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Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr.

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Reinkens

wo ich ihn gehört habe, hatte er sie oft nicht, und das merkte man. Er
sprach manchmal zögernd, verwickelte sich, rang nach dem Ausdruck, Er war
damals überbürdet. Er mußte den wegen seines Prozesses in Rom weilenden
Dogmcitiker Baltzer vertreten, obgleich Dogmntik gar nicht sein Fach war, und
daneben sein Fachkollegium, Patristik, lesen. Damit der mittellose Privatdozent
und spätere mit 200 Talern besoldete Extraordinarius leben könne, hatte ihm
der Fürstbischof Diepenbrock eine kleine Dompfründe gegeben mit der Verpflich¬
tung, im Dome Beichte zu hören, an allen Festtagen zu predigen und den Dom-
prediger anch an Sonntagen zu vertreten, wenn er verhindert sei. Förster war
nun während Diepenbrocks Krankheit und nach dessen Tode als Bistumsver¬
weser immer verhindert, machte, nachdem er zum Bischof gewählt worden war,
seinen Liebling Reinkens zu seinem Nachfolger auf der Domkanzel und befreite
ihn erst nach einiger Zeit wenigstens von den Festtagspredigten. Reinkens
Beichtstuhl aber war immer so umlagert, daß er oft viele Stunden lang sitzen
mußte, und dazu käme" dann noch der Kouvertitenunterricht und die Vorver¬
handlungen mit Konvertitinnen, die abzukürzen eine Eigenschaft notwendig ge¬
wesen wäre, die Reinkens am fernsten lag: Grobheit. Also mit der Vorbereitung
mag es manchmal gehapert haben. Übrigens füllt es einem noch ungeübten
Prediger auch bei fleißiger Vorbereitung schwer, mit dem zu wirken, was Försters
Predigten ausgezeichnet hatte: jede war ein stilistisches Meisterwerk gewesen
und mit virtuoser Kunst vorgetragen worden, ohne daß der Eindruck durch
Stockungen, Unsicherheit, Versprechen gestört oder abgeschwächt wurde. Für ein
großes Publikum ist dieses Formelle das wesentliche, wie ich selbst später ans
eigner Erfahrung inne geworden bin. Aber anch abgesehen von Mängeln der
Form und des Vortrags konnten die Predigten von Reinkens einem großen ge¬
mischten Publikum nicht zusagen; dazu waren seine Gedanken -- wieder im
Gegensatz zu dem das Gewöhnliche nirgends übersteigenden Inhalt der Försterschen
Predigten -- zu fein und zu tief, und die vielen Stellen aus den Paulinischeu
Briefen, mit denen er sie durchwebte, machten sie nicht verstündlicher. Sem Nach¬
folger, den ich an Festtagen einigemal gehört habe, hat der Domkirche die ge¬
wöhnliche Fülle wieder zugeführt, obgleich er nichts als hausbackue Trivialitäten
gab. (Die großen Breslauer Kirchen, die katholischen nämlich, sind von meiner
Studentenzeit an bis heute immer überfüllt gewesen, und zwar nicht etwa bloß
von Frauen; die Männer und die jungen Burschen kommen ebenso zahlreich wie
die Frauen und die Mädchen.) Als ich Kaplan in Schöimu war, erschien ein¬
mal ein Fastenhirtenbrief, der, wie man auf den ersten Blick erkannte, nicht
Förster, sondern Reinkens zum Urheber hatte. Die Pfarrer schimpften furchtbar
über den "unverständlichen gelehrten Quatsch", und manche haben ihn gar nicht
verlesen.

Also Reinkens erfreute sich, auch sthou bevor die Denunzianten ihr Werk
begannen, keineswegs allgemeiner Beliebtheit, darum hatte dann diese verächt¬
liche Bande leichtes Spiel. Was von Bonn kam, war bei den Theologen


Reinkens

wo ich ihn gehört habe, hatte er sie oft nicht, und das merkte man. Er
sprach manchmal zögernd, verwickelte sich, rang nach dem Ausdruck, Er war
damals überbürdet. Er mußte den wegen seines Prozesses in Rom weilenden
Dogmcitiker Baltzer vertreten, obgleich Dogmntik gar nicht sein Fach war, und
daneben sein Fachkollegium, Patristik, lesen. Damit der mittellose Privatdozent
und spätere mit 200 Talern besoldete Extraordinarius leben könne, hatte ihm
der Fürstbischof Diepenbrock eine kleine Dompfründe gegeben mit der Verpflich¬
tung, im Dome Beichte zu hören, an allen Festtagen zu predigen und den Dom-
prediger anch an Sonntagen zu vertreten, wenn er verhindert sei. Förster war
nun während Diepenbrocks Krankheit und nach dessen Tode als Bistumsver¬
weser immer verhindert, machte, nachdem er zum Bischof gewählt worden war,
seinen Liebling Reinkens zu seinem Nachfolger auf der Domkanzel und befreite
ihn erst nach einiger Zeit wenigstens von den Festtagspredigten. Reinkens
Beichtstuhl aber war immer so umlagert, daß er oft viele Stunden lang sitzen
mußte, und dazu käme» dann noch der Kouvertitenunterricht und die Vorver¬
handlungen mit Konvertitinnen, die abzukürzen eine Eigenschaft notwendig ge¬
wesen wäre, die Reinkens am fernsten lag: Grobheit. Also mit der Vorbereitung
mag es manchmal gehapert haben. Übrigens füllt es einem noch ungeübten
Prediger auch bei fleißiger Vorbereitung schwer, mit dem zu wirken, was Försters
Predigten ausgezeichnet hatte: jede war ein stilistisches Meisterwerk gewesen
und mit virtuoser Kunst vorgetragen worden, ohne daß der Eindruck durch
Stockungen, Unsicherheit, Versprechen gestört oder abgeschwächt wurde. Für ein
großes Publikum ist dieses Formelle das wesentliche, wie ich selbst später ans
eigner Erfahrung inne geworden bin. Aber anch abgesehen von Mängeln der
Form und des Vortrags konnten die Predigten von Reinkens einem großen ge¬
mischten Publikum nicht zusagen; dazu waren seine Gedanken — wieder im
Gegensatz zu dem das Gewöhnliche nirgends übersteigenden Inhalt der Försterschen
Predigten — zu fein und zu tief, und die vielen Stellen aus den Paulinischeu
Briefen, mit denen er sie durchwebte, machten sie nicht verstündlicher. Sem Nach¬
folger, den ich an Festtagen einigemal gehört habe, hat der Domkirche die ge¬
wöhnliche Fülle wieder zugeführt, obgleich er nichts als hausbackue Trivialitäten
gab. (Die großen Breslauer Kirchen, die katholischen nämlich, sind von meiner
Studentenzeit an bis heute immer überfüllt gewesen, und zwar nicht etwa bloß
von Frauen; die Männer und die jungen Burschen kommen ebenso zahlreich wie
die Frauen und die Mädchen.) Als ich Kaplan in Schöimu war, erschien ein¬
mal ein Fastenhirtenbrief, der, wie man auf den ersten Blick erkannte, nicht
Förster, sondern Reinkens zum Urheber hatte. Die Pfarrer schimpften furchtbar
über den „unverständlichen gelehrten Quatsch", und manche haben ihn gar nicht
verlesen.

