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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Reinkens

großen Versammlungen, von Synoden und Kongressen jene bewundrungswürdige
Ruhe und Selbstbeherrschung, die ihn zum Präsidenten eines Parlaments aus¬
gezeichnet befähigt haben würden. Wenn in der freundschaftlichen Diskussion
seine Opponenten einmal laut und heftig wurden, verstummte er, und äußerte
man sein Erstannen darüber, so bemerkte er bloß: "Ihr laßt mich ja nicht reden,
oder: Wer heftig wird, hat Unrecht."

Wie ich über die Krisis von 1870 und über den Altkatholizismus denke,
habe ich ausführlich dargelegt; nur einiges Anekdotische und Episodische, das
Reinkens betrifft, soll bei dieser Gelegenheit nachgetragen worden. Wenn die
Vorsehung eine Wendung beschlossen hat, müssen auch die Widerstrebenden, und
gerade diese, ihren Zwecken dienen. Die Vorsehung hatte den vorläufigen Sieg
der jesuitisch-ultramontanen Richtung in der katholischen Kirche beschlossen -- ohne
Zweifel, um sie N-bsurärwi zu führen, wie jetzt durch den Abfall Frankreichs
offenbar zu werden beginnt --, und gerade die Jesuitenfeinde unter den deutschen
Theologen haben diesen Sieg vorbereitet. Männer wie Baltzer und Döllinger
haben in Tausenden von angehenden Geistlichen, und durch diese in Millionen
deutschen Katholiken, die Ehrfurcht vor dem Papste und den Gehorsam gegen
ihn so fest begründet, daß sie sich allein sahen, als sie gegen den Papst Front
machten. Die Masse hat sie einfach nicht verstanden. Von den wissenschaftlich
Gebildeten geriet nur ein Teil in Verwirrung und vorübergehend ins Schwanken.
Was Reinkens betrifft, so irrt zunächst der Verfasser der Biographie, wenn er,
auf die Berichte von Verehrern gestützt, glaubt, jener sei, ehe die fanatischen
Denunzianten ihr Verhetzuugswerk begannen, in Breslau allgemein beliebt ge¬
wesen. Nur eine Minderheit der Studenten, zu denen ich gehörte, verehrte ihn.
Seine auffüllige Schönheit und seine bezaubernde Liebenswürdigkeit, Anmut und
heitere Freundlichkeit gaben ihm, wie Geibel auch ganz richtig aus seinen Ge¬
dichten herausgelesen hat, etwas Frauenhaftes, und seine Herzensreinheit ließ
ihn als unschuldiges Kind erscheinen. Damals war er einunddreißig bis vier¬
unddreißig Jahre alt. Die Sorgen, Kämpfe und Bitterkeiten der spätern Zeit
haben diese Eigenschaften hinter dem männlichen Ernst, gelegentlicher Strenge
und der einem hohen Amt ungemessenen würdevollen Haltung zurücktreten lassen;
aber als sie sich noch ungehemmt entfalteten, wurden sie von den gemeinern und
gröbern Naturen, die doch überall die Mehrheit ausmachen, für Koketterie ge¬
halten, und das Schwärmen vornehmer Damen für ihn verbesserte diese Meinung
nicht. Daß es der Zauber seiner Persönlichkeit und nicht die göttliche Gnade
gewesen ist, was so manche Protestantin durch ihn in den Schoß der katholischen
.Kirche geführt hat, davon hatte er sicherlich in seiner Unschuld keine Ahnung.
Auch seine Predigten fanden nicht so allgemeinen Beifall, wie sein Neffe glaubt.
Reinkens hat später als Bischof seine jungen Geistlichen zur fleißigen Vor¬
bereitung auf die Predigt ermahnt und ihnen gesagt, er selbst habe als Dom¬
prediger in Breslau jede Predigt schriftlich ausgearbeitet und memoriert. Das
mag er getan haben, so oft er die Zeit dazu hatte, aber in den drei Jahren,


Reinkens

großen Versammlungen, von Synoden und Kongressen jene bewundrungswürdige
Ruhe und Selbstbeherrschung, die ihn zum Präsidenten eines Parlaments aus¬
gezeichnet befähigt haben würden. Wenn in der freundschaftlichen Diskussion
seine Opponenten einmal laut und heftig wurden, verstummte er, und äußerte
man sein Erstannen darüber, so bemerkte er bloß: „Ihr laßt mich ja nicht reden,
oder: Wer heftig wird, hat Unrecht."

