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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Richterrecht keinen gar zu unvorsichtigen Gebrauch machen. Nach dein Ver¬
fasser der Reinkensbiographie sollen es die Kardinäle Geißel lind Reisach, also
zwei Deutsche, gewesen sein, die den von Natur gutmütigen, heitern und an¬
fangs liberalisierendeu Pius in deu Orthodoxiefanatismns hineingetrieben haben.
Ein Gesinnungsgenosse von ihnen war der Nuntius Male Prela, der 1852 ein¬
mal an Geißel schrieb: "Man muß die jungen Leute, die sich den: geistlichen
Stande widmen, erziehn in der Einfalt des Glaubens und sie gewöhnen, unter
dem Joch dieses Glaubens die eigne Einsicht gefangen zu geben in ot>8ö-
Piiuiii nasi."

Reinkens, wie gesagt, ist kein fanatischer Güntheriauer, wahrscheinlich über¬
haupt keiner gewesen. Die philosophische Spekulation lag ihm fern. Das
christliche Leben in seinem Kern zu erfassen, seine Äußerungen dnrch den Lauf
der Jahrhunderte zu verfolgen, seine Musterbilder darzustellen und so durch die
Belehrung zugleich zu erbauen, das war die seiner Natur gemäße Aufgabe, und
die Wärme und zugleich die künstlerische Vollendung, mit der er sie löste, hat
mir ihn wert gemacht. Seine wichtigsten Schriften sind darum Biographien.
Mit einer Geschichte der Barmherzigen Schwestern hat er als Student deu An¬
fang gemacht. Dann folgten: Clemens von Alexandrien, Hilarius von Poitiers,
die Einsiedler des heiligen Hieronhmus, Martin von Tours, Diepenbrock, die
Dichterin Luise Hensel, die barmherzige Schwester Amalie von Lnsaulx. Nur
einen der Kirchenväter, mit denen er sich vorzugsweise beschäftigte, Augustinus,
hat er nicht biographisch behandelt; er stellte nnr seine Geschichtsphilosophie dar,
und Bernhard von Clairvaux sowie Cyprian wurden für die lange Reihe von
Schriften verwandt, in denen er seit 1870 gegen Rom polemisierte.

Der erste und giftigste seiner Breslauer Denunzianten, der widerliche Pro¬
fessor Bittner, den ich in meinen Lebenserinnerungen charakterisiert habe, spielte
recht geschickt Reinkens "Ausländertum" als Trumpf aus. Dieses nur in Deutsch¬
lands Vaterländern mögliche Verfahren versetzt ganz besonders in diesem Falle
den Wissenden in humoristische Stimmung. Die verhaßten protestantischen Be¬
amten, die Preußen nach 1815 an den Rhein schickte, haben sehr viel dazu
beigetragen, die lustigen Rheinländer mit katholischem Fanatismus zu erfüllen,
und nun wurden diese eifrigen Katholiken in dem bis dahin als lau und
rationalistisch verschrienen Schlesien der Einschleppung der Ketzerei beschuldigt!
Sehr bald regte sich der Provinzialpatriotismus. Die hervorragenden Per¬
sönlichkeiten und anerkannten wissenschaftlichen Leistungen der aus dem Westen
gekommnen Männer: Baltzer, Movers, Reinkens, erregten den Neid schlesischer
Dozenten, und diese verstanden den schlesischen Partikularismus und Chauvi¬
nismus so geschickt zu kitzeln, daß wenn man 1869 und 1870 autivatikanische
Äußerungen wagte, einem zunächst entgegnet wurde: "Da sieh dir doch die
Leute einmal an, die gegen Rom auftreten, diese hochmütigen Rheinländer, diese
Kerls!" Und Reinkens hatte es ganz und gar mit den Schlesien! verschüttet.
Im Jahre 1861 hatte die Breslauer Universität die Erinnerung an ihre


