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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Reinkens

Gründling feierlich begangen, die durch die Vereinigung der Frankfurter Viadrina
mit dem Überrest des Breslauer Jesuiteninstituts im Jahre 1811 vollzogen
worden war. Reinkens hatte dazu die Festschrift geliefert: "Die Universität zu
Breslau vor der Vereinigung der Frankfurter Viadrina mit der Leopoldiua."
Darin wurden die wissenschaftlichen Leistungen der Jesuiten und des schlesischen
Volkes, dieses "nationalen Mischlings", sehr niedrig eingeschätzt. Das erregte
einen furchtbaren Sturm im schlesischen Klerus und in einem Teil der Laien¬
schaft, und es kostete den Fürstbischof Förster keine kleine Mühe, den unerquick¬
lichen Streit, der sich daraus entspann, wenigstens für die Öffentlichkeit beizu¬
legen. In den Grenzboten urteilte ein Protestant über die Festschrift: "Wir
unsrerseits haben mehrfach nicht umhin gekonnt, dem Theologen zu opponieren,
dem Historiker dagegen sagen wir unsern Dank für das Buch, das sich durch
die eingehende, auf wissenschaftlicher Forschung beuchende Darstellung der Grün¬
dung und Entwicklung der Leopoldina sowie durch die Mitteilung einer Reihe
von Aktenstücken ein großes Verdienst um die schlesische Geschichte erworben
hat." Hatten ihn seine Feinde anfangs fortzuloben gesucht, so verhinderten sie
von da an sein Aufsteigen in der Hierarchie, seine Beförderung zum Propst
von Berlin, zum Bischof von Limburg. Übrigens schnitt sich Reinkens die
hierarchische Karriere selbst dadurch ab, daß er sich, vor die Wahl zwischen die
Annahme eines Kcmonikats und die Fortsetzung seiner akademischen Lehrtätig¬
keit gestellt, für diese entschied, sein Dombenefizium aufgab und in die Stadt
übersiedelte. Ordentlicher Professor mit achthundert Taler" Gehalt war er 1857
geworden.

Die Schlesier witterten in Reinkens den Hochmut des Rheinländers, der
im Bewußtsein seiner Urdentschheit den ostelbischen Mischling nicht als voll-
bttrtigen Deutschen anerkennt. Hat Reinkens etwas dergleichen empfunden, so
hat er diese Empfindung jedenfalls nicht auf den preußischen Staat und das
preußische Königshaus, das ja allerdings aus Schwaben stammt, ausgedehnt.
Beiden war er immer von Herzen zugetan. Sein Nektoratsjahr fiel in die Zeit von
1865 bis 1866, und er benutzte die Antritts- und die Abgangsfeier zu zündenden
patriotische" Reden, die die anwesenden Offiziere begeisterten. Mit Offizieren
verkehrte er damals viel; er nahm mit einigen von ihnen gemeinsam sein Mittag-
mahl ein. In einem Glückwuuschschreiben an Bismarck zu dessen achtzigstem
Geburtstag schrieb er: "Im Jahre 1868 sagte ich einem kriegslustiger Herrn
aus dem französischen Finanzministerium: Wenn Sie durchaus Krieg mit uns
anfangen wollen, dann geben wir Ihnen die natürlichen Grenzen, die Vogesen.
Als dann im Jahre 1870 die Generalstabsoffiziere von Scherff und von Kcilten-
born aus Breslau nach Frankreich aufbrachen, fragten sie mich beim Abschied:
Was sollen wir Ihnen mitbringen? Ich antwortete: Den Deutschen Kaiser und
Elsaß-Lothringen." Waren die Eindrücke, die er von allem spezifisch Preußischen
empfing, die besten, so waren dafür die römischen auf einer italienischen Reise
im Winter 1867 bis 1868 desto schlimmer und zugleich entscheidend; indem sie


Reinkens

Gründling feierlich begangen, die durch die Vereinigung der Frankfurter Viadrina
mit dem Überrest des Breslauer Jesuiteninstituts im Jahre 1811 vollzogen
worden war. Reinkens hatte dazu die Festschrift geliefert: „Die Universität zu
Breslau vor der Vereinigung der Frankfurter Viadrina mit der Leopoldiua."
Darin wurden die wissenschaftlichen Leistungen der Jesuiten und des schlesischen
Volkes, dieses „nationalen Mischlings", sehr niedrig eingeschätzt. Das erregte
einen furchtbaren Sturm im schlesischen Klerus und in einem Teil der Laien¬
schaft, und es kostete den Fürstbischof Förster keine kleine Mühe, den unerquick¬
lichen Streit, der sich daraus entspann, wenigstens für die Öffentlichkeit beizu¬
legen. In den Grenzboten urteilte ein Protestant über die Festschrift: „Wir
unsrerseits haben mehrfach nicht umhin gekonnt, dem Theologen zu opponieren,
dem Historiker dagegen sagen wir unsern Dank für das Buch, das sich durch
die eingehende, auf wissenschaftlicher Forschung beuchende Darstellung der Grün¬
dung und Entwicklung der Leopoldina sowie durch die Mitteilung einer Reihe
von Aktenstücken ein großes Verdienst um die schlesische Geschichte erworben
hat." Hatten ihn seine Feinde anfangs fortzuloben gesucht, so verhinderten sie
von da an sein Aufsteigen in der Hierarchie, seine Beförderung zum Propst
von Berlin, zum Bischof von Limburg. Übrigens schnitt sich Reinkens die
hierarchische Karriere selbst dadurch ab, daß er sich, vor die Wahl zwischen die
Annahme eines Kcmonikats und die Fortsetzung seiner akademischen Lehrtätig¬
keit gestellt, für diese entschied, sein Dombenefizium aufgab und in die Stadt
übersiedelte. Ordentlicher Professor mit achthundert Taler» Gehalt war er 1857
geworden.

