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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Landschaftsbilder von der Küste Norwegens

sehen hätte, kann man diese Reisen nur als Hetztouren*) bezeichnen, aber wer
nicht sehr viel Zeit zur Verfügung hat, muß sich mit Rücksicht auf die riesigen
Entfernungen und die spärlichen Verkehrsmittel einer solchen Touristenfahrt,
sei es nun mit der Hamburg-Amerikalinie oder mit den norwegischen Schiffen,
anschließen.

Wenn ich das hier einfügen darf, so bietet die Hamburg-Amerikalinie den
großen Vorteil, daß sie bei ihren großen Schiffen Spitzbergen und das Eismeer,
wenn auch natürlich so flüchtig wie das übrige, mit in ihre Fahrten hineinzieht,
wogegen die kleinern Schiffe der Norweger tiefer in die Fjorde eindringen
können. Ich benutzte die norwegischen Schiffe und muß gestehn, daß mir
ihr Reiseweg aufs sorgfältigste ausgedacht zu sein scheint, nicht bloß, weil er
lauter hervorragende Punkte berücksichtigt, sondern weil der rüstigere Reisende
auf der südlichen Hälfte der Fahrt dreimal Gelegenheit hat, einen halben oder
einen ganzen Tag zu einer Tour ins Land zu benutzen, ohne dabei von dem
offiziellen Programm etwas wesentliches zu verlieren.

Es war der 20. Juni 1905, als wir um Mitternacht von Hamburg ab¬
fuhren; Morgens um fünf Uhr stand ich schon auf Deck, weil mir das Schlafen
im engen Raum und bei geschlossenem Fenster zu ungewohnt war, und glaubte
die Westküste Dänemarks vor mir zu haben, ein ziemlich flaches Weideland,
als ich im Hintergrund immer deutlicher eine Bergkette sah; also waren wir
schon angesichts von Norwegen. Wir sollten das Land aber nicht so bald
betreten. Beim Frühstück war es schon sehr verdächtig, daß die Tische mit
lauter Schutzvorrichtungen gegen das Herunterfallen der Teller usw. bedeckt
waren, und bis zum Mittagessen hatte sich die Sache richtig schon so gestaltet,
daß nur noch sieben Herren hinunter kamen. Es war eine riesige Speisen¬
folge, aber ich ließ den ersten Gang, einen wunderbaren Fisch in Mayonnaise,
vorbeigehn und wartete auf die Suppe. Mittlerweile war ein Nachbar, dem
ich von dem Fisch abgeraten hatte, schon verschwunden, und nach der Suppe
machte ich es ebenso und legte mich wieder ergeben in Winterüberzieher und
Teppich eingewickelt auf einen Stuhl auf Deck und betrachtete, während der
Wind über mich hinpfiff, krampfhaft die ferne Küste. Es war ein langer
Nachmittag, nur unterbrochen durch zwei sehr unbeabsichtigte plötzliche Rutsch¬
fahrten meines Stuhles gegen das Schiffsbord, die mich notdürftig aus meiner
Lethargie aufrüttelten.

Um zehn Uhr gab ich den Kampf auf und legte mich in meine Kammer,
und als ich wieder aufwachte, war es Heller Morgen, und das Schiff ging
so ruhig wie auf dem Rhein; ich hatte alle die Schrecken der Nacht, von
denen am andern Tage viel erzählt wurde, traumlos verschlafen. Sogar



Um Mißverständnissen vorzubeugen, bemerke ich, daß für den, der nicht alles gesehen
haben will, z. B, die Museen in den Küstenstädten, und besonders für den, der auf die llber-
landtouren verzichtet, es kaum eine bequemere und doch lohnende Reisegelegenheit gibt als solche
Schtffsreisen.
Landschaftsbilder von der Küste Norwegens

sehen hätte, kann man diese Reisen nur als Hetztouren*) bezeichnen, aber wer
nicht sehr viel Zeit zur Verfügung hat, muß sich mit Rücksicht auf die riesigen
Entfernungen und die spärlichen Verkehrsmittel einer solchen Touristenfahrt,
sei es nun mit der Hamburg-Amerikalinie oder mit den norwegischen Schiffen,
anschließen.

Wenn ich das hier einfügen darf, so bietet die Hamburg-Amerikalinie den
großen Vorteil, daß sie bei ihren großen Schiffen Spitzbergen und das Eismeer,
wenn auch natürlich so flüchtig wie das übrige, mit in ihre Fahrten hineinzieht,
wogegen die kleinern Schiffe der Norweger tiefer in die Fjorde eindringen
können. Ich benutzte die norwegischen Schiffe und muß gestehn, daß mir
ihr Reiseweg aufs sorgfältigste ausgedacht zu sein scheint, nicht bloß, weil er
lauter hervorragende Punkte berücksichtigt, sondern weil der rüstigere Reisende
auf der südlichen Hälfte der Fahrt dreimal Gelegenheit hat, einen halben oder
einen ganzen Tag zu einer Tour ins Land zu benutzen, ohne dabei von dem
offiziellen Programm etwas wesentliches zu verlieren.