Also Reinkens erfreute sich, auch sthou bevor die Denunzianten ihr Werk
begannen, keineswegs allgemeiner Beliebtheit, darum hatte dann diese verächt¬
liche Bande leichtes Spiel. Was von Bonn kam, war bei den Theologen


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[0027] Reinkens wo ich ihn gehört habe, hatte er sie oft nicht, und das merkte man. Er sprach manchmal zögernd, verwickelte sich, rang nach dem Ausdruck, Er war damals überbürdet. Er mußte den wegen seines Prozesses in Rom weilenden Dogmcitiker Baltzer vertreten, obgleich Dogmntik gar nicht sein Fach war, und daneben sein Fachkollegium, Patristik, lesen. Damit der mittellose Privatdozent und spätere mit 200 Talern besoldete Extraordinarius leben könne, hatte ihm der Fürstbischof Diepenbrock eine kleine Dompfründe gegeben mit der Verpflich¬ tung, im Dome Beichte zu hören, an allen Festtagen zu predigen und den Dom- prediger anch an Sonntagen zu vertreten, wenn er verhindert sei. Förster war nun während Diepenbrocks Krankheit und nach dessen Tode als Bistumsver¬ weser immer verhindert, machte, nachdem er zum Bischof gewählt worden war, seinen Liebling Reinkens zu seinem Nachfolger auf der Domkanzel und befreite ihn erst nach einiger Zeit wenigstens von den Festtagspredigten. Reinkens Beichtstuhl aber war immer so umlagert, daß er oft viele Stunden lang sitzen mußte, und dazu käme» dann noch der Kouvertitenunterricht und die Vorver¬ handlungen mit Konvertitinnen, die abzukürzen eine Eigenschaft notwendig ge¬ wesen wäre, die Reinkens am fernsten lag: Grobheit. Also mit der Vorbereitung mag es manchmal gehapert haben. Übrigens füllt es einem noch ungeübten Prediger auch bei fleißiger Vorbereitung schwer, mit dem zu wirken, was Försters Predigten ausgezeichnet hatte: jede war ein stilistisches Meisterwerk gewesen und mit virtuoser Kunst vorgetragen worden, ohne daß der Eindruck durch Stockungen, Unsicherheit, Versprechen gestört oder abgeschwächt wurde. Für ein großes Publikum ist dieses Formelle das wesentliche, wie ich selbst später ans eigner Erfahrung inne geworden bin. Aber anch abgesehen von Mängeln der Form und des Vortrags konnten die Predigten von Reinkens einem großen ge¬ mischten Publikum nicht zusagen; dazu waren seine Gedanken — wieder im Gegensatz zu dem das Gewöhnliche nirgends übersteigenden Inhalt der Försterschen Predigten — zu fein und zu tief, und die vielen Stellen aus den Paulinischeu Briefen, mit denen er sie durchwebte, machten sie nicht verstündlicher. Sem Nach¬ folger, den ich an Festtagen einigemal gehört habe, hat der Domkirche die ge¬ wöhnliche Fülle wieder zugeführt, obgleich er nichts als hausbackue Trivialitäten gab. (Die großen Breslauer Kirchen, die katholischen nämlich, sind von meiner Studentenzeit an bis heute immer überfüllt gewesen, und zwar nicht etwa bloß von Frauen; die Männer und die jungen Burschen kommen ebenso zahlreich wie die Frauen und die Mädchen.) Als ich Kaplan in Schöimu war, erschien ein¬ mal ein Fastenhirtenbrief, der, wie man auf den ersten Blick erkannte, nicht Förster, sondern Reinkens zum Urheber hatte. Die Pfarrer schimpften furchtbar über den „unverständlichen gelehrten Quatsch", und manche haben ihn gar nicht verlesen. Also Reinkens erfreute sich, auch sthou bevor die Denunzianten ihr Werk begannen, keineswegs allgemeiner Beliebtheit, darum hatte dann diese verächt¬ liche Bande leichtes Spiel. Was von Bonn kam, war bei den Theologen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 65, 1906, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341883_299786/27>, abgerufen am 27.12.2024.