaus entgegen der Ver¬<lb/> fassung von 1867, die den Begriff des „Reichs" sehr wohl kannte und zur<lb/> Besorgung seiner Angelegenheiten ein aus den drei Reichsministern bestehendes<lb/> gemeinsames Ministerium eingesetzt hatte. — Noch wagte man allerdings<lb/> '"ehe, die Institution des gemeinsamen Ministeriums selbst sowie den Neichs-<lb/> charcckter des Kriegsministeriums und den des Ministers des Auswärtigen<lb/> als diplomatischen Repräsentanten des Gesamtstaats anzugreifen, aber eine<lb/> Bresche schlug man wenigstens auch hier. Nach dem Paragraphen 3 des<lb/> ungarischen Ausgleichsgesetzes war die Leitung der auswärtigen Angelegen¬<lb/> heiten ausschließlich Sache des Ministers des Äußern, der sich darüber mit<lb/> den beiden Regierungen im Einverständnis zu halten hatte und allein zur</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0449]
Die magyarische Unabhängigkeitsbewegung und der österreichische Reichsgedanke
Worden sei, und so dauerte es denn auch nicht lange, daß auch bei der Armee,
bei den Hofchargen und bei sämtlichen gemeinsamen Beamten diese Titel¬
änderung vollzogen wurde, die an die Stelle Österreich-Ungarns ein „Öster¬
reich und Ungarn" setzte. Der wichtigste Fortschritt erfolgte aber durch die
Art und Weise, wie die Landwehr in beiden Reichshälsten organisiert wurde.
Im Oktober 1870 hatte der damalige Führer der Opposition im ungarischen
Reichstage, Koloman Tisza, die Errichtung einer eignen ungarischen Armee
beantragt. Ein solcher Plan stand im Widerspruche mit der erst vor drei
Jahren feierlich beschworner Verfassung, der Antrag Tiszas wurde jedoch von
der Regierungspartei nur sehr matt bekämpft und erst abgelehnt, nachdem sich
der damalige ungarische Ministerpräsident Graf Andrassy dafür verbürgt hatte,
daß die Ausgestaltung der Organisation der Landwehr den Wünschen der
Nation vollkommen entsprechen werde. Und das geschah auch. Nach dem
Ausglcichsgesetze gehörten von militärischen Dingen nur die Feststellung des
Wehrsystems, die Rekrutenbewilligung, die Dislokation und die Verpflegung
in den Wirkungskreis der Gesetzgebungen der beiden Neichshülften. Gegen
den Rat des Erzherzogs Albrecht wurde nun dieser Wirkungskreis dadurch
erweitert, daß bei der Organisation der Landwehr diese von vornherein in
eine österreichische und eine ungarische geschieden, ihre Verwaltung den beiden
Landesverteidigungsministern unterstellt und die direkte Rekrutenaushebung zur
Landwehr zugelassen wurde, ausschließlich mit Rücksicht auf die Magyaren,
die wenigstens in ihrer Landwehr eine eigne nationale Armee besitzen wollten,
die nicht dem gemeinsamen Monarchen, sondern nur dem Könige von Ungarn
den Eid der Treue schwur. Damit war der Keim zur Zertrümmerung der
gemeinsamen Armee schon gelegt; hatte doch die ungarische Landwehr (Honved)
von Anfang an magyarisches Kommando und wurde in streng national magya¬
rischem Geiste gedrillt.
Das lag durchaus nicht im Interesse der Pflege des Reichsgedankens,
der übrigens bald auch unmittelbar angegriffen wurde. Schon bei dem
Wechsel in der Leitung des Neichsfinanzministeriums im Jahre 1886 wurde
Freiherr von Kallay nicht mehr zum „Neichsfinanzminister", sondern nur zum
gemeinsamen Finanzminister ernannt. Das war durchaus entgegen der Ver¬
fassung von 1867, die den Begriff des „Reichs" sehr wohl kannte und zur
Besorgung seiner Angelegenheiten ein aus den drei Reichsministern bestehendes
gemeinsames Ministerium eingesetzt hatte. — Noch wagte man allerdings
'"ehe, die Institution des gemeinsamen Ministeriums selbst sowie den Neichs-
charcckter des Kriegsministeriums und den des Ministers des Auswärtigen
als diplomatischen Repräsentanten des Gesamtstaats anzugreifen, aber eine
Bresche schlug man wenigstens auch hier. Nach dem Paragraphen 3 des
ungarischen Ausgleichsgesetzes war die Leitung der auswärtigen Angelegen¬
heiten ausschließlich Sache des Ministers des Äußern, der sich darüber mit
den beiden Regierungen im Einverständnis zu halten hatte und allein zur
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