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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Tandschaftsbilder von der Aüste Norwegens

der Kapitän gab übrigens zu, daß es ein ganz ordentlicher Wind gewesen
sei, und freute sich, daß sich die Irma, so hieß das schöne Schiff, das mit
uns erst seine zweite Reise machte, so gut gehalten habe und sehr zuver¬
lässig sei.

Was die Passagiere, und zwar nicht bloß die Damen, aber entschieden
noch mehr freute, war die Versicherung, daß wir jetzt vom Wetter nichts mehr
zu leiden bekämen, denn wir seien von jetzt an immer durch die Schären ge¬
deckt, und in den Fjorden, die wir jetzt der Reihe nach befahren würden, sei
nichts zu fürchten. Zunächst ging es in eine weite Meeresbucht hinein, dann
um ein Vorgebirge herum, und dreißig Stunden nach der Abfahrt von Ham¬
burg befanden wir uns angesichts der alten Königsstadt Stcwanger, die in
prächtigstem Sonnenlichte vor uns lag. Vom Hafen aus steigt man durch
einige alte schmale Straßen auf einen Hügel, auf dem sich der Dom erhebt.
Das Innere des romanischen Schiffes mit seinen schweren Granitsäulen von
ungewöhnlich großem Durchmesser und fremdartigen Zieraten macht einen
weihevollen aber düstern Eindruck: es ist die steingewordne germanische Helden¬
sage im christlichen Gewand, aber mehr Nibelungenlied als Frithjofssage.

Um so lieblicher war das Bild, das sich außen bot: der Dom, daneben
der alte Bischofshof, beides umrahmt von prächtigen alten Bäumen, die sich
in dem Teich am Fuße des Hügels spiegelten; es war als Gesamtbild das
reizvollste, was ich von Überresten des Mittelalters in Norwegen gesehen
habe. Auf einem andern Hügel gegenüber liegt ein kleiner niedriger, äußerst
wirkungsvoller Bau in altnorwegischem Holzsül, den man mit seinen schiffs¬
schnabelförmigen Drachenköpfen und der wehenden Flagge auf hohem Mast
für ein Sportgebäude halten möchte, es war aber eine der katholischen
Missionskirchen, wie sie gegenwärtig in Skandinavien vielfach errichtet werden.
Nach wenig Stunden ging es weiter nach einem der Glanzpunkte der Reise,
nach dem Hardanger Fjord, immer zwischen den Schären zur Linken und der
zerklüfteten Küste des Festlandes zur Rechten.

Ehe ich von diesem Fjord spreche, muß ich einiges allgemeine über die
vielgenannten Schären und Fjords und die Bodengestaltung Norwegens über¬
haupt vorausschicken.

Wenn man sich vom Meer her Norwegen, namentlich dem nördlichen
Norwegen nähert, so hat man den Eindruck eines Gebirges, dessen Fuß zahl¬
reiche Inseln vorgelagert sind. Diese Inseln sind die Schären; sie sind so
zahlreich und oft in mehreren Reihen hintereinander angeordnet, daß man
zwischen dieser Schürenflur und dem Festlande von Norwegen bis in den
höchsten Norden wie durch einen Kanal führt. Man hat deshalb nur selten
einen freien Ausblick in das offne Meer, andrerseits aber auch Schutz vor
den Unbilden von Wind und Wellen.

Dieses Gebirge, das man vom Meer aus zu sehen bekommt, ist jedoch
nur der Steilabsturz einer Hochebene, die wie unsre Schwäbische Alb gegen
Westen steil abfüllt, während sie sich gegen Osten langsam senkt. Verlängert


Tandschaftsbilder von der Aüste Norwegens

der Kapitän gab übrigens zu, daß es ein ganz ordentlicher Wind gewesen
sei, und freute sich, daß sich die Irma, so hieß das schöne Schiff, das mit
uns erst seine zweite Reise machte, so gut gehalten habe und sehr zuver¬
lässig sei.

Was die Passagiere, und zwar nicht bloß die Damen, aber entschieden
noch mehr freute, war die Versicherung, daß wir jetzt vom Wetter nichts mehr
zu leiden bekämen, denn wir seien von jetzt an immer durch die Schären ge¬
deckt, und in den Fjorden, die wir jetzt der Reihe nach befahren würden, sei
nichts zu fürchten. Zunächst ging es in eine weite Meeresbucht hinein, dann
um ein Vorgebirge herum, und dreißig Stunden nach der Abfahrt von Ham¬
burg befanden wir uns angesichts der alten Königsstadt Stcwanger, die in
prächtigstem Sonnenlichte vor uns lag. Vom Hafen aus steigt man durch
einige alte schmale Straßen auf einen Hügel, auf dem sich der Dom erhebt.
Das Innere des romanischen Schiffes mit seinen schweren Granitsäulen von
ungewöhnlich großem Durchmesser und fremdartigen Zieraten macht einen
weihevollen aber düstern Eindruck: es ist die steingewordne germanische Helden¬
sage im christlichen Gewand, aber mehr Nibelungenlied als Frithjofssage.