Wie ich über die Krisis von 1870 und über den Altkatholizismus denke,
habe ich ausführlich dargelegt; nur einiges Anekdotische und Episodische, das
Reinkens betrifft, soll bei dieser Gelegenheit nachgetragen worden. Wenn die
Vorsehung eine Wendung beschlossen hat, müssen auch die Widerstrebenden, und
gerade diese, ihren Zwecken dienen. Die Vorsehung hatte den vorläufigen Sieg
der jesuitisch-ultramontanen Richtung in der katholischen Kirche beschlossen — ohne
Zweifel, um sie N-bsurärwi zu führen, wie jetzt durch den Abfall Frankreichs
offenbar zu werden beginnt —, und gerade die Jesuitenfeinde unter den deutschen
Theologen haben diesen Sieg vorbereitet. Männer wie Baltzer und Döllinger
haben in Tausenden von angehenden Geistlichen, und durch diese in Millionen
deutschen Katholiken, die Ehrfurcht vor dem Papste und den Gehorsam gegen
ihn so fest begründet, daß sie sich allein sahen, als sie gegen den Papst Front
machten. Die Masse hat sie einfach nicht verstanden. Von den wissenschaftlich
Gebildeten geriet nur ein Teil in Verwirrung und vorübergehend ins Schwanken.
Was Reinkens betrifft, so irrt zunächst der Verfasser der Biographie, wenn er,
auf die Berichte von Verehrern gestützt, glaubt, jener sei, ehe die fanatischen
Denunzianten ihr Verhetzuugswerk begannen, in Breslau allgemein beliebt ge¬
wesen. Nur eine Minderheit der Studenten, zu denen ich gehörte, verehrte ihn.
Seine auffüllige Schönheit und seine bezaubernde Liebenswürdigkeit, Anmut und
heitere Freundlichkeit gaben ihm, wie Geibel auch ganz richtig aus seinen Ge¬
dichten herausgelesen hat, etwas Frauenhaftes, und seine Herzensreinheit ließ
ihn als unschuldiges Kind erscheinen. Damals war er einunddreißig bis vier¬
unddreißig Jahre alt. Die Sorgen, Kämpfe und Bitterkeiten der spätern Zeit
haben diese Eigenschaften hinter dem männlichen Ernst, gelegentlicher Strenge
und der einem hohen Amt ungemessenen würdevollen Haltung zurücktreten lassen;
aber als sie sich noch ungehemmt entfalteten, wurden sie von den gemeinern und
gröbern Naturen, die doch überall die Mehrheit ausmachen, für Koketterie ge¬
halten, und das Schwärmen vornehmer Damen für ihn verbesserte diese Meinung
nicht. Daß es der Zauber seiner Persönlichkeit und nicht die göttliche Gnade
gewesen ist, was so manche Protestantin durch ihn in den Schoß der katholischen
.Kirche geführt hat, davon hatte er sicherlich in seiner Unschuld keine Ahnung.
Auch seine Predigten fanden nicht so allgemeinen Beifall, wie sein Neffe glaubt.
Reinkens hat später als Bischof seine jungen Geistlichen zur fleißigen Vor¬
bereitung auf die Predigt ermahnt und ihnen gesagt, er selbst habe als Dom¬
prediger in Breslau jede Predigt schriftlich ausgearbeitet und memoriert. Das
mag er getan haben, so oft er die Zeit dazu hatte, aber in den drei Jahren,


