Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Trennung der Kirchen und des Staats in Frankreich

Land umfassenden Verbänden mit zentraler Verwaltung zusammenschließen
können, aber gleich allen andern Vereinen dem gemeinen Rechte, insbesondre
dem Vereinsgesetz unterworfen sind und vom Staat und seinen Organen,
den Departements und den Gemeinden, keinerlei finanzielle Unterstützung er¬
halten. Die innere Organisation der Kultusvereine und ihrer Verbände ist
bedingungslos frei. Alle Kirchengüter werden vom Staate inventarisiert. Die
beweglichen Kirchengüter werden den Kultusvereinen als Eigentum übertragen,
die unbeweglichen Kirchengüter bleiben Eigentum des Staats, der Departements
und der Gemeinden, werden aber den Kultusvereinen unentgeltlich zur Ver¬
fügung gestellt, die zum Gottesdienst bestimmten Gebäude dauernd, die Wohn-
gebüude für eine Frist von fünf Jahren. Um Härten zu vermeiden, sind den
zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes im Amte stehenden Geistlichen lebens¬
längliche, nach Alter und Dienstzeit verschieden bemessene Pensionen, dem
jüngern, noch nicht unter das Gesetz fallenden Klerus Unterstützungen auf vier
Jahre ausgesetzt. Zugleich hat das Gesetz Bestimmungen vorgesehen, die den
Staat und die einzelnen Staatsbürger gegen Mißbrauch der den Kultus¬
vereinen und ihren Organen eingeräumten Freiheiten sichern sollen.

Im Auslande hat man sich vielfach darüber gewundert, daß die parla¬
mentarischen Beratungen des Trcnnungsgesetzes einen im allgemeinen sehr
ruhigen und friedlichen Verlauf genommen haben, und seine Durchführung nur
ganz vereinzelt auf einen, wie außerdem feststeht, künstlich erregten faktiösen
Widerstand gestoßen ist. Diese Beobachtung bestätigt jedoch nur die Richtig¬
keit der von Paul Sabatier gewonnenen und in seiner Schrift begründeten
Überzeugung, daß das französische Parlament mit der Verabschiedung des
Trennungsgesetzes nur einen tatsächlich schon gegebnen Zustand gesetzgeberisch
geregelt und anerkannt hat. Daraus erklärt sich der ruhige und friedliche
Verlauf der parlamentarischen Erörterungen. "Wenn das Parlament, sagt
Sabatier, der öffentlichen Meinung vorausgeeilt wäre, würde sich diese erregt
und beunruhigt haben; aber nein, sie ist einfach mit ruhiger Aufmerksamkeit
den Veratungen gefolgt, bei denen es sich um eine der ernstesten Fragen
handelte, die seit 1789 die französische Volksseele berührt haben. Die Trennung
der Kirche und des Staats, verstanden in dem Sinne, wie sie das französische
Parlament aufgefaßt hat. ist mehr als ein Wechsel der Dynastie oder der Re-
gierungsform, sie ist der Abschluß einer geschichtlichen Periode und die Richtung
des Kurses nach neuen Zielen." Für diese Abfassung spricht auch der Ausfall der
im Mai in Frankreich vollzogncn allgemeinen Wahlen, die Antwort der fran¬
zösischen Demokratie auf das päpstliche Rundschreiben vom 11. Februar 1906. D:e
für das Trennungsgesetz eingetretne republikanische Mehrheit der Abgeordneten¬
kammer, der "Block", hat nicht nur keine Verluste, sondern eme nicht unbe¬
deutende Verstärkung erfahren, während die Umtriebe der klerikalen Gegner
der Republik jämmerlich zusehenden geworden sind. Die demokratische Republik
"weist sich immer mehr als die dem Wesen des französischen Volkes ent-


Die Trennung der Kirchen und des Staats in Frankreich

Land umfassenden Verbänden mit zentraler Verwaltung zusammenschließen