Richterrecht keinen gar zu unvorsichtigen Gebrauch machen. Nach dein Ver¬
fasser der Reinkensbiographie sollen es die Kardinäle Geißel lind Reisach, also
zwei Deutsche, gewesen sein, die den von Natur gutmütigen, heitern und an¬
fangs liberalisierendeu Pius in deu Orthodoxiefanatismns hineingetrieben haben.
Ein Gesinnungsgenosse von ihnen war der Nuntius Male Prela, der 1852 ein¬
mal an Geißel schrieb: „Man muß die jungen Leute, die sich den: geistlichen
Stande widmen, erziehn in der Einfalt des Glaubens und sie gewöhnen, unter
dem Joch dieses Glaubens die eigne Einsicht gefangen zu geben in ot>8ö-
Piiuiii nasi."

Reinkens, wie gesagt, ist kein fanatischer Güntheriauer, wahrscheinlich über¬
haupt keiner gewesen. Die philosophische Spekulation lag ihm fern. Das
christliche Leben in seinem Kern zu erfassen, seine Äußerungen dnrch den Lauf
der Jahrhunderte zu verfolgen, seine Musterbilder darzustellen und so durch die
Belehrung zugleich zu erbauen, das war die seiner Natur gemäße Aufgabe, und
die Wärme und zugleich die künstlerische Vollendung, mit der er sie löste, hat
mir ihn wert gemacht. Seine wichtigsten Schriften sind darum Biographien.
Mit einer Geschichte der Barmherzigen Schwestern hat er als Student deu An¬
fang gemacht. Dann folgten: Clemens von Alexandrien, Hilarius von Poitiers,
die Einsiedler des heiligen Hieronhmus, Martin von Tours, Diepenbrock, die
Dichterin Luise Hensel, die barmherzige Schwester Amalie von Lnsaulx. Nur
einen der Kirchenväter, mit denen er sich vorzugsweise beschäftigte, Augustinus,
hat er nicht biographisch behandelt; er stellte nnr seine Geschichtsphilosophie dar,
und Bernhard von Clairvaux sowie Cyprian wurden für die lange Reihe von
Schriften verwandt, in denen er seit 1870 gegen Rom polemisierte.

Der erste und giftigste seiner Breslauer Denunzianten, der widerliche Pro¬
fessor Bittner, den ich in meinen Lebenserinnerungen charakterisiert habe, spielte
recht geschickt Reinkens „Ausländertum" als Trumpf aus. Dieses nur in Deutsch¬
lands Vaterländern mögliche Verfahren versetzt ganz besonders in diesem Falle
den Wissenden in humoristische Stimmung. Die verhaßten protestantischen Be¬
amten, die Preußen nach 1815 an den Rhein schickte, haben sehr viel dazu
beigetragen, die lustigen Rheinländer mit katholischem Fanatismus zu erfüllen,
und nun wurden diese eifrigen Katholiken in dem bis dahin als lau und
rationalistisch verschrienen Schlesien der Einschleppung der Ketzerei beschuldigt!
Sehr bald regte sich der Provinzialpatriotismus. Die hervorragenden Per¬
sönlichkeiten und anerkannten wissenschaftlichen Leistungen der aus dem Westen
gekommnen Männer: Baltzer, Movers, Reinkens, erregten den Neid schlesischer
Dozenten, und diese verstanden den schlesischen Partikularismus und Chauvi¬
nismus so geschickt zu kitzeln, daß wenn man 1869 und 1870 autivatikanische
Äußerungen wagte, einem zunächst entgegnet wurde: „Da sieh dir doch die
Leute einmal an, die gegen Rom auftreten, diese hochmütigen Rheinländer, diese
Kerls!" Und Reinkens hatte es ganz und gar mit den Schlesien! verschüttet.
Im Jahre 1861 hatte die Breslauer Universität die Erinnerung an ihre


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/30>, abgerufen am 23.07.2024.