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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Die Entwicklung der Luftschiffahrt

genommen, ohne daß man damit einen wissenschaftlichen Zweck, eine Weiterentwick¬
lung der Luftschiffahrt verfolgte. Wohl sah man schon bald nach jenem epoche¬
machenden ersten Aufstieg ein, daß der Ballon nur dann von wirklich großem
Nutzen sein werde, falls man ihn nach Belieben zu lenken vermöchte. Wenn
man es nun auch im Freifahren, dank der am Ballon angebrachten Verbesserungen
und der erlangten Routine, bis zu großer Vollkommenheit brachte, so kamen
doch alle Versuche, die man hinsichtlich der Lenkbarkeit anstellte, nicht über die
bescheidensten Anfänge hinaus. Kein Wunder, daß die so oft irregeführte öffent¬
liche Meinung zuletzt jeder neuen Erfindung auf diesem Gebiete mit Mißtrauen
begegnete, ja sich sogar offenbaren Fortschritten gegenüber ziemlich indifferent
verhielt und leider auch noch verhält. Und doch ist die Luftschiffahrt jetzt in
ein Stadium getreten, wo man das Problem der Lenkbarkeit als gelöst be¬
trachten kann.

Alle solchen Versuche und Erfindungen lassen sich in zwei Klassen einteilen:
1. Flugmaschinen, 2. lenkbare Luftschiffe.

Bei den Flugmaschinen -- der vor einigen Jahren tödlich verunglückte
A. Lilienthal ist einer der Begründer der modernen Flugtechnik gewesen --
haben wir es mit Flügel-, Schrauben-, Drachen- und Gleitfliegern zu tun.

In den Flügclfliegern sehen wir die uralte Jkarusidee wieder auftauchen, nur
daß der ganze Apparat jetzt unendlich kompliziert ist, und daß die Bewegung
der riesigen Flügel durch Motore erfolgt.

Zunächst ist es bis jetzt noch nicht geglückt, sich mit einer dieser Maschinen
-- und es gibt deren unzählige Arten -- direkt vom flachen Boden aus zu
erheben. Es bedarf immer des Abflugs von einer Anhöhe oder doch wenigstens
einer Ablaufbahn.

Auch die für diese Versuche vorbildlichen Vögel benutzen zum Abflug gern
erhöhte Punkte. Können sie das nicht, so schnellen sie sich mit Hilfe ihrer
kräftig ausgebildeten Sprunggelenke in die Luft und setzen dann erst die Flügel
in Bewegung.

Auch wenn ein Emporschnellen nach Vogelart ermöglicht wäre, taucht gleich
eine neue, weit größere Schwierigkeit auf. Die Bewegungen der Lust und vor
allem die plötzlichen Windstöße suchen ständig einen schwebenden Körper aus
dem Gleichgewicht zu bringen. Der Vogel lernt das "Ausbalancieren" auch
erst empirisch. Doch bei ihm sind die Flügel völlig mit dem übrigen Körper
verbunden, er bewegt sie, wie wir unsre Arme und Beine bewegen, gewissermaßen
instinktiv, er bringt sie mit Gedankenschnelle in jede gewünschte oder nötige Lage.
Hierzu sind unsre schwachen Armkräfte jedoch nicht imstande, die Flügelbewegung
geschieht mittelbar durch den Motor, deshalb werden auch völlig richtige
Hilfen in vielen Fällen zu spät kommen und ein Umkippen und Hinunterstürzen
der ganzen Maschine nicht verhindern können.

Wesentlich günstiger würden die Aussichten sein, wenn es gelänge, den
Flugapparaten eine große Eigenbewegung zu geben, denn einen sich rasch be-


Grenzboten III 1806 ^
Die Entwicklung der Luftschiffahrt

genommen, ohne daß man damit einen wissenschaftlichen Zweck, eine Weiterentwick¬
lung der Luftschiffahrt verfolgte. Wohl sah man schon bald nach jenem epoche¬
machenden ersten Aufstieg ein, daß der Ballon nur dann von wirklich großem
Nutzen sein werde, falls man ihn nach Belieben zu lenken vermöchte. Wenn
man es nun auch im Freifahren, dank der am Ballon angebrachten Verbesserungen
und der erlangten Routine, bis zu großer Vollkommenheit brachte, so kamen
doch alle Versuche, die man hinsichtlich der Lenkbarkeit anstellte, nicht über die
bescheidensten Anfänge hinaus. Kein Wunder, daß die so oft irregeführte öffent¬
liche Meinung zuletzt jeder neuen Erfindung auf diesem Gebiete mit Mißtrauen
begegnete, ja sich sogar offenbaren Fortschritten gegenüber ziemlich indifferent
verhielt und leider auch noch verhält. Und doch ist die Luftschiffahrt jetzt in
ein Stadium getreten, wo man das Problem der Lenkbarkeit als gelöst be¬
trachten kann.

Alle solchen Versuche und Erfindungen lassen sich in zwei Klassen einteilen:
1. Flugmaschinen, 2. lenkbare Luftschiffe.

Bei den Flugmaschinen — der vor einigen Jahren tödlich verunglückte
A. Lilienthal ist einer der Begründer der modernen Flugtechnik gewesen —
haben wir es mit Flügel-, Schrauben-, Drachen- und Gleitfliegern zu tun.

In den Flügclfliegern sehen wir die uralte Jkarusidee wieder auftauchen, nur
daß der ganze Apparat jetzt unendlich kompliziert ist, und daß die Bewegung
der riesigen Flügel durch Motore erfolgt.