Um so lieblicher war das Bild, das sich außen bot: der Dom, daneben
der alte Bischofshof, beides umrahmt von prächtigen alten Bäumen, die sich
in dem Teich am Fuße des Hügels spiegelten; es war als Gesamtbild das
reizvollste, was ich von Überresten des Mittelalters in Norwegen gesehen
habe. Auf einem andern Hügel gegenüber liegt ein kleiner niedriger, äußerst
wirkungsvoller Bau in altnorwegischem Holzsül, den man mit seinen schiffs¬
schnabelförmigen Drachenköpfen und der wehenden Flagge auf hohem Mast
für ein Sportgebäude halten möchte, es war aber eine der katholischen
Missionskirchen, wie sie gegenwärtig in Skandinavien vielfach errichtet werden.
Nach wenig Stunden ging es weiter nach einem der Glanzpunkte der Reise,
nach dem Hardanger Fjord, immer zwischen den Schären zur Linken und der
zerklüfteten Küste des Festlandes zur Rechten.

Ehe ich von diesem Fjord spreche, muß ich einiges allgemeine über die
vielgenannten Schären und Fjords und die Bodengestaltung Norwegens über¬
haupt vorausschicken.

Wenn man sich vom Meer her Norwegen, namentlich dem nördlichen
Norwegen nähert, so hat man den Eindruck eines Gebirges, dessen Fuß zahl¬
reiche Inseln vorgelagert sind. Diese Inseln sind die Schären; sie sind so
zahlreich und oft in mehreren Reihen hintereinander angeordnet, daß man
zwischen dieser Schürenflur und dem Festlande von Norwegen bis in den
höchsten Norden wie durch einen Kanal führt. Man hat deshalb nur selten
einen freien Ausblick in das offne Meer, andrerseits aber auch Schutz vor
den Unbilden von Wind und Wellen.

Dieses Gebirge, das man vom Meer aus zu sehen bekommt, ist jedoch
nur der Steilabsturz einer Hochebene, die wie unsre Schwäbische Alb gegen
Westen steil abfüllt, während sie sich gegen Osten langsam senkt. Verlängert


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[0368] Tandschaftsbilder von der Aüste Norwegens der Kapitän gab übrigens zu, daß es ein ganz ordentlicher Wind gewesen sei, und freute sich, daß sich die Irma, so hieß das schöne Schiff, das mit uns erst seine zweite Reise machte, so gut gehalten habe und sehr zuver¬ lässig sei. Was die Passagiere, und zwar nicht bloß die Damen, aber entschieden noch mehr freute, war die Versicherung, daß wir jetzt vom Wetter nichts mehr zu leiden bekämen, denn wir seien von jetzt an immer durch die Schären ge¬ deckt, und in den Fjorden, die wir jetzt der Reihe nach befahren würden, sei nichts zu fürchten. Zunächst ging es in eine weite Meeresbucht hinein, dann um ein Vorgebirge herum, und dreißig Stunden nach der Abfahrt von Ham¬ burg befanden wir uns angesichts der alten Königsstadt Stcwanger, die in prächtigstem Sonnenlichte vor uns lag. Vom Hafen aus steigt man durch einige alte schmale Straßen auf einen Hügel, auf dem sich der Dom erhebt. Das Innere des romanischen Schiffes mit seinen schweren Granitsäulen von ungewöhnlich großem Durchmesser und fremdartigen Zieraten macht einen weihevollen aber düstern Eindruck: es ist die steingewordne germanische Helden¬ sage im christlichen Gewand, aber mehr Nibelungenlied als Frithjofssage. Um so lieblicher war das Bild, das sich außen bot: der Dom, daneben der alte Bischofshof, beides umrahmt von prächtigen alten Bäumen, die sich in dem Teich am Fuße des Hügels spiegelten; es war als Gesamtbild das reizvollste, was ich von Überresten des Mittelalters in Norwegen gesehen habe. Auf einem andern Hügel gegenüber liegt ein kleiner niedriger, äußerst wirkungsvoller Bau in altnorwegischem Holzsül, den man mit seinen schiffs¬ schnabelförmigen Drachenköpfen und der wehenden Flagge auf hohem Mast für ein Sportgebäude halten möchte, es war aber eine der katholischen Missionskirchen, wie sie gegenwärtig in Skandinavien vielfach errichtet werden. Nach wenig Stunden ging es weiter nach einem der Glanzpunkte der Reise, nach dem Hardanger Fjord, immer zwischen den Schären zur Linken und der zerklüfteten Küste des Festlandes zur Rechten. Ehe ich von diesem Fjord spreche, muß ich einiges allgemeine über die vielgenannten Schären und Fjords und die Bodengestaltung Norwegens über¬ haupt vorausschicken. Wenn man sich vom Meer her Norwegen, namentlich dem nördlichen Norwegen nähert, so hat man den Eindruck eines Gebirges, dessen Fuß zahl¬ reiche Inseln vorgelagert sind. Diese Inseln sind die Schären; sie sind so zahlreich und oft in mehreren Reihen hintereinander angeordnet, daß man zwischen dieser Schürenflur und dem Festlande von Norwegen bis in den höchsten Norden wie durch einen Kanal führt. Man hat deshalb nur selten einen freien Ausblick in das offne Meer, andrerseits aber auch Schutz vor den Unbilden von Wind und Wellen. Dieses Gebirge, das man vom Meer aus zu sehen bekommt, ist jedoch nur der Steilabsturz einer Hochebene, die wie unsre Schwäbische Alb gegen Westen steil abfüllt, während sie sich gegen Osten langsam senkt. Verlängert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/368>, abgerufen am 23.07.2024.