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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Llizabeth Percy

gut wie allein. Die alte Gräfin, die satt und müde war und ein wenig schläfrig
nach dem schweren, gewürzten Abendtrunk, saß da und zwinkerte mit ihren kurz¬
sichtigen Augen; der Kaplan, der hochehrwürdige Herr Samuel Littlejohn, der hier
auf der Reise während der ganzen Mahlzeit zugegen sein durfte -- statt wie sonst
nur bei ein Paar Gerichten --, aß und trank für sieben; Sir Thomas hatte schon
viel zu viel, und Lady Sophia war, in bezug auf die Weinlaune, nicht weit davon
entfernt, ihre Rolle als Kavalier zu naturgetreu zu spielen. Es kam ihr nicht in
den Sinn, die heute Abend so stille Lady Elizabeth zu beachten -- nicht einmal
Harry Percy schenkte sie Aufmerksamkeit, dem gegenüber sie doch sonst, wenn sie
sich auch den Anschein gab, auf ihn hinabzusehen, nicht ganz gefühllos war.

Der Wirt, ein dicker, rotwangiger Yorkshiremann mit roollner Zipfelmütze und
einer großen Narbe über der Nase, die von einem Säbelhieb herrührte, den er
vor fast vierzig Jahren bei Marston Moor von einem von Cromwells Reitern er¬
halten hatte, öffnete die Tür von der Küche her. Er verneigte sich vor den Herr¬
schaften, winkte jemand zu -- man sah viele Köpfe da draußen und ganz im
Hintergrunde das Feuer, das auf dem Herde brannte. Dann schloß er die Tür
hinter sich und trat in das Zimmer, einen alten Mann an der Hand führend, der
eine Laute trug, und der blind zu sein schien. Harry Percy sah Lady Elizabeth
nach der Tür Hinsehen und wandte selbst den Kopf; zwischen den Dienern, die die
großen Schüsseln auf deu Schultern trugen, und an dem Tisch vorüber, wo die
aufwartenden Damen erst jetzt ihre Mahlzeit begannen, tastete sich der Blinde an
der Hand des Wirtes vorwärts. Er trug braune Kleider und einen breiten, herab¬
fallenden, altmodischen leinenen Kragen, der mit einer weißen Schnur um den Hals
gebunden war. Den Hut hielt er demütig in der Hand, und das dünne, weiße
Haar siel zu beiden Seiten des Gesichts tief über die gebeugten Schultern hinab.

Das ist Cecil mit der Laute aus Leeds, sagte der Wirt ehrerbietig erklärend
zu den beiden Damen auf dem Ehrensitz. Er ist ein alter Invalide, und ich habe
ihn im Felde getroffen, als er unter Mylord Essex stand, während ich unter Prinz
Rupert stand. Aber nun hat ihn der Herr erleuchtet, welch einer großen Sünde
und Verirrung er sich schuldig gemacht hat, indem er die Hand gegen den seligen
König Karl erhob.

Komm näher, sagte die alte Gräfin sanft -- gegen Leute, die keine Präten-
twnen machten, war sie ja immer gut. Die Hände über dem Tisch gefaltet, beugte
sie sich vor und betrachtete voller Interesse ihre beiden Altersgenossen. Mein
seliger Herr und Gemahl, der Jarl von Northumberland, ergriff auch die Waffen
gegen König Karl, und er bereute es ebenfalls -- so wie du, mein guter Mann.

Ja, sagte der Blinde mit kräftiger, lebhafter Stimme -- ich entsinne mich
Lord Northumberlands noch sehr wohl. Das war, ehe die verfluchten Jrländer
wir die Augen ausschossen. Mehr als einmal habe ich ihn in Mylord Essex Zelt
aus und ein gehn sehen . . .

Ja, das waren schwere Zeiten! seufzte die alte Dame plötzlich, indem sie diese
beiden betrachtete, die zu ihrer eignen Zeit gehörten, überwältigt von gemeinsamen
Erinnerungen.

^ Und Mylady, die ich jetzt höre, aber nicht sehen kann, habe ich auch gesehen,
>°gte der alte Cecil, redselig und aufgeräumt durch die Aufmerksamkeit, die ihm
Zuken wurde. Das war damals, als ich vor Carisbrook Wache stand. Da kam
sie geritten, an dem Tage, als -- nein, an dem Tage, bevor Prinzeß Eliza¬
beth starb.

Ja, das stimmt ... Ach ja! das kleine unschuldige Lamm, der Herr nahm
sie zu sich.


