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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Trennung der Kirchen und des Staats in Frankreich

den Gambetta getan hatte: "Der Klerikalismus ist der Feind!" "1898 er¬
innerte sich, wie Sabatier sagt, die Demokratie stärker als je daran, und sie
ermaß nun mit Schrecken die furchtbaren Krisen, die eine anscheinend kaum zu
beachtende Minderheit über ein Land heraufbeschwören kann, wenn sie kühn und
wohldiszipliniert ist und an die religiösen Leidenschaften appelliert", wie es in
den ganz Frankreich aufwiegelnden Blättern der Assumptionisten geschah.

Die aufrichtigen Anhänger der Republik schlössen sich nun zusammen und
bekundeten durch die Präsidentenwahl am 18. Februar 1899, wie der Erwählte
der Nationalversammlung von Versailles, Loubet, in seiner ersten Botschaft
an das Parlament sagte, das Verlangen, "eine Beruhigung der Gemüter herbei¬
zuführen und die Einigung aller Republikaner wiederherzustellen und dauerhaft
zu gestalten". Als dann im Juni desselben Jahres das Ministerium Dupuy
infolge seiner zweideutigen Haltung gegenüber dem Widerstande der verbündeten
Klerikalen, Monarchisten und Nationalisten gegen die Revision des Drehfus-
prozesses zurückgetreten war, bezeichnete der Ministerpräsident Waldeck-Rousseau
in seinem Programm klar und bestimmt das Ziel aller Republikaner. "Es
handelt sich, erklärte er, darum, das uns allen gemeinsame Erbe unverändert
aufrechtzuerhalten . . . sich zu verständigen, die Streitfragen ruhen zu lassen
gegenüber der gemeinsam zu erfüllenden Pflicht, die dahin geht, dem Treiben
ein Ende zu machen, das sich unter leicht zu durchschauenden Vorwänden
gegen die Regierungsform richtet, die das allgemeine Stimmrecht sanktioniert
hat, und die es aufrechtzuerhalten wissen wird." Und nun wurden mit dem
Beginn des neuen Jahrhunderts in rascher Folge die großen kirchenpolitischen
Gesetze geschaffen, die bei der fortdauernd beendigten Feindschaft der Klerikalen
gegen die Republik zur völligen Trennung der Kirchen und des Staats mit
innerer Notwendigkeit führen mußten.

Zunächst kam das Vereinsgesetz von 1901, das sich gegen das Eindringen
der Kongregationen, der katholischen Lehrorden, in das Unterrichtswesen richtete
und nach der Erklärung des Ministerpräsidenten Waldeck-Rousseau der Gefahr
begegnen sollte, "die daraus erwächst, daß sich in einer demokratischen Gesellschaft
immer mehr eine Vereinigung entwickelt, die darauf ausgeht, unter der Maske
einer religiösen Einrichtung in den Staat eine politische Körperschaft einzu¬
führen, die bezweckt, völlige Unabhängigkeit zu erlangen und alle Autorität an
sich zu reißen".

Dann folgte das nach dem Nachfolger Waldeck-Roussecius, dem Minister¬
präsidenten Combes, benannte Unterrichtsgesetz von 1904, das die Ordens¬
schulen völlig verbot und den zugelassenen Orden eine Aussterbefrist von
zehn Jahren, also bis 1914, setzte. Den Abschluß bildete das mit dem
1. Januar 1906 in Kraft getretne Gesetz über die Trennung der Kirchen
und des Staats, das die unbehinderte Ausübung jedes religiösen Kultus, also
freie Religionsübung, gewährleistet, aber keine Kirchen mehr kennt, sondern
nur die Bildung von Kultusvereinen zuläßt, die sich zwar zu das ganze


Die Trennung der Kirchen und des Staats in Frankreich

den Gambetta getan hatte: „Der Klerikalismus ist der Feind!" „1898 er¬
innerte sich, wie Sabatier sagt, die Demokratie stärker als je daran, und sie
ermaß nun mit Schrecken die furchtbaren Krisen, die eine anscheinend kaum zu
beachtende Minderheit über ein Land heraufbeschwören kann, wenn sie kühn und
wohldiszipliniert ist und an die religiösen Leidenschaften appelliert", wie es in
den ganz Frankreich aufwiegelnden Blättern der Assumptionisten geschah.

Die aufrichtigen Anhänger der Republik schlössen sich nun zusammen und
bekundeten durch die Präsidentenwahl am 18. Februar 1899, wie der Erwählte
der Nationalversammlung von Versailles, Loubet, in seiner ersten Botschaft
an das Parlament sagte, das Verlangen, „eine Beruhigung der Gemüter herbei¬
zuführen und die Einigung aller Republikaner wiederherzustellen und dauerhaft
zu gestalten". Als dann im Juni desselben Jahres das Ministerium Dupuy
infolge seiner zweideutigen Haltung gegenüber dem Widerstande der verbündeten
Klerikalen, Monarchisten und Nationalisten gegen die Revision des Drehfus-
prozesses zurückgetreten war, bezeichnete der Ministerpräsident Waldeck-Rousseau
in seinem Programm klar und bestimmt das Ziel aller Republikaner. „Es
handelt sich, erklärte er, darum, das uns allen gemeinsame Erbe unverändert
aufrechtzuerhalten . . . sich zu verständigen, die Streitfragen ruhen zu lassen
gegenüber der gemeinsam zu erfüllenden Pflicht, die dahin geht, dem Treiben
ein Ende zu machen, das sich unter leicht zu durchschauenden Vorwänden
gegen die Regierungsform richtet, die das allgemeine Stimmrecht sanktioniert
hat, und die es aufrechtzuerhalten wissen wird." Und nun wurden mit dem
Beginn des neuen Jahrhunderts in rascher Folge die großen kirchenpolitischen
Gesetze geschaffen, die bei der fortdauernd beendigten Feindschaft der Klerikalen
gegen die Republik zur völligen Trennung der Kirchen und des Staats mit
innerer Notwendigkeit führen mußten.