können, aber gleich allen andern Vereinen dem gemeinen Rechte, insbesondre
dem Vereinsgesetz unterworfen sind und vom Staat und seinen Organen,
den Departements und den Gemeinden, keinerlei finanzielle Unterstützung er¬
halten. Die innere Organisation der Kultusvereine und ihrer Verbände ist
bedingungslos frei. Alle Kirchengüter werden vom Staate inventarisiert. Die
beweglichen Kirchengüter werden den Kultusvereinen als Eigentum übertragen,
die unbeweglichen Kirchengüter bleiben Eigentum des Staats, der Departements
und der Gemeinden, werden aber den Kultusvereinen unentgeltlich zur Ver¬
fügung gestellt, die zum Gottesdienst bestimmten Gebäude dauernd, die Wohn-
gebüude für eine Frist von fünf Jahren. Um Härten zu vermeiden, sind den
zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes im Amte stehenden Geistlichen lebens¬
längliche, nach Alter und Dienstzeit verschieden bemessene Pensionen, dem
jüngern, noch nicht unter das Gesetz fallenden Klerus Unterstützungen auf vier
Jahre ausgesetzt. Zugleich hat das Gesetz Bestimmungen vorgesehen, die den
Staat und die einzelnen Staatsbürger gegen Mißbrauch der den Kultus¬
vereinen und ihren Organen eingeräumten Freiheiten sichern sollen.

Im Auslande hat man sich vielfach darüber gewundert, daß die parla¬
mentarischen Beratungen des Trcnnungsgesetzes einen im allgemeinen sehr
ruhigen und friedlichen Verlauf genommen haben, und seine Durchführung nur
ganz vereinzelt auf einen, wie außerdem feststeht, künstlich erregten faktiösen
Widerstand gestoßen ist. Diese Beobachtung bestätigt jedoch nur die Richtig¬
keit der von Paul Sabatier gewonnenen und in seiner Schrift begründeten
Überzeugung, daß das französische Parlament mit der Verabschiedung des
Trennungsgesetzes nur einen tatsächlich schon gegebnen Zustand gesetzgeberisch
geregelt und anerkannt hat. Daraus erklärt sich der ruhige und friedliche
Verlauf der parlamentarischen Erörterungen. „Wenn das Parlament, sagt
Sabatier, der öffentlichen Meinung vorausgeeilt wäre, würde sich diese erregt
und beunruhigt haben; aber nein, sie ist einfach mit ruhiger Aufmerksamkeit
den Veratungen gefolgt, bei denen es sich um eine der ernstesten Fragen
handelte, die seit 1789 die französische Volksseele berührt haben. Die Trennung
der Kirche und des Staats, verstanden in dem Sinne, wie sie das französische
Parlament aufgefaßt hat. ist mehr als ein Wechsel der Dynastie oder der Re-
gierungsform, sie ist der Abschluß einer geschichtlichen Periode und die Richtung
des Kurses nach neuen Zielen." Für diese Abfassung spricht auch der Ausfall der
im Mai in Frankreich vollzogncn allgemeinen Wahlen, die Antwort der fran¬
zösischen Demokratie auf das päpstliche Rundschreiben vom 11. Februar 1906. D:e
für das Trennungsgesetz eingetretne republikanische Mehrheit der Abgeordneten¬
kammer, der „Block", hat nicht nur keine Verluste, sondern eme nicht unbe¬
deutende Verstärkung erfahren, während die Umtriebe der klerikalen Gegner
der Republik jämmerlich zusehenden geworden sind. Die demokratische Republik
"weist sich immer mehr als die dem Wesen des französischen Volkes ent-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0345" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/300132"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Trennung der Kirchen und des Staats in Frankreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1243" prev="#ID_1242"> Land umfassenden Verbänden mit zentraler Verwaltung zusammenschließen<lb/>