Llizabeth Percy

gut wie allein. Die alte Gräfin, die satt und müde war und ein wenig schläfrig
nach dem schweren, gewürzten Abendtrunk, saß da und zwinkerte mit ihren kurz¬
sichtigen Augen; der Kaplan, der hochehrwürdige Herr Samuel Littlejohn, der hier
auf der Reise während der ganzen Mahlzeit zugegen sein durfte — statt wie sonst
nur bei ein Paar Gerichten —, aß und trank für sieben; Sir Thomas hatte schon
viel zu viel, und Lady Sophia war, in bezug auf die Weinlaune, nicht weit davon
entfernt, ihre Rolle als Kavalier zu naturgetreu zu spielen. Es kam ihr nicht in
den Sinn, die heute Abend so stille Lady Elizabeth zu beachten — nicht einmal
Harry Percy schenkte sie Aufmerksamkeit, dem gegenüber sie doch sonst, wenn sie
sich auch den Anschein gab, auf ihn hinabzusehen, nicht ganz gefühllos war.

Der Wirt, ein dicker, rotwangiger Yorkshiremann mit roollner Zipfelmütze und
einer großen Narbe über der Nase, die von einem Säbelhieb herrührte, den er
vor fast vierzig Jahren bei Marston Moor von einem von Cromwells Reitern er¬
halten hatte, öffnete die Tür von der Küche her. Er verneigte sich vor den Herr¬
schaften, winkte jemand zu — man sah viele Köpfe da draußen und ganz im
Hintergrunde das Feuer, das auf dem Herde brannte. Dann schloß er die Tür
hinter sich und trat in das Zimmer, einen alten Mann an der Hand führend, der
eine Laute trug, und der blind zu sein schien. Harry Percy sah Lady Elizabeth
nach der Tür Hinsehen und wandte selbst den Kopf; zwischen den Dienern, die die
großen Schüsseln auf deu Schultern trugen, und an dem Tisch vorüber, wo die
aufwartenden Damen erst jetzt ihre Mahlzeit begannen, tastete sich der Blinde an
der Hand des Wirtes vorwärts. Er trug braune Kleider und einen breiten, herab¬
fallenden, altmodischen leinenen Kragen, der mit einer weißen Schnur um den Hals
gebunden war. Den Hut hielt er demütig in der Hand, und das dünne, weiße
Haar siel zu beiden Seiten des Gesichts tief über die gebeugten Schultern hinab.

Das ist Cecil mit der Laute aus Leeds, sagte der Wirt ehrerbietig erklärend
zu den beiden Damen auf dem Ehrensitz. Er ist ein alter Invalide, und ich habe
ihn im Felde getroffen, als er unter Mylord Essex stand, während ich unter Prinz
Rupert stand. Aber nun hat ihn der Herr erleuchtet, welch einer großen Sünde
und Verirrung er sich schuldig gemacht hat, indem er die Hand gegen den seligen
König Karl erhob.

Komm näher, sagte die alte Gräfin sanft — gegen Leute, die keine Präten-
twnen machten, war sie ja immer gut. Die Hände über dem Tisch gefaltet, beugte
sie sich vor und betrachtete voller Interesse ihre beiden Altersgenossen. Mein
seliger Herr und Gemahl, der Jarl von Northumberland, ergriff auch die Waffen
gegen König Karl, und er bereute es ebenfalls — so wie du, mein guter Mann.

Ja, sagte der Blinde mit kräftiger, lebhafter Stimme — ich entsinne mich
Lord Northumberlands noch sehr wohl. Das war, ehe die verfluchten Jrländer
wir die Augen ausschossen. Mehr als einmal habe ich ihn in Mylord Essex Zelt
aus und ein gehn sehen . . .

Ja, das waren schwere Zeiten! seufzte die alte Dame plötzlich, indem sie diese
beiden betrachtete, die zu ihrer eignen Zeit gehörten, überwältigt von gemeinsamen
Erinnerungen.

^ Und Mylady, die ich jetzt höre, aber nicht sehen kann, habe ich auch gesehen,
>°gte der alte Cecil, redselig und aufgeräumt durch die Aufmerksamkeit, die ihm
Zuken wurde. Das war damals, als ich vor Carisbrook Wache stand. Da kam
sie geritten, an dem Tage, als — nein, an dem Tage, bevor Prinzeß Eliza¬
beth starb.

Ja, das stimmt ... Ach ja! das kleine unschuldige Lamm, der Herr nahm
sie zu sich.


