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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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mit ihnen nicht abhalten lassen. Die Giinthericmer -- ihr letzter ist der jüngst
gestorbne altkatholische Bischof Weber gewesen -- waren alle aufrichtig fromme
gläubige Männer von Geist und Charakter, von musterhaften Lebenswandel
und von glühendem Eifer für Christentum und Kirche erfüllt. Aber das half
ihnen nichts. Ein Geistlicher darf Konkubinarius, Säufer, Geizhals, ein roher
und dummer Mensch, nachlässig und faul im Amte sein, wenn er nur die An¬
sprüche der Kirche kräftig geltend macht und das spezifisch Römischkatholischc:
die Papstverehrung, den Madonnenkult, die Ablässe, den Bilderdienst gehörig
betont, so werden die Bigotten, die in der Gemeinde den Ton angeben, gegen
seine Schwächen blind sein, und die Vorgesetzten werden ihn ungeschoren lassen.
Wenn er aber an den kirchlichen Zuständen Kritik übt, Unabhängigkeit des
Urteils und des Charakters verrät, dann ist er verloren. Materiell hat die
Kurie vielleicht nicht bloß gegen Hermes, sondern auch gegen Günther Recht
gehabt. Der Kern der Güntherschen Lehre ist, wie ich bei einer frühern Ge¬
legenheit erwähnt habe, anthropologischer Natur. Nach Thomas von Aquin
ist die vernünftige Seele, der Geist des Menschen torma oorvoris, das heißt sein
Lebensprinzip, das, was seine Teile zusammenhält, zu einem lebendigen Orga¬
nismus vereinigt. Nach Günther dagegen ist der leibliche Mensch ein lebendiges
Wesen für sich, ein fertiges imimsl, etwa wie sich die Haeckelicmer den Pithekan-
thropos denken, den Affenmenschen, der noch keine eigentlich geistigen Funk¬
tionen ausübt, und mit diesem schon beseelten Wesen wird ein von Gott ge¬
schaffner Geist zur Einheit der Person verbunden. Für die heutigen Monisten
hat diese Streitfrage gar keinen Sinn, dualistische Psychologen aber wie Busse
(Z.Band des Jahrgangs 1905 der Grenzboten, S. 710) würden vielleicht für
die orthodoxe Ansicht gegen Günther entscheiden. Also dagegen, das; die rö¬
mischen Theologen andrer Ansicht sind als die Günthericmer, ist nichts einzu¬
wenden. Das Empörende und zugleich Lächerliche liegt darin, daß ein un¬
wissender Italiener wie Pius der Neunte und seine Theologen, die nicht viel
mehr wissen als er und die ihnen vorgelegten deutschen Bücher -- Günther
schreibt nicht verständlicher als Kant -- gar nicht verstehn, sich einbilden, der
heilige Geist befähige sie durch Inspiration, wissenschaftliche Fragen zu ent¬
scheiden, die wahrscheinlich überhaupt von keinem Sterblichen zuverlässig beant¬
wortet werden können, und die noch dazu für das christliche Leben vollkommen
gleichgiltig sind. Nur insofern nicht ganz gleichgiltig, als zum christlichen Leben
auch die gewissenhafte Anwendung der von Gott verliehenen Kräfte gehört, also
auch des wissenschaftlichen Forschungstriebes für die wenigen, denen er zuteil
wird. Die Entscheidung wissenschaftlicher Fragen durch einen kirchlichen Ge¬
richtshof aber verurteilt die wissenschaftliche Forschung von vornherein zur Un¬
fruchtbarkeit, und wenn trotzdem auch katholische Forscher den anerkennenswerten
Mut behalten, ihre Arbeit fortzusetzen, so geschieht es in der Annahme, die rö¬
mischen Inquisitoren würden aus Furcht vor den Protestanten und den Millionen
Namenskatholiken, die in Wirklichkeit Atheisten sind, von ihrem angemaßten


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mit ihnen nicht abhalten lassen. Die Giinthericmer — ihr letzter ist der jüngst
gestorbne altkatholische Bischof Weber gewesen — waren alle aufrichtig fromme
gläubige Männer von Geist und Charakter, von musterhaften Lebenswandel
und von glühendem Eifer für Christentum und Kirche erfüllt. Aber das half
ihnen nichts. Ein Geistlicher darf Konkubinarius, Säufer, Geizhals, ein roher
und dummer Mensch, nachlässig und faul im Amte sein, wenn er nur die An¬
sprüche der Kirche kräftig geltend macht und das spezifisch Römischkatholischc:
die Papstverehrung, den Madonnenkult, die Ablässe, den Bilderdienst gehörig
betont, so werden die Bigotten, die in der Gemeinde den Ton angeben, gegen
seine Schwächen blind sein, und die Vorgesetzten werden ihn ungeschoren lassen.
