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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Tandschaftsbilder von der Rüste Norwegens

Wasser und die feuchten warmen Winde hinkommen, da ist üppiges Pflanzen-
leben bis hinauf an das Nordkap, aber hart daneben beginnen der ewige
Schnee und riesige Gletscherfelder, wie die Wüste am Rande der wasserbelebten
Oase. Auf meiner Reise nach dem Süden habe ich die erste baumartige
Araucaria (^.. sxeslsa, die Norfolktanne) erst angesichts Siziliens angetroffen
und habe sie als die Botin einer andern Provinz des Pflanzenreiches begrüßt;
über wer beschreibt mein Erstaunen, als ich in Norwegen drei Grade südlich
vom Polarkreis im Freien wieder eine Araucaria brasiliMsis) antraf! Es
war in Motte, drei Breitengrade nördlicher als Se. Petersburg, und ich gestehe,
daß ich es nicht ohne weiteres glaubte, daß der etwa drei Meter hohe Baum
im Garten des deutschen Konsuls frei im Boden wurzelte.

Wer also das Eismeer mit seinen Wundern sehen will, der muß noch
weiter als das Nordkap, der muß bis nach Spitzbergen vordringen, wo von
jedem Berg ein Gletscher bis ins Meer herunterhängt. Mir war dies leider
nicht möglich, aber einige Ausflüge in das gebirgige kältere Innere des
Landes gaben mir wenigstens eine Idee von der nördlichen Tier- und Pflanzen¬
welt und machten mich mit dem nördlichsten Volksstamm Europas, den Lappen,
bekannt.

Übrigens gehn auch die meisten Reisenden nicht wegen der nordischen
Landschaft oder gar wegen der Tier- und Pflanzenwelt in diese abgelegnen
Gegenden, sondern wegen der eigentümlichen Vorgänge am Himmel.

Für das, was am Boden haftet oder kreucht und fleugt, haben ja die
meisten der vielen Vergnügungsreisenden zu wenig Sinn, als daß sie den
Wechsel empfänden, jedenfalls geniert er sie nicht. Aber die Vorgänge am
Himmel des hohen Nordens sind so in die Augen springend, daß sie sich auch
dem Harmlosesten als Niegesehenes und Wunderbares aufdrängen. Die Mitter¬
nachtssonne ist es, die man gesehen haben will und muß, "Ins Land der
Mitternachtssonne" -- so lautet der lockende Aufruf auf den Prospekten der
Dampfergesellschaften, die jedes Jahr Vergnügungsreisende in steigender Menge
nach dem Nordkap führen, wo sie auf dem eigens dazu errichteten Postamt
ihre Ansichtspostkarten abwerfen und dann befriedigt wieder heimreisen.

Was übrigens dieses Postamt anlangt, so will ich unter dem Siegel der
Verschwiegenheit mitteilen, daß es jeweils immer nur so lange offen ist, als
Schiffspassagiere am Lande sind. Derselbe Schiffsangestellte, der den Riesenpack
Karten, die man vorher auf dem Schiff schreibt, auf das Postamt Nordkap
trägt, stempelt sie dort ab und trägt sie wieder zur Beförderung auf das
Schiff, da die paar Ziegen, die die einzigen stündigen Bewohner der Insel
sind, vorerst noch keine postalischen Bedürfnisse haben.

Ich machte die Reise mit den sogenannten norwegischen Touristenschiffen,
die in sieben Tagen von Hamburg nach Drontheim und in weitern sieben
Tagen von Drontheim nach dem Nordkap und wieder zurückfahren. In An¬
betracht des unendlich vielen, was der gewissenhafte Reisende unterwegs zu


Tandschaftsbilder von der Rüste Norwegens

Wasser und die feuchten warmen Winde hinkommen, da ist üppiges Pflanzen-
leben bis hinauf an das Nordkap, aber hart daneben beginnen der ewige
Schnee und riesige Gletscherfelder, wie die Wüste am Rande der wasserbelebten
Oase. Auf meiner Reise nach dem Süden habe ich die erste baumartige
Araucaria (^.. sxeslsa, die Norfolktanne) erst angesichts Siziliens angetroffen
und habe sie als die Botin einer andern Provinz des Pflanzenreiches begrüßt;
über wer beschreibt mein Erstaunen, als ich in Norwegen drei Grade südlich
vom Polarkreis im Freien wieder eine Araucaria brasiliMsis) antraf! Es
war in Motte, drei Breitengrade nördlicher als Se. Petersburg, und ich gestehe,
daß ich es nicht ohne weiteres glaubte, daß der etwa drei Meter hohe Baum
im Garten des deutschen Konsuls frei im Boden wurzelte.

Wer also das Eismeer mit seinen Wundern sehen will, der muß noch
weiter als das Nordkap, der muß bis nach Spitzbergen vordringen, wo von
jedem Berg ein Gletscher bis ins Meer herunterhängt. Mir war dies leider
nicht möglich, aber einige Ausflüge in das gebirgige kältere Innere des
Landes gaben mir wenigstens eine Idee von der nördlichen Tier- und Pflanzen¬
welt und machten mich mit dem nördlichsten Volksstamm Europas, den Lappen,
bekannt.

Übrigens gehn auch die meisten Reisenden nicht wegen der nordischen
Landschaft oder gar wegen der Tier- und Pflanzenwelt in diese abgelegnen
Gegenden, sondern wegen der eigentümlichen Vorgänge am Himmel.

Für das, was am Boden haftet oder kreucht und fleugt, haben ja die
meisten der vielen Vergnügungsreisenden zu wenig Sinn, als daß sie den
Wechsel empfänden, jedenfalls geniert er sie nicht. Aber die Vorgänge am
Himmel des hohen Nordens sind so in die Augen springend, daß sie sich auch
dem Harmlosesten als Niegesehenes und Wunderbares aufdrängen. Die Mitter¬
nachtssonne ist es, die man gesehen haben will und muß, „Ins Land der
Mitternachtssonne" — so lautet der lockende Aufruf auf den Prospekten der
Dampfergesellschaften, die jedes Jahr Vergnügungsreisende in steigender Menge
nach dem Nordkap führen, wo sie auf dem eigens dazu errichteten Postamt
ihre Ansichtspostkarten abwerfen und dann befriedigt wieder heimreisen.

Was übrigens dieses Postamt anlangt, so will ich unter dem Siegel der
Verschwiegenheit mitteilen, daß es jeweils immer nur so lange offen ist, als
Schiffspassagiere am Lande sind. Derselbe Schiffsangestellte, der den Riesenpack
Karten, die man vorher auf dem Schiff schreibt, auf das Postamt Nordkap
trägt, stempelt sie dort ab und trägt sie wieder zur Beförderung auf das
Schiff, da die paar Ziegen, die die einzigen stündigen Bewohner der Insel
sind, vorerst noch keine postalischen Bedürfnisse haben.

Ich machte die Reise mit den sogenannten norwegischen Touristenschiffen,
die in sieben Tagen von Hamburg nach Drontheim und in weitern sieben
Tagen von Drontheim nach dem Nordkap und wieder zurückfahren. In An¬
betracht des unendlich vielen, was der gewissenhafte Reisende unterwegs zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/366>, abgerufen am 23.07.2024.