Zunächst ist es bis jetzt noch nicht geglückt, sich mit einer dieser Maschinen
— und es gibt deren unzählige Arten — direkt vom flachen Boden aus zu
erheben. Es bedarf immer des Abflugs von einer Anhöhe oder doch wenigstens
einer Ablaufbahn.

Auch die für diese Versuche vorbildlichen Vögel benutzen zum Abflug gern
erhöhte Punkte. Können sie das nicht, so schnellen sie sich mit Hilfe ihrer
kräftig ausgebildeten Sprunggelenke in die Luft und setzen dann erst die Flügel
in Bewegung.

Auch wenn ein Emporschnellen nach Vogelart ermöglicht wäre, taucht gleich
eine neue, weit größere Schwierigkeit auf. Die Bewegungen der Lust und vor
allem die plötzlichen Windstöße suchen ständig einen schwebenden Körper aus
dem Gleichgewicht zu bringen. Der Vogel lernt das „Ausbalancieren" auch
erst empirisch. Doch bei ihm sind die Flügel völlig mit dem übrigen Körper
verbunden, er bewegt sie, wie wir unsre Arme und Beine bewegen, gewissermaßen
instinktiv, er bringt sie mit Gedankenschnelle in jede gewünschte oder nötige Lage.
Hierzu sind unsre schwachen Armkräfte jedoch nicht imstande, die Flügelbewegung
geschieht mittelbar durch den Motor, deshalb werden auch völlig richtige
Hilfen in vielen Fällen zu spät kommen und ein Umkippen und Hinunterstürzen
der ganzen Maschine nicht verhindern können.

Wesentlich günstiger würden die Aussichten sein, wenn es gelänge, den
Flugapparaten eine große Eigenbewegung zu geben, denn einen sich rasch be-


Grenzboten III 1806 ^
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[0321] Die Entwicklung der Luftschiffahrt genommen, ohne daß man damit einen wissenschaftlichen Zweck, eine Weiterentwick¬ lung der Luftschiffahrt verfolgte. Wohl sah man schon bald nach jenem epoche¬ machenden ersten Aufstieg ein, daß der Ballon nur dann von wirklich großem Nutzen sein werde, falls man ihn nach Belieben zu lenken vermöchte. Wenn man es nun auch im Freifahren, dank der am Ballon angebrachten Verbesserungen und der erlangten Routine, bis zu großer Vollkommenheit brachte, so kamen doch alle Versuche, die man hinsichtlich der Lenkbarkeit anstellte, nicht über die bescheidensten Anfänge hinaus. Kein Wunder, daß die so oft irregeführte öffent¬ liche Meinung zuletzt jeder neuen Erfindung auf diesem Gebiete mit Mißtrauen begegnete, ja sich sogar offenbaren Fortschritten gegenüber ziemlich indifferent verhielt und leider auch noch verhält. Und doch ist die Luftschiffahrt jetzt in ein Stadium getreten, wo man das Problem der Lenkbarkeit als gelöst be¬ trachten kann. Alle solchen Versuche und Erfindungen lassen sich in zwei Klassen einteilen: 1. Flugmaschinen, 2. lenkbare Luftschiffe. Bei den Flugmaschinen — der vor einigen Jahren tödlich verunglückte A. Lilienthal ist einer der Begründer der modernen Flugtechnik gewesen — haben wir es mit Flügel-, Schrauben-, Drachen- und Gleitfliegern zu tun. In den Flügclfliegern sehen wir die uralte Jkarusidee wieder auftauchen, nur daß der ganze Apparat jetzt unendlich kompliziert ist, und daß die Bewegung der riesigen Flügel durch Motore erfolgt. Zunächst ist es bis jetzt noch nicht geglückt, sich mit einer dieser Maschinen — und es gibt deren unzählige Arten — direkt vom flachen Boden aus zu erheben. Es bedarf immer des Abflugs von einer Anhöhe oder doch wenigstens einer Ablaufbahn. Auch die für diese Versuche vorbildlichen Vögel benutzen zum Abflug gern erhöhte Punkte. Können sie das nicht, so schnellen sie sich mit Hilfe ihrer kräftig ausgebildeten Sprunggelenke in die Luft und setzen dann erst die Flügel in Bewegung. Auch wenn ein Emporschnellen nach Vogelart ermöglicht wäre, taucht gleich eine neue, weit größere Schwierigkeit auf. Die Bewegungen der Lust und vor allem die plötzlichen Windstöße suchen ständig einen schwebenden Körper aus dem Gleichgewicht zu bringen. Der Vogel lernt das „Ausbalancieren" auch erst empirisch. Doch bei ihm sind die Flügel völlig mit dem übrigen Körper verbunden, er bewegt sie, wie wir unsre Arme und Beine bewegen, gewissermaßen instinktiv, er bringt sie mit Gedankenschnelle in jede gewünschte oder nötige Lage. Hierzu sind unsre schwachen Armkräfte jedoch nicht imstande, die Flügelbewegung geschieht mittelbar durch den Motor, deshalb werden auch völlig richtige Hilfen in vielen Fällen zu spät kommen und ein Umkippen und Hinunterstürzen der ganzen Maschine nicht verhindern können. Wesentlich günstiger würden die Aussichten sein, wenn es gelänge, den Flugapparaten eine große Eigenbewegung zu geben, denn einen sich rasch be- Grenzboten III 1806 ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/321>, abgerufen am 23.07.2024.