Zunächst kam das Vereinsgesetz von 1901, das sich gegen das Eindringen
der Kongregationen, der katholischen Lehrorden, in das Unterrichtswesen richtete
und nach der Erklärung des Ministerpräsidenten Waldeck-Rousseau der Gefahr
begegnen sollte, „die daraus erwächst, daß sich in einer demokratischen Gesellschaft
immer mehr eine Vereinigung entwickelt, die darauf ausgeht, unter der Maske
einer religiösen Einrichtung in den Staat eine politische Körperschaft einzu¬
führen, die bezweckt, völlige Unabhängigkeit zu erlangen und alle Autorität an
sich zu reißen".

Dann folgte das nach dem Nachfolger Waldeck-Roussecius, dem Minister¬
präsidenten Combes, benannte Unterrichtsgesetz von 1904, das die Ordens¬
schulen völlig verbot und den zugelassenen Orden eine Aussterbefrist von
zehn Jahren, also bis 1914, setzte. Den Abschluß bildete das mit dem
1. Januar 1906 in Kraft getretne Gesetz über die Trennung der Kirchen
und des Staats, das die unbehinderte Ausübung jedes religiösen Kultus, also
freie Religionsübung, gewährleistet, aber keine Kirchen mehr kennt, sondern
nur die Bildung von Kultusvereinen zuläßt, die sich zwar zu das ganze


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[0344] Die Trennung der Kirchen und des Staats in Frankreich den Gambetta getan hatte: „Der Klerikalismus ist der Feind!" „1898 er¬ innerte sich, wie Sabatier sagt, die Demokratie stärker als je daran, und sie ermaß nun mit Schrecken die furchtbaren Krisen, die eine anscheinend kaum zu beachtende Minderheit über ein Land heraufbeschwören kann, wenn sie kühn und wohldiszipliniert ist und an die religiösen Leidenschaften appelliert", wie es in den ganz Frankreich aufwiegelnden Blättern der Assumptionisten geschah. Die aufrichtigen Anhänger der Republik schlössen sich nun zusammen und bekundeten durch die Präsidentenwahl am 18. Februar 1899, wie der Erwählte der Nationalversammlung von Versailles, Loubet, in seiner ersten Botschaft an das Parlament sagte, das Verlangen, „eine Beruhigung der Gemüter herbei¬ zuführen und die Einigung aller Republikaner wiederherzustellen und dauerhaft zu gestalten". Als dann im Juni desselben Jahres das Ministerium Dupuy infolge seiner zweideutigen Haltung gegenüber dem Widerstande der verbündeten Klerikalen, Monarchisten und Nationalisten gegen die Revision des Drehfus- prozesses zurückgetreten war, bezeichnete der Ministerpräsident Waldeck-Rousseau in seinem Programm klar und bestimmt das Ziel aller Republikaner. „Es handelt sich, erklärte er, darum, das uns allen gemeinsame Erbe unverändert aufrechtzuerhalten . . . sich zu verständigen, die Streitfragen ruhen zu lassen gegenüber der gemeinsam zu erfüllenden Pflicht, die dahin geht, dem Treiben ein Ende zu machen, das sich unter leicht zu durchschauenden Vorwänden gegen die Regierungsform richtet, die das allgemeine Stimmrecht sanktioniert hat, und die es aufrechtzuerhalten wissen wird." Und nun wurden mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts in rascher Folge die großen kirchenpolitischen Gesetze geschaffen, die bei der fortdauernd beendigten Feindschaft der Klerikalen gegen die Republik zur völligen Trennung der Kirchen und des Staats mit innerer Notwendigkeit führen mußten. Zunächst kam das Vereinsgesetz von 1901, das sich gegen das Eindringen der Kongregationen, der katholischen Lehrorden, in das Unterrichtswesen richtete und nach der Erklärung des Ministerpräsidenten Waldeck-Rousseau der Gefahr begegnen sollte, „die daraus erwächst, daß sich in einer demokratischen Gesellschaft immer mehr eine Vereinigung entwickelt, die darauf ausgeht, unter der Maske einer religiösen Einrichtung in den Staat eine politische Körperschaft einzu¬ führen, die bezweckt, völlige Unabhängigkeit zu erlangen und alle Autorität an sich zu reißen". Dann folgte das nach dem Nachfolger Waldeck-Roussecius, dem Minister¬ präsidenten Combes, benannte Unterrichtsgesetz von 1904, das die Ordens¬ schulen völlig verbot und den zugelassenen Orden eine Aussterbefrist von zehn Jahren, also bis 1914, setzte. Den Abschluß bildete das mit dem 1. Januar 1906 in Kraft getretne Gesetz über die Trennung der Kirchen und des Staats, das die unbehinderte Ausübung jedes religiösen Kultus, also freie Religionsübung, gewährleistet, aber keine Kirchen mehr kennt, sondern nur die Bildung von Kultusvereinen zuläßt, die sich zwar zu das ganze

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/344>, abgerufen am 23.07.2024.