Die Schlesier witterten in Reinkens den Hochmut des Rheinländers, der
im Bewußtsein seiner Urdentschheit den ostelbischen Mischling nicht als voll-
bttrtigen Deutschen anerkennt. Hat Reinkens etwas dergleichen empfunden, so
hat er diese Empfindung jedenfalls nicht auf den preußischen Staat und das
preußische Königshaus, das ja allerdings aus Schwaben stammt, ausgedehnt.
Beiden war er immer von Herzen zugetan. Sein Nektoratsjahr fiel in die Zeit von
1865 bis 1866, und er benutzte die Antritts- und die Abgangsfeier zu zündenden
patriotische» Reden, die die anwesenden Offiziere begeisterten. Mit Offizieren
verkehrte er damals viel; er nahm mit einigen von ihnen gemeinsam sein Mittag-
mahl ein. In einem Glückwuuschschreiben an Bismarck zu dessen achtzigstem
Geburtstag schrieb er: „Im Jahre 1868 sagte ich einem kriegslustiger Herrn
aus dem französischen Finanzministerium: Wenn Sie durchaus Krieg mit uns
anfangen wollen, dann geben wir Ihnen die natürlichen Grenzen, die Vogesen.
Als dann im Jahre 1870 die Generalstabsoffiziere von Scherff und von Kcilten-
born aus Breslau nach Frankreich aufbrachen, fragten sie mich beim Abschied:
Was sollen wir Ihnen mitbringen? Ich antwortete: Den Deutschen Kaiser und
Elsaß-Lothringen." Waren die Eindrücke, die er von allem spezifisch Preußischen
empfing, die besten, so waren dafür die römischen auf einer italienischen Reise
im Winter 1867 bis 1868 desto schlimmer und zugleich entscheidend; indem sie


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[0031] Reinkens Gründling feierlich begangen, die durch die Vereinigung der Frankfurter Viadrina mit dem Überrest des Breslauer Jesuiteninstituts im Jahre 1811 vollzogen worden war. Reinkens hatte dazu die Festschrift geliefert: „Die Universität zu Breslau vor der Vereinigung der Frankfurter Viadrina mit der Leopoldiua." Darin wurden die wissenschaftlichen Leistungen der Jesuiten und des schlesischen Volkes, dieses „nationalen Mischlings", sehr niedrig eingeschätzt. Das erregte einen furchtbaren Sturm im schlesischen Klerus und in einem Teil der Laien¬ schaft, und es kostete den Fürstbischof Förster keine kleine Mühe, den unerquick¬ lichen Streit, der sich daraus entspann, wenigstens für die Öffentlichkeit beizu¬ legen. In den Grenzboten urteilte ein Protestant über die Festschrift: „Wir unsrerseits haben mehrfach nicht umhin gekonnt, dem Theologen zu opponieren, dem Historiker dagegen sagen wir unsern Dank für das Buch, das sich durch die eingehende, auf wissenschaftlicher Forschung beuchende Darstellung der Grün¬ dung und Entwicklung der Leopoldina sowie durch die Mitteilung einer Reihe von Aktenstücken ein großes Verdienst um die schlesische Geschichte erworben hat." Hatten ihn seine Feinde anfangs fortzuloben gesucht, so verhinderten sie von da an sein Aufsteigen in der Hierarchie, seine Beförderung zum Propst von Berlin, zum Bischof von Limburg. Übrigens schnitt sich Reinkens die hierarchische Karriere selbst dadurch ab, daß er sich, vor die Wahl zwischen die Annahme eines Kcmonikats und die Fortsetzung seiner akademischen Lehrtätig¬ keit gestellt, für diese entschied, sein Dombenefizium aufgab und in die Stadt übersiedelte. Ordentlicher Professor mit achthundert Taler» Gehalt war er 1857 geworden. Die Schlesier witterten in Reinkens den Hochmut des Rheinländers, der im Bewußtsein seiner Urdentschheit den ostelbischen Mischling nicht als voll- bttrtigen Deutschen anerkennt. Hat Reinkens etwas dergleichen empfunden, so hat er diese Empfindung jedenfalls nicht auf den preußischen Staat und das preußische Königshaus, das ja allerdings aus Schwaben stammt, ausgedehnt. Beiden war er immer von Herzen zugetan. Sein Nektoratsjahr fiel in die Zeit von 1865 bis 1866, und er benutzte die Antritts- und die Abgangsfeier zu zündenden patriotische» Reden, die die anwesenden Offiziere begeisterten. Mit Offizieren verkehrte er damals viel; er nahm mit einigen von ihnen gemeinsam sein Mittag- mahl ein. In einem Glückwuuschschreiben an Bismarck zu dessen achtzigstem Geburtstag schrieb er: „Im Jahre 1868 sagte ich einem kriegslustiger Herrn aus dem französischen Finanzministerium: Wenn Sie durchaus Krieg mit uns anfangen wollen, dann geben wir Ihnen die natürlichen Grenzen, die Vogesen. Als dann im Jahre 1870 die Generalstabsoffiziere von Scherff und von Kcilten- born aus Breslau nach Frankreich aufbrachen, fragten sie mich beim Abschied: Was sollen wir Ihnen mitbringen? Ich antwortete: Den Deutschen Kaiser und Elsaß-Lothringen." Waren die Eindrücke, die er von allem spezifisch Preußischen empfing, die besten, so waren dafür die römischen auf einer italienischen Reise im Winter 1867 bis 1868 desto schlimmer und zugleich entscheidend; indem sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/31>, abgerufen am 27.12.2024.