können, aber gleich allen andern Vereinen dem gemeinen Rechte, insbesondre<lb/>
dem Vereinsgesetz unterworfen sind und vom Staat und seinen Organen,<lb/>
den Departements und den Gemeinden, keinerlei finanzielle Unterstützung er¬<lb/>
halten. Die innere Organisation der Kultusvereine und ihrer Verbände ist<lb/>
bedingungslos frei. Alle Kirchengüter werden vom Staate inventarisiert. Die<lb/>
beweglichen Kirchengüter werden den Kultusvereinen als Eigentum übertragen,<lb/>
die unbeweglichen Kirchengüter bleiben Eigentum des Staats, der Departements<lb/>
und der Gemeinden, werden aber den Kultusvereinen unentgeltlich zur Ver¬<lb/>
fügung gestellt, die zum Gottesdienst bestimmten Gebäude dauernd, die Wohn-<lb/>
gebüude für eine Frist von fünf Jahren. Um Härten zu vermeiden, sind den<lb/>
zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes im Amte stehenden Geistlichen lebens¬<lb/>
längliche, nach Alter und Dienstzeit verschieden bemessene Pensionen, dem<lb/>
jüngern, noch nicht unter das Gesetz fallenden Klerus Unterstützungen auf vier<lb/>
Jahre ausgesetzt. Zugleich hat das Gesetz Bestimmungen vorgesehen, die den<lb/>
Staat und die einzelnen Staatsbürger gegen Mißbrauch der den Kultus¬<lb/>
vereinen und ihren Organen eingeräumten Freiheiten sichern sollen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1244" next="#ID_1245"> Im Auslande hat man sich vielfach darüber gewundert, daß die parla¬<lb/>
mentarischen Beratungen des Trcnnungsgesetzes einen im allgemeinen sehr<lb/>
ruhigen und friedlichen Verlauf genommen haben, und seine Durchführung nur<lb/>
ganz vereinzelt auf einen, wie außerdem feststeht, künstlich erregten faktiösen<lb/>
Widerstand gestoßen ist. Diese Beobachtung bestätigt jedoch nur die Richtig¬<lb/>
keit der von Paul Sabatier gewonnenen und in seiner Schrift begründeten<lb/>
Überzeugung, daß das französische Parlament mit der Verabschiedung des<lb/>
Trennungsgesetzes nur einen tatsächlich schon gegebnen Zustand gesetzgeberisch<lb/>
geregelt und anerkannt hat. Daraus erklärt sich der ruhige und friedliche<lb/>
Verlauf der parlamentarischen Erörterungen. &#x201E;Wenn das Parlament, sagt<lb/>
Sabatier, der öffentlichen Meinung vorausgeeilt wäre, würde sich diese erregt<lb/>
und beunruhigt haben; aber nein, sie ist einfach mit ruhiger Aufmerksamkeit<lb/>
den Veratungen gefolgt, bei denen es sich um eine der ernstesten Fragen<lb/>
handelte, die seit 1789 die französische Volksseele berührt haben. Die Trennung<lb/>
der Kirche und des Staats, verstanden in dem Sinne, wie sie das französische<lb/>
Parlament aufgefaßt hat. ist mehr als ein Wechsel der Dynastie oder der Re-<lb/>
gierungsform, sie ist der Abschluß einer geschichtlichen Periode und die Richtung<lb/>
des Kurses nach neuen Zielen." Für diese Abfassung spricht auch der Ausfall der<lb/>
im Mai in Frankreich vollzogncn allgemeinen Wahlen, die Antwort der fran¬<lb/>
zösischen Demokratie auf das päpstliche Rundschreiben vom 11. Februar 1906. D:e<lb/>
für das Trennungsgesetz eingetretne republikanische Mehrheit der Abgeordneten¬<lb/>
kammer, der &#x201E;Block", hat nicht nur keine Verluste, sondern eme nicht unbe¬<lb/>
deutende Verstärkung erfahren, während die Umtriebe der klerikalen Gegner<lb/>
der Republik jämmerlich zusehenden geworden sind. Die demokratische Republik<lb/>