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[0026] Reinkens großen Versammlungen, von Synoden und Kongressen jene bewundrungswürdige Ruhe und Selbstbeherrschung, die ihn zum Präsidenten eines Parlaments aus¬ gezeichnet befähigt haben würden. Wenn in der freundschaftlichen Diskussion seine Opponenten einmal laut und heftig wurden, verstummte er, und äußerte man sein Erstannen darüber, so bemerkte er bloß: „Ihr laßt mich ja nicht reden, oder: Wer heftig wird, hat Unrecht." Wie ich über die Krisis von 1870 und über den Altkatholizismus denke, habe ich ausführlich dargelegt; nur einiges Anekdotische und Episodische, das Reinkens betrifft, soll bei dieser Gelegenheit nachgetragen worden. Wenn die Vorsehung eine Wendung beschlossen hat, müssen auch die Widerstrebenden, und gerade diese, ihren Zwecken dienen. Die Vorsehung hatte den vorläufigen Sieg der jesuitisch-ultramontanen Richtung in der katholischen Kirche beschlossen — ohne Zweifel, um sie N-bsurärwi zu führen, wie jetzt durch den Abfall Frankreichs offenbar zu werden beginnt —, und gerade die Jesuitenfeinde unter den deutschen Theologen haben diesen Sieg vorbereitet. Männer wie Baltzer und Döllinger haben in Tausenden von angehenden Geistlichen, und durch diese in Millionen deutschen Katholiken, die Ehrfurcht vor dem Papste und den Gehorsam gegen ihn so fest begründet, daß sie sich allein sahen, als sie gegen den Papst Front machten. Die Masse hat sie einfach nicht verstanden. Von den wissenschaftlich Gebildeten geriet nur ein Teil in Verwirrung und vorübergehend ins Schwanken. Was Reinkens betrifft, so irrt zunächst der Verfasser der Biographie, wenn er, auf die Berichte von Verehrern gestützt, glaubt, jener sei, ehe die fanatischen Denunzianten ihr Verhetzuugswerk begannen, in Breslau allgemein beliebt ge¬ wesen. Nur eine Minderheit der Studenten, zu denen ich gehörte, verehrte ihn. Seine auffüllige Schönheit und seine bezaubernde Liebenswürdigkeit, Anmut und heitere Freundlichkeit gaben ihm, wie Geibel auch ganz richtig aus seinen Ge¬ dichten herausgelesen hat, etwas Frauenhaftes, und seine Herzensreinheit ließ ihn als unschuldiges Kind erscheinen. Damals war er einunddreißig bis vier¬ unddreißig Jahre alt. Die Sorgen, Kämpfe und Bitterkeiten der spätern Zeit haben diese Eigenschaften hinter dem männlichen Ernst, gelegentlicher Strenge und der einem hohen Amt ungemessenen würdevollen Haltung zurücktreten lassen; aber als sie sich noch ungehemmt entfalteten, wurden sie von den gemeinern und gröbern Naturen, die doch überall die Mehrheit ausmachen, für Koketterie ge¬ halten, und das Schwärmen vornehmer Damen für ihn verbesserte diese Meinung nicht. Daß es der Zauber seiner Persönlichkeit und nicht die göttliche Gnade gewesen ist, was so manche Protestantin durch ihn in den Schoß der katholischen .Kirche geführt hat, davon hatte er sicherlich in seiner Unschuld keine Ahnung. Auch seine Predigten fanden nicht so allgemeinen Beifall, wie sein Neffe glaubt. Reinkens hat später als Bischof seine jungen Geistlichen zur fleißigen Vor¬ bereitung auf die Predigt ermahnt und ihnen gesagt, er selbst habe als Dom¬ prediger in Breslau jede Predigt schriftlich ausgearbeitet und memoriert. Das mag er getan haben, so oft er die Zeit dazu hatte, aber in den drei Jahren,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/26>, abgerufen am 23.07.2024.