Es war der 20. Juni 1905, als wir um Mitternacht von Hamburg ab¬
fuhren; Morgens um fünf Uhr stand ich schon auf Deck, weil mir das Schlafen
im engen Raum und bei geschlossenem Fenster zu ungewohnt war, und glaubte
die Westküste Dänemarks vor mir zu haben, ein ziemlich flaches Weideland,
als ich im Hintergrund immer deutlicher eine Bergkette sah; also waren wir
schon angesichts von Norwegen. Wir sollten das Land aber nicht so bald
betreten. Beim Frühstück war es schon sehr verdächtig, daß die Tische mit
lauter Schutzvorrichtungen gegen das Herunterfallen der Teller usw. bedeckt
waren, und bis zum Mittagessen hatte sich die Sache richtig schon so gestaltet,
daß nur noch sieben Herren hinunter kamen. Es war eine riesige Speisen¬
folge, aber ich ließ den ersten Gang, einen wunderbaren Fisch in Mayonnaise,
vorbeigehn und wartete auf die Suppe. Mittlerweile war ein Nachbar, dem
ich von dem Fisch abgeraten hatte, schon verschwunden, und nach der Suppe
machte ich es ebenso und legte mich wieder ergeben in Winterüberzieher und
Teppich eingewickelt auf einen Stuhl auf Deck und betrachtete, während der
Wind über mich hinpfiff, krampfhaft die ferne Küste. Es war ein langer
Nachmittag, nur unterbrochen durch zwei sehr unbeabsichtigte plötzliche Rutsch¬
fahrten meines Stuhles gegen das Schiffsbord, die mich notdürftig aus meiner
Lethargie aufrüttelten.

Um zehn Uhr gab ich den Kampf auf und legte mich in meine Kammer,
und als ich wieder aufwachte, war es Heller Morgen, und das Schiff ging
so ruhig wie auf dem Rhein; ich hatte alle die Schrecken der Nacht, von
denen am andern Tage viel erzählt wurde, traumlos verschlafen. Sogar



Um Mißverständnissen vorzubeugen, bemerke ich, daß für den, der nicht alles gesehen
haben will, z. B, die Museen in den Küstenstädten, und besonders für den, der auf die llber-
landtouren verzichtet, es kaum eine bequemere und doch lohnende Reisegelegenheit gibt als solche
Schtffsreisen.
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[0367] Landschaftsbilder von der Küste Norwegens sehen hätte, kann man diese Reisen nur als Hetztouren*) bezeichnen, aber wer nicht sehr viel Zeit zur Verfügung hat, muß sich mit Rücksicht auf die riesigen Entfernungen und die spärlichen Verkehrsmittel einer solchen Touristenfahrt, sei es nun mit der Hamburg-Amerikalinie oder mit den norwegischen Schiffen, anschließen. Wenn ich das hier einfügen darf, so bietet die Hamburg-Amerikalinie den großen Vorteil, daß sie bei ihren großen Schiffen Spitzbergen und das Eismeer, wenn auch natürlich so flüchtig wie das übrige, mit in ihre Fahrten hineinzieht, wogegen die kleinern Schiffe der Norweger tiefer in die Fjorde eindringen können. Ich benutzte die norwegischen Schiffe und muß gestehn, daß mir ihr Reiseweg aufs sorgfältigste ausgedacht zu sein scheint, nicht bloß, weil er lauter hervorragende Punkte berücksichtigt, sondern weil der rüstigere Reisende auf der südlichen Hälfte der Fahrt dreimal Gelegenheit hat, einen halben oder einen ganzen Tag zu einer Tour ins Land zu benutzen, ohne dabei von dem offiziellen Programm etwas wesentliches zu verlieren. Es war der 20. Juni 1905, als wir um Mitternacht von Hamburg ab¬ fuhren; Morgens um fünf Uhr stand ich schon auf Deck, weil mir das Schlafen im engen Raum und bei geschlossenem Fenster zu ungewohnt war, und glaubte die Westküste Dänemarks vor mir zu haben, ein ziemlich flaches Weideland, als ich im Hintergrund immer deutlicher eine Bergkette sah; also waren wir schon angesichts von Norwegen. Wir sollten das Land aber nicht so bald betreten. Beim Frühstück war es schon sehr verdächtig, daß die Tische mit lauter Schutzvorrichtungen gegen das Herunterfallen der Teller usw. bedeckt waren, und bis zum Mittagessen hatte sich die Sache richtig schon so gestaltet, daß nur noch sieben Herren hinunter kamen. Es war eine riesige Speisen¬ folge, aber ich ließ den ersten Gang, einen wunderbaren Fisch in Mayonnaise, vorbeigehn und wartete auf die Suppe. Mittlerweile war ein Nachbar, dem ich von dem Fisch abgeraten hatte, schon verschwunden, und nach der Suppe machte ich es ebenso und legte mich wieder ergeben in Winterüberzieher und Teppich eingewickelt auf einen Stuhl auf Deck und betrachtete, während der Wind über mich hinpfiff, krampfhaft die ferne Küste. Es war ein langer Nachmittag, nur unterbrochen durch zwei sehr unbeabsichtigte plötzliche Rutsch¬ fahrten meines Stuhles gegen das Schiffsbord, die mich notdürftig aus meiner Lethargie aufrüttelten. Um zehn Uhr gab ich den Kampf auf und legte mich in meine Kammer, und als ich wieder aufwachte, war es Heller Morgen, und das Schiff ging so ruhig wie auf dem Rhein; ich hatte alle die Schrecken der Nacht, von denen am andern Tage viel erzählt wurde, traumlos verschlafen. Sogar Um Mißverständnissen vorzubeugen, bemerke ich, daß für den, der nicht alles gesehen haben will, z. B, die Museen in den Küstenstädten, und besonders für den, der auf die llber- landtouren verzichtet, es kaum eine bequemere und doch lohnende Reisegelegenheit gibt als solche Schtffsreisen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/367>, abgerufen am 23.07.2024.