"weist sich immer mehr als die dem Wesen des französischen Volkes ent-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0345] Die Trennung der Kirchen und des Staats in Frankreich Land umfassenden Verbänden mit zentraler Verwaltung zusammenschließen können, aber gleich allen andern Vereinen dem gemeinen Rechte, insbesondre dem Vereinsgesetz unterworfen sind und vom Staat und seinen Organen, den Departements und den Gemeinden, keinerlei finanzielle Unterstützung er¬ halten. Die innere Organisation der Kultusvereine und ihrer Verbände ist bedingungslos frei. Alle Kirchengüter werden vom Staate inventarisiert. Die beweglichen Kirchengüter werden den Kultusvereinen als Eigentum übertragen, die unbeweglichen Kirchengüter bleiben Eigentum des Staats, der Departements und der Gemeinden, werden aber den Kultusvereinen unentgeltlich zur Ver¬ fügung gestellt, die zum Gottesdienst bestimmten Gebäude dauernd, die Wohn- gebüude für eine Frist von fünf Jahren. Um Härten zu vermeiden, sind den zur Zeit des Inkrafttretens des Gesetzes im Amte stehenden Geistlichen lebens¬ längliche, nach Alter und Dienstzeit verschieden bemessene Pensionen, dem jüngern, noch nicht unter das Gesetz fallenden Klerus Unterstützungen auf vier Jahre ausgesetzt. Zugleich hat das Gesetz Bestimmungen vorgesehen, die den Staat und die einzelnen Staatsbürger gegen Mißbrauch der den Kultus¬ vereinen und ihren Organen eingeräumten Freiheiten sichern sollen. Im Auslande hat man sich vielfach darüber gewundert, daß die parla¬ mentarischen Beratungen des Trcnnungsgesetzes einen im allgemeinen sehr ruhigen und friedlichen Verlauf genommen haben, und seine Durchführung nur ganz vereinzelt auf einen, wie außerdem feststeht, künstlich erregten faktiösen Widerstand gestoßen ist. Diese Beobachtung bestätigt jedoch nur die Richtig¬ keit der von Paul Sabatier gewonnenen und in seiner Schrift begründeten Überzeugung, daß das französische Parlament mit der Verabschiedung des Trennungsgesetzes nur einen tatsächlich schon gegebnen Zustand gesetzgeberisch geregelt und anerkannt hat. Daraus erklärt sich der ruhige und friedliche Verlauf der parlamentarischen Erörterungen. „Wenn das Parlament, sagt Sabatier, der öffentlichen Meinung vorausgeeilt wäre, würde sich diese erregt und beunruhigt haben; aber nein, sie ist einfach mit ruhiger Aufmerksamkeit den Veratungen gefolgt, bei denen es sich um eine der ernstesten Fragen handelte, die seit 1789 die französische Volksseele berührt haben. Die Trennung der Kirche und des Staats, verstanden in dem Sinne, wie sie das französische Parlament aufgefaßt hat. ist mehr als ein Wechsel der Dynastie oder der Re- gierungsform, sie ist der Abschluß einer geschichtlichen Periode und die Richtung des Kurses nach neuen Zielen." Für diese Abfassung spricht auch der Ausfall der im Mai in Frankreich vollzogncn allgemeinen Wahlen, die Antwort der fran¬ zösischen Demokratie auf das päpstliche Rundschreiben vom 11. Februar 1906. D:e für das Trennungsgesetz eingetretne republikanische Mehrheit der Abgeordneten¬ kammer, der „Block", hat nicht nur keine Verluste, sondern eme nicht unbe¬ deutende Verstärkung erfahren, während die Umtriebe der klerikalen Gegner der Republik jämmerlich zusehenden geworden sind. Die demokratische Republik "weist sich immer mehr als die dem Wesen des französischen Volkes ent-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/345
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/345>, abgerufen am 23.07.2024.