Wenn er aber an den kirchlichen Zuständen Kritik übt, Unabhängigkeit des
Urteils und des Charakters verrät, dann ist er verloren. Materiell hat die
Kurie vielleicht nicht bloß gegen Hermes, sondern auch gegen Günther Recht
gehabt. Der Kern der Güntherschen Lehre ist, wie ich bei einer frühern Ge¬
legenheit erwähnt habe, anthropologischer Natur. Nach Thomas von Aquin
ist die vernünftige Seele, der Geist des Menschen torma oorvoris, das heißt sein
Lebensprinzip, das, was seine Teile zusammenhält, zu einem lebendigen Orga¬
nismus vereinigt. Nach Günther dagegen ist der leibliche Mensch ein lebendiges
Wesen für sich, ein fertiges imimsl, etwa wie sich die Haeckelicmer den Pithekan-
thropos denken, den Affenmenschen, der noch keine eigentlich geistigen Funk¬
tionen ausübt, und mit diesem schon beseelten Wesen wird ein von Gott ge¬
schaffner Geist zur Einheit der Person verbunden. Für die heutigen Monisten
hat diese Streitfrage gar keinen Sinn, dualistische Psychologen aber wie Busse
(Z.Band des Jahrgangs 1905 der Grenzboten, S. 710) würden vielleicht für
die orthodoxe Ansicht gegen Günther entscheiden. Also dagegen, das; die rö¬
mischen Theologen andrer Ansicht sind als die Günthericmer, ist nichts einzu¬
wenden. Das Empörende und zugleich Lächerliche liegt darin, daß ein un¬
wissender Italiener wie Pius der Neunte und seine Theologen, die nicht viel
mehr wissen als er und die ihnen vorgelegten deutschen Bücher — Günther
schreibt nicht verständlicher als Kant — gar nicht verstehn, sich einbilden, der
heilige Geist befähige sie durch Inspiration, wissenschaftliche Fragen zu ent¬
scheiden, die wahrscheinlich überhaupt von keinem Sterblichen zuverlässig beant¬
wortet werden können, und die noch dazu für das christliche Leben vollkommen
gleichgiltig sind. Nur insofern nicht ganz gleichgiltig, als zum christlichen Leben
auch die gewissenhafte Anwendung der von Gott verliehenen Kräfte gehört, also
auch des wissenschaftlichen Forschungstriebes für die wenigen, denen er zuteil
wird. Die Entscheidung wissenschaftlicher Fragen durch einen kirchlichen Ge¬
richtshof aber verurteilt die wissenschaftliche Forschung von vornherein zur Un¬
fruchtbarkeit, und wenn trotzdem auch katholische Forscher den anerkennenswerten
Mut behalten, ihre Arbeit fortzusetzen, so geschieht es in der Annahme, die rö¬
mischen Inquisitoren würden aus Furcht vor den Protestanten und den Millionen
Namenskatholiken, die in Wirklichkeit Atheisten sind, von ihrem angemaßten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/29>, abgerufen am 23.07.2024.