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[0377] Llizabeth Percy gut wie allein. Die alte Gräfin, die satt und müde war und ein wenig schläfrig nach dem schweren, gewürzten Abendtrunk, saß da und zwinkerte mit ihren kurz¬ sichtigen Augen; der Kaplan, der hochehrwürdige Herr Samuel Littlejohn, der hier auf der Reise während der ganzen Mahlzeit zugegen sein durfte — statt wie sonst nur bei ein Paar Gerichten —, aß und trank für sieben; Sir Thomas hatte schon viel zu viel, und Lady Sophia war, in bezug auf die Weinlaune, nicht weit davon entfernt, ihre Rolle als Kavalier zu naturgetreu zu spielen. Es kam ihr nicht in den Sinn, die heute Abend so stille Lady Elizabeth zu beachten — nicht einmal Harry Percy schenkte sie Aufmerksamkeit, dem gegenüber sie doch sonst, wenn sie sich auch den Anschein gab, auf ihn hinabzusehen, nicht ganz gefühllos war. Der Wirt, ein dicker, rotwangiger Yorkshiremann mit roollner Zipfelmütze und einer großen Narbe über der Nase, die von einem Säbelhieb herrührte, den er vor fast vierzig Jahren bei Marston Moor von einem von Cromwells Reitern er¬ halten hatte, öffnete die Tür von der Küche her. Er verneigte sich vor den Herr¬ schaften, winkte jemand zu — man sah viele Köpfe da draußen und ganz im Hintergrunde das Feuer, das auf dem Herde brannte. Dann schloß er die Tür hinter sich und trat in das Zimmer, einen alten Mann an der Hand führend, der eine Laute trug, und der blind zu sein schien. Harry Percy sah Lady Elizabeth nach der Tür Hinsehen und wandte selbst den Kopf; zwischen den Dienern, die die großen Schüsseln auf deu Schultern trugen, und an dem Tisch vorüber, wo die aufwartenden Damen erst jetzt ihre Mahlzeit begannen, tastete sich der Blinde an der Hand des Wirtes vorwärts. Er trug braune Kleider und einen breiten, herab¬ fallenden, altmodischen leinenen Kragen, der mit einer weißen Schnur um den Hals gebunden war. Den Hut hielt er demütig in der Hand, und das dünne, weiße Haar siel zu beiden Seiten des Gesichts tief über die gebeugten Schultern hinab. Das ist Cecil mit der Laute aus Leeds, sagte der Wirt ehrerbietig erklärend zu den beiden Damen auf dem Ehrensitz. Er ist ein alter Invalide, und ich habe ihn im Felde getroffen, als er unter Mylord Essex stand, während ich unter Prinz Rupert stand. Aber nun hat ihn der Herr erleuchtet, welch einer großen Sünde und Verirrung er sich schuldig gemacht hat, indem er die Hand gegen den seligen König Karl erhob. Komm näher, sagte die alte Gräfin sanft — gegen Leute, die keine Präten- twnen machten, war sie ja immer gut. Die Hände über dem Tisch gefaltet, beugte sie sich vor und betrachtete voller Interesse ihre beiden Altersgenossen. Mein seliger Herr und Gemahl, der Jarl von Northumberland, ergriff auch die Waffen gegen König Karl, und er bereute es ebenfalls — so wie du, mein guter Mann. Ja, sagte der Blinde mit kräftiger, lebhafter Stimme — ich entsinne mich Lord Northumberlands noch sehr wohl. Das war, ehe die verfluchten Jrländer wir die Augen ausschossen. Mehr als einmal habe ich ihn in Mylord Essex Zelt aus und ein gehn sehen . . . Ja, das waren schwere Zeiten! seufzte die alte Dame plötzlich, indem sie diese beiden betrachtete, die zu ihrer eignen Zeit gehörten, überwältigt von gemeinsamen Erinnerungen. ^ Und Mylady, die ich jetzt höre, aber nicht sehen kann, habe ich auch gesehen, >°gte der alte Cecil, redselig und aufgeräumt durch die Aufmerksamkeit, die ihm Zuken wurde. Das war damals, als ich vor Carisbrook Wache stand. Da kam sie geritten, an dem Tage, als — nein, an dem Tage, bevor Prinzeß Eliza¬ beth starb. Ja, das stimmt ... Ach ja! das kleine unschuldige Lamm, der Herr nahm sie zu sich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/377>, abgerufen am